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Kunsthalle Bremen Was "Mis(s)treated" von anderen Ausstellungen unterscheidet

Lange waren Frauen häufiger als Bildmotiv denn als Künstlerin in Museen zu sehen. Das Jugendkuratorium will den Blick auf weibliche Kunst lenken. Auf zwei Werke freuen sich die Jungkuratorinnen besonders.
22.02.2025, 05:12 Uhr
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Von Karolina Benedyk

Mia Kuntze, Noemi Kpofonde, müssen Frauen nackt sein, um in der Kunsthalle Bremen ausgestellt zu werden?

Noemi Kpofonde: Glücklicherweise nicht. Diesen Missstand hatten wir im Hinterkopf, als wir mit der Ausstellung angefangen haben. Wir haben viel Wert darauf gelegt, unterschiedliche Perspektiven von Frauen darzustellen, also natürliche, nicht idealisierte Körper und weibliche Blickwinkel.

1989 stellte die Künstlerinnengruppe Guerilla Girls diese Frage. Weniger als fünf Prozent der Künstler waren Frauen im New Yorker Met Museum, dafür waren 85 Prozent der Aktdarstellungen weiblich. Was hat sich seither getan?

Kpofonde: Seit der Frauenrechtsbewegung hat sich viel getan, und Gleichberechtigung ist nicht am Kunstbetrieb vorbeigegangen. Auch die Forschung hat das aufgenommen. Zum Beispiel studiere ich an der Uni Bremen Kunstwissenschaften, und wir beschäftigen uns viel mit dem Frauenbild in der Kunst. Und das ist total schön zu sehen, dass wir uns da jetzt auch mit einordnen können mit unserer Ausstellung. In der Weserburg ist zum Beispiel seit kurzer Zeit das Verhältnis zwischen Künstlerinnen und Künstlern fünfzig zu fünfzig Prozent.

Und in der Kunsthalle Bremen?

Kpofonde: Die neue Dauerausstellung "Remix" gibt es seit ungefähr fünf Jahren, und da wurde drauf geachtet, dass auch weibliche Positionen mit ausgestellt werden. Durch den Ankauf "Pixelwald Wisera" von Pipilotti Rist kam beispielsweise eine neue Künstlerin dazu.

Wer ist noch zu wenig in Ausstellungen repräsentiert?

Kuntze: Viele Gruppen. Es reicht nicht, nur auf Künstlerinnen zu achten, sondern auf Vielfalt, zum Beispiel braucht es mehr Ausstellungen von queeren Menschen oder solchen mit verschiedenen kulturellen Hintergründen.

Wie gehen Sie als Jugendkuratorium diesen Missstand an?

Kpofonde: Als wir angefangen haben, wollten wir mit dem arbeiten, was schon in der Kunsthalle ist. Als die Idee entstand, nur Künstlerinnen auszustellen, habe ich gedacht, das wird leer, also wir müssen viele Leihgaben dazu holen. Am Ende haben wir so viele Werke gefunden, dass wir aussortieren mussten, da der Platz zu knapp wurde. Wir haben überlegt, welche Perspektiven in der Sammlung nicht vertreten sind und haben die durch Leihgaben gefüllt. Weibliche Positionen sind dennoch deutlich weniger in der Sammlung vertreten.

Über welche Werke haben Sie sich besonders gefreut?

Kuntze: Wir zeigen Fotografien von Vivien Bendlin. Also, ich fühle mich richtig wohl, wenn ich ihre Werke anschaue, weil sie den Zusammenhalt von Frauen darstellen. Die Darstellung von Liebe ist nicht so sexualisiert und so aufgeladen, und die Körper sind nicht idealisiert.

Kpofonde: Ich finde es schön, dass die Bremer Künstlerin Ngozi Schommers vertreten ist. Sie ist eine Schwarze Künstlerin und auf ihrem Werk zieht sie sich die Haare, schaut in den Spiegel. Das Werk ist mit Konfettischnipseln gemacht. Ich finde es ästhetisch ansprechend, und für mich selbst ist es schön, diesen Haartyp im Museum zu sehen.

Wie ist die Ausstellung aufgebaut?

Kuntze: Also man kommt rein, und es sind Künstlerinnen des 18. bis 20. Jahrhundert ausgestellt. Auf der gegenüberliegenden Seite ist der Protestspruch projiziert: „I can`t believe I’m still protesting this shit“ (Deutsch: Ich kann nicht glauben, dass ich immer noch gegen den Mist protestiere). Im zweiten Raum geht es um Identität, Körperbilder und Selbstdarstellung, im nächsten um Netzwerke und Zusammenhalt zwischen Frauen. Im letzten Abschnitt haben wir uns mit erschöpften Körper, Sorgearbeit und mit sexualisierter Gewalt auseinandergesetzt.

Identität, Körperbilder, sind das Themen, mit denen Sie sich beschäftigen?

Kuntze: Ja, sehr. Auch weil die mediale Darstellung weiblicher Körpern sehr erschreckend ist. Ich merke auch bei mir und meinem Umfeld, wie das die Selbstwahrnehmung beeinflusst.

Kpofonde: Mir hat es auch gezeigt, wie systematisch Frauen jahrhundertelang ausgeschlossen wurden. Gerade bei Künstlerinnen ist das ein gutes Beispiel, die hatten keinen Zugang zu Akademien, sie durften nicht lernen, Künstlerin zu sein, und ich finde, wenn man solche Sachen aus der Vergangenheit weiß und das damit abgleicht, wie es heutzutage ist, fallen einem Missstände mehr auf. Mich hat das sensibler gemacht. Ich gehe jetzt durch Museen und durch die Öffentlichkeit mit einem anderen Blick.

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Was müssen Ausstellungen mitbringen, um junge Menschen anzusprechen?

Kuntze: Für mich muss eine Ausstellung politisch und sensibel sein und mit der Zeit gehen. Ich mag es auch, wenn Ausstellungen etwas Interaktives haben.

Kpofonde: Bei unserer Ausstellung haben wir uns Mühe gegeben, diese Hoheit abzubauen, also dass man ein Werk durch und durch verstehen muss, dass man den kunsthistorischen Hintergrund verstehen muss, um zu wissen, was die Künstlerin mit dem Werk ausdrücken will. Unser Anspruch war es, dass man emotionalen Zugang zu einem Werk hat. Und natürlich gibt es auch strukturelle Sachen. In die Kunsthalle kommen alle bis 18 Jahren kostenlos rein. Was ist mit Menschen, die über 18 sind, nicht Studenten und es sich nicht leisten können? So etwas muss man auch bedenken.

Das Gespräch führte Karolina Benedyk.

Zur Person

Mia Kuntzen (18) ist Schülerin aus Rotenburg und kuratiert zum ersten Mal mit. Genauso wie Noemi Kpofonde (21), die an der Universität Bremen studiert.

Zur Sache

"Mis(s)treated – mehr als deine Muse" ist die zweite Ausstellung des Jugendkuratoriums der Kunsthalle Bremen. Präsentiert werden Werke unter anderem von Christa Baumgärtel, Vivien Bendlin und Yoko Ono. Die Ausstellung eröffnet am Sonnabend, 22. Februar und endet am 3. August.

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