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Regionale Klima-Schwankungen Wenn ein Rekord den nächsten jagt

Forscher des Alfred-Wegener-Instituts hinterfragen die Genauigkeit von Klimamodellen bei der Vorhersage regionaler Schwankungen.
25.11.2023, 05:00 Uhr
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Von Björn Lohmann
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Dieses Jahr war ein Jahr der Klimaextreme: Ein Hitzerekord jagte den nächsten, Waldbrände haben weit mehr Flächen zerstört als in durchschnittlichen Jahren, und das antarktische Meereis schrumpfte auf ein selbst für Fachleute erschreckend kleines Niveau.

All diese Vorgänge verdeutlichen: Klimamodelle sind inzwischen sehr gut darin, die langfristigen Trends vorherzusagen. Doch die Schwankungen einzelner Jahre lassen sich darin nur als Wahrscheinlichkeiten erfassen – nicht zuletzt, weil auf den von Menschen verursachten Teil des Treibhauseffekts natürliche Effekte aufsetzen, die zeitlich oder räumlich begrenzten Mustern folgen.

Wieso könnten Klimaschwankungen stärker sein als angenommen?

Vor etwa zehn Jahren stieß ein Team des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) in Bremerhaven in diesem Zusammenhang auf einen erstaunlichen Widerspruch in der Klimaforschung. Analysierten die Forscherinnen und Forscher historische Daten über das Klima, die etwa aus Eisbohrkernen, Sedimenten, Bäumen oder Korallenriffen abgeleitet waren, passten diese Ergebnisse nicht zu dem, was Klimamodelle voraussagten: Wo die Modelle zwischen zwei Jahrhunderten lediglich geringe Temperaturschwankungen von etwa 0,1 Grad vorhersagten, deuteten die sogenannten Paleodaten auf das Zehnfache hin.

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„Ich habe erst mal gedacht, die Paleodaten sind falsch“, erinnert sich Thomas Laepple, Physiker am AWI. Schließlich zeichnen sich diese Daten durch etwas aus, das Fachleute als starkes Rauschen bezeichnen: Die eigentlichen Informationen in den Daten sind aufgrund des Alters verzerrt durch andere Einflüsse und müssen rechnerisch korrigiert werden. Modellierer haben aufgrund dieser Unsicherheiten Paleodaten lange ignoriert, wenn sie ihre Modelle entwickelt haben.

Wie löst sich der Widerspruch auf?

In den Folgejahren kamen Fachleute beider Hintergründe zusammen, um herauszufinden, ob der Fehler in den Paleodaten oder in den Modellen liegt. „Es kann durchaus sein, dass die Modelle und die Paleodaten stimmen“, berichtet Laepple das Ergebnis. Um das zu erklären, zieht er den Vergleich zur Wetterprognose: Für einige Tage im Voraus lässt sich das Wetter recht gut vorhersagen. Für längere Zeiträume beruhen die Aussagen auf reiner Statistik, die nur einen Trend anzeigt: ob es wärmer oder kälter wird.

Ähnlich ist es mit den Klimamodellen: Die Vorhersagen, wie sich das Klima im globalen Mittel oder in großen Regionen entwickelt, sind inzwischen sehr verlässlich. „Es ist im Modell relativ einfach zu simulieren, dass sich die Energiebilanz ändert, wenn die CO2-Konzentration sich erhöht“, sagt Laepple und vergleicht es mit einem Topf, der wärmer wird, wenn man die Herdplatte einschaltet. „Aber bei lokalen langfristigen Prognosen spielt eine Rolle, wie sich die Dynamik ändert, vor allem die Meeresströmungen.“

So gibt es etwa im Meer viele lokale Strömungswirbel. Deren Physik ist zwar verstanden. Aber wenn die Auflösung eines globalen Klimamodells so grob ist, dass der Datenpunkt mit dem Wirbel auch einen größeren Bereich des umliegenden Meeres erfasst, dann mittelt das Modell die Gesamtfläche und erkennt den Wirbel und seine speziellen Auswirkungen nicht als solche. Zusätzlich seien in den Modellen langsame Systeme noch nicht routinemäßig angekoppelt, sagt Laepple. Abschmelzende Eisschilde etwa wirken über Jahrhunderte und verändern langsam Strömungsmuster in den Ozeanen.

Was bedeutet die neue Erkenntnis für Klimaprognosen?

Kurz gesagt: Die Klimamodelle beschreiben durchschnittliche Trends sehr gut. Denn gegenüber dem von der Menschheit verursachten Einfluss sind die natürlichen Schwankungen und deren Unsicherheiten gering. Weniger genau erfassen die Modelle hingegen zeitlich begrenzte regionale Ausreißer von diesen Trends. Die wiederum sind in den Paleodaten gut dokumentiert. Und weil die kritische Arbeit an diesen scheinbaren Widersprüchen in den vergangenen Jahren dazu geführt hat, dass neue Methoden entwickelt wurden und die Paleodaten nun noch belastbarer interpretiert werden können als zuvor, kommt Laepple zusammen mit der Klimatologin Kira Rehfeld von der Universität Tübingen zu einem aufrüttelnden Ergebnis: Die Stärke langsamer regionaler Klimaschwankungen ist höchstwahrscheinlich größer, als es bislang angenommen wird. Inzwischen, so Laepple, stütze auch ein großer Teil der Fachgemeinschaft diese Sichtweise.

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Einerseits kann das von Vorteil sein: Bewegt sich eine Schwankung gegen den Trend, erlebt eine Region vielleicht etwas länger nur abgeschwächte Folgen der Klimakrise. Verstärkt eine Schwankung jedoch den Trend, kommt es zu extremen Belastungen, wie wir sie 2023 vielerorts schon erlebt haben und in Zukunft häufig erleben werden. Auf diese Extreme muss sich die Gesellschaft durch Anpassungsmaßnahmen vorbereiten – und deren Ausmaß und Häufigkeit wird bislang von Klimamodellen unterschätzt.

Was kann helfen, die Modelle zu verbessern?

Eine genauere Auflösung der Modelle würde ermöglichen, lokale Phänomene besser zu berücksichtigen. Das benötigt sehr viel Rechenleistung. Weil die verfügbare Rechenleistungen in den vergangenen Jahren massiv angestiegen ist, haben sich auch die Vorhersagen der Modelle zuletzt schon stark verbessert. Außerdem haben Forscherinnen und Forscher die Verlässlichkeit ihrer Modelle bislang vor allem an der mittleren Klimaentwicklung getestet.

Inzwischen dienen immer öfter die Schwankungen als Testkriterium. Nicht zuletzt lässt sich zumindest statistisch sagen, wie sich die Wahrscheinlichkeit von Extremereignissen verändert – und damit der Anpassungsbedarf.

Zur Sache

Verdeckte Gefahr für Bremen

In maritim geprägten Regionen wie Bremen dämpft das Meer die Jahreszeiten ab. Langfristige klimatische Schwankungen, die durch den Ozean verursacht sind, dürften dagegen deutlich unterschätzt sein. Aber irgendwann treten die unterschätzten Effekte spürbar in Erscheinung. „Da kann man auch mal zehn Jahre Glück haben, dass es dadurch angenehmer wird“, sagt Klimaforscher Laepple. „Aber das geht in beide Richtungen, und mit der Erderwärmung verbunden sind das keine guten Nachrichten.“

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