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Interview mit Carmen Emigholz "Es ist gut, wenn sich Künstler beklagen"

Der Kulturhaushalt für die Jahre 2022/23 verzeichnet erneut ein kräftiges Plus. Wer und was davon profitieren soll, darüber spricht Kulturstaatsrätin Carmen Emigholz im Interview.
01.07.2021, 12:16 Uhr
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Von Iris Hetscher

Frau Emigholz, durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie sind auch viele Kultureinrichtungen wirtschaftlich in Schieflage geraten. Welchen Einfluss hatte diese Situation auf den Entwurf des Kulturhaushalts 2022/23, der nun vorliegt und über den die Kulturdeputation am Donnerstag diskutiert?

Carmen Emigholz: Wir müssen da kurz einen Schritt zurückgehen: Wir haben das große Glück gehabt, dass wir während der Corona-Krise für die Kultureinrichtungen, für die wir verantwortlich sind, aus dem Bremen-Fonds Gelder bekommen haben, dies auch mit der Unterstützung des Finanzressorts. Alle Nothilfeprogramme, für die wir Begründungen geliefert haben, sind genehmigt worden – das waren in drei Tranchen 1,25 Millionen Euro für die Soforthilfemaßnahmen und ein Programm mit 950 Stipendien à 7000 Euro. Wir mussten handeln, damit Künstler ihre wirtschaftlichen Grundlagen nicht verlieren.

Nach den Nothilfen geht es jetzt in eine neue reguläre Runde: Der Haushaltsentwurf wird in den Gremien beraten und dann in der Bürgerschaft beschlossen. Er umfasst fast 100 Millionen Euro und liegt damit um zehn Millionen Euro höher als der Haushalt der vorangegangenen Legislaturperiode 2018/19. Das ist ganz schön viel Geld, oder?

Ja, und wir konnten das auch gut begründen, warum wir so viel brauchen für unsere große und lebendige Szene in Bremen. Dabei hat uns der Kulturförderbericht sehr geholfen, weil da explizit aufgeführt ist, wie vielfältig die Szene ist und wie viele Menschen, und übrigens auch Einrichtungen, von unserer Förderung abhängig sind. Damit wurde eine Lücke geschlossen, die uns in der Bewertung, wie viel Geld notwendig ist, lange gefehlt hat.

Die Freie Szene hat inzwischen einen erheblich höheren Stellenwert als noch vor ein paar Jahren.

Ja, und zwar auch, weil wir den Bericht als Grundlage haben, in dem Daten und Fakten stehen. Die Freie Szene wird gleichberechtigt mit anderen Akteuren behandelt. Das war bei den Nothilfen so, und das ist auch im vorliegenden Entwurf so. Es ist aber wichtig darauf hinzuweisen, dass die großen und etablierten Kultureinrichtungen, wie beispielsweise das Theater oder die Philharmoniker, vom Kurzarbeitergeld des Bundes profitieren konnten, während wir die anderen mit zwölf Millionen Euro aus dem Bremen-Fonds unterstützt haben. Das versetzt uns jetzt in eine positive Ausgangslage: Wir müssen keine Probleme abräumen, sondern können von einem gesicherten Standard ausgehen.

Das heißt, Sie können sich zufrieden zurücklehnen.

In der Kultur kann man sich nie zufrieden zurücklehnen. Es gibt natürlich die Frage an uns: Was hat die Kultur aus Corona gelernt?

Und die beantworten Sie wie?

Es gibt Ideen für neue Formate. Bisher hatten wir in Bremen im Sommer nur die Breminale, nun gibt es den Sommer Summarum mit fast 200 Veranstaltungen. Das heißt, es gibt auch für die Menschen, die in den Ferien zu Hause bleiben, ein tolles Angebot, das sich an alle Generationen richtet. Durch die Hygiene- und Abstandsregeln sind kleinere Formate entstanden, die individuell auf einzelne Zuschauer zugeschnitten sind. Zunächst waren das eher Notlösungen, aber bei vielen hat man gesehen, das ist eine Erweiterung des Angebots. Wir müssen das Krisenhafte und die Chancen der Pandemie bewerten und auswerten. Von daher: Mir ist nie langweilig.

Das heißt: Der Sommer Summarum wird auch in den kommenden Jahren stattfinden?

Wir möchten eine Fortsetzung, da müssen wir überlegen, auf welcher finanziellen Basis das langfristig stattfinden kann. Aber dass dies ein schützenswertes Projekt ist, da sind wir uns einig.

Schauen Sie sich an, was da angeboten wird und ob tatsächlich alle Veranstaltungen auf Interesse gestoßen sind?

Das Gute an solchen Projekten ist, dass Vielfalt möglich ist. Das soll auch die Stadtgesellschaft spiegeln. Aber wir werden natürlich gucken, was hat sich bewährt, was hat sich nicht bewährt, und was kann vielleicht weiterentwickelt werden. Aber es geht beim Sommer Summarum auch darum, dass die Künstler sich hier zu Hause fühlen, dass das kulturelle Leben wieder aufblüht.

Zu Hause sollen Künstler demnächst auch im Tabakquartier in Woltmershausen sein. Das ist ein Lieblingsprojekt von Ihnen, das ebenfalls Raum im Haushalt einnimmt. Wie weit ist das mittlerweile gediehen?

Die Gremien haben dieses Projekt inzwischen beschlossen und unser Kultursenator und Bürgermeister wird den Vertrag noch vor den Sommerferien unterzeichnen. Danach werden wir uns bis zum Spätherbst damit befassen, wer da wie etwas machen kann – wir klären also die Beteiligungsvoraussetzungen. Das Tabakquartier nützt damit nicht nur der Szene, sondern hilft auch, den Kultur-Standort Bremen zu profilieren.

Was für ein Profil soll das Tabakquartier entwickeln?

Das soll ein Standort für Kreative sein, wir wollen noch mehr kreatives Denken in die Stadt holen und dadurch neue Perspektiven entwickeln. Ein Fachbeirat wird entscheiden, wer dort einen Platz bekommt. Klar muss sein: Es wird um Professionalität und Qualifikation gehen. In direkter Nachbarschaft arbeiten die Bremer Philharmoniker als großer Einzel-Ankermieter, dann wird es Räume für Bildende Kunst geben und dann wird es noch zwei frei bespielbare Bühnen und eine Probebühne für Tanz, für Schauspiel geben, und auch eine Werkstatt. Im Keller entsteht ein Open Space (Offene Fläche, d. Red.) für Bands, die dort proben, produzieren und senden können. Alles ist auch auf Crossover angelegt, darauf, sich gegenseitig zu inspirieren. Die Bremer Philharmoniker mit Marko Letonja und Christian Kötter-Lixfeld sind für eine Zusammenarbeit sehr aufgeschlossen.

Die Freie Szene beklagt regelmäßig, dass es zu wenige Auftrittsmöglichkeiten für sie gäbe. Sind diese Klagen überflüssig, wenn es das Tabakquartier gibt?

Es ist gut, wenn sich die Künstler weiterhin beklagen, das wird sich mit dem Tabakquartier nicht erledigt haben. Wir schaffen jetzt für den professionelleren Bereich zusätzliche Auftrittsmöglichkeiten. Aber wir haben auch noch andere Liegenschaften im Blick, die nicht so groß sind wie das Tabakquartier. Dort könnte man einfachere Produktionsstätten entwickeln, die beispielsweise für eine junge Szene interessant sind.

Die junge und queere Szene soll eigentlich eine Heimat in der Schwankhalle haben. Wenn Sie noch andere Orte im Blick haben, besteht nicht die Gefahr, dass es dann vielleicht zu viele Räume mit genau diesem Profil gibt? Und diejenigen, die etwas anderes machen möchten, gehen leer aus?

Die Schwankhalle hat einen Trägerverein und ist privat organisiert, sie hat in der Tat ein bestimmtes Programmprofil, das auch auf junge und queere Menschen zielt. Aber wir sind da als Stadt nur mit einer Stimme im Trägerverein vertreten und können nicht allzu viel Einfluss nehmen, auch nicht auf die Auswahl der neuen Leitung, die gerade gesucht wird.

Die Stadt zahlt jährlich einen Zuschuss von 750.000 Euro, da ist es schwer nachvollziehbar, dass nicht mehr Einfluss genommen werden kann.

Wir werden schon darauf achten, dass bei dem Gesamtangebot, das es in der Stadt geben soll, die Programmlinien zwischen den Einrichtungen relativ trennscharf gefasst werden. Die Einrichtungen sind in ihrer Programmgestaltung frei. Ich glaube aber, es wird kein Gewurschtel geben.

Derzeit kann keine Kultureinrichtung vernünftig wirtschaften, weil das Platzangebot nicht ausgeschöpft werden kann. Sind Sie darauf vorbereitet, die dadurch entstehenden Mindereinnahmen noch eine Weile auszugleichen?

Wir sind sehr dankbar dafür, dass der Finanzsenator uns weitere Unterstützung signalisiert hat, auch da werden wir auf Mittel aus dem Bremen-Fonds zurückgreifen können, sofern Bundesmittel nicht zur Verfügung stehen. Bremen steht zu seiner Kulturszene. Vor und in der Pandemie haben viele Einrichtungen solide gewirtschaftet und Rücklagen gebildet, wie zum Beispiel das Theater. Das kommt uns jetzt zugute. Natürlich hat es auch Bundesmittel gegeben; für den Bereich der freien Theater beispielsweise 1,5 Millionen Euro, aber den größten Posten hat Bremen alleine gestemmt.

Wie geht es denn weiter mit der Glocke, für die der Bund 40 Millionen Euro in Aussicht gestellt hat?

Eine Wertminderung unseres einzigen und einzigartigen Bremer Konzerthauses ist mit unserem Haus nicht zu machen. Das ist glasklar für mich.

Also: Straßenbahngleise in die Martinistraße?

Gedanken zur Stadtentwicklung mache ich mir nicht alleine. Für mich ist es wichtig, dass die Glocke am Ende in einem Entwicklungsprozess steht, der sie voranbringt und ihre wichtige Verbindungsfunktion vom Viertel in den Kern der Innenstadt positiv unterstreicht. Hier wird es für mich keine Kompromisse geben, insbesondere, was den Erhalt der Qualität des Konzerthauses angeht. Wie das genau geschehen kann, dafür gibt es mit Sicherheit keine Patentlösung. Da muss man über verschiedene Optionen reden. Aber die Richtung muss klar sein: Die Glocke darf auf keinen Fall geschwächt werden.

Das Gespräch führte Iris Hetscher.

Zur Person

Carmen Emigholz

wurde 1962 in Bremen geboren ist seit 2007 Staatsrätin für Kultur. Die SPD-Politikerin hat Rechts- und Politikwissenschaften in Regensburg und Bremen studiert.

Zur Sache

Freier Eintritt in Bremer Museen

In der Beschlussvorlage zum Kulturhaushalt findet sich auch die stark diskutierte Forderung zum Thema eintrittsfreier Tag in den Bremer Museen. "Ausdrücklich unterstützt wird die Finanzierung eines eintrittsfreien Öffnungstages in Kultureinrichtungen mit dem Schwerpunkt auf Museen" heißt es. Dies gehe vor allem auf Initiative der Abgeordneten Elombo Bolayela (SPD) und Miriam Strunge (Die Linke) zurück, so Kulturstaatsrätin Carmen Emigholz. Man habe lange vor der Corona-Krise darüber diskutiert, wie es gelingen könne, auch Menschen an kulturelle Einrichtungen heranzuführen, die über wenig Geld verfügten, so die Kulturstaatsrätin. Ob es so sein werde, das an einem Tag pro Monat oder sogar an einem pro Woche kein Eintritt erhoben werde, müsse noch geklärt werden. Und auch, ob es ein anderes, ähnliches Modell sein könne, wie es beispielsweise das Museum Weserburg ausprobiert hat. Dort war in dem Modellversuch "Pay as you stay" der Eintrittspreis von der Dauer des Besuchs abhängig gemacht worden.

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