Das Ritardando ist wieder da: Im dritten Takt von Robert Schumanns Klavierkonzert, nach den herabstürzenden Akkorden des Flügels, bremsten Pianist Daniil Trifionov, das Mahler Chamber Orchestra und Dirigent Daniel Harding das Tempo deutlich ab. Eine oft geübte Tradition. Steht aber nicht in den Noten. Weshalb seit Michael Gielen viele Dirigenten darauf pochen, dass alles im Takt bleibt. Der Abend in der Glocke zeigte indes, wie wenig solche Verbote greifen, wenn eine Interpretation nur in sich stimmig ist.
Die beiden Daniels musizierten keinen Auftakt, sondern ein tiefes Luftholen, ein Mutmachen für all die Fantastereien dieses Opus 54. Denn das a-Moll-Konzert, das Schumann von 1841 bis 1845 aus einem Fantasiesatz zum Dreisätzer schälte, ist kein einheitliches, ausgeglichenes Werk. Als erstes echt romantisches Klavierkonzert stellt es verschiedene Temperamente im Wechsel vor, Variationen statt Sonatenhauptsatz, seelische Bocksprünge statt klassischem Ebenmaß.
Trifonov machte das meisterhaft deutlich. Quälend langsam tastete er sich durch das Hauptthema, brauste gewaltig auf (Oktavgriffe), leuchtete kristallklar die Höhen aus, grübelte düster in der Tiefe. Klanglich eng ans Orchester gebunden, animierte er Harding und seine Musiker, die Schumanns "Manfred"-Ouvertüre zuvor eher kräftig und ohne dämonische Zwischentöne angestimmt hatten, zum äußersten Pianissimo. Eine eigenwillige, extreme Auffassung, aber auch extrem logisch und konsequent.
Nie täuschte der Solist Sicherheit vor. Ein Beispiel: Wie elegant könnte Trifonov, der manuell so ungeheuer gelassen agiert, die Doppeltriller am Ende des ersten Satzes herausschleudern. Stattdessen begann zögernd die rechte Hand und schien die linke zum Mitmachen aufzufordern: Komm doch, wir wollen spielen! Gedankenschwer auch der Intermezzo-Satz: Das hüpfende Motiv, breit phrasiert und erst in der Wiederholung kürzergefasst, besaß nichts von der üblichen hingetupften Leichtigkeit. In tiefem Ernst tasteten sich die Streicher ins Nichts vor. Bis dann – ein Beethoven-Effekt – wie eine Erlösung das Finale losbrach. Als habe sich Trifonov alles Feuer, alle Lockerheit aufgespart, lud er nun mit Witz zum Elfenreigen. Dass das Anfangsmotiv verändert wiederkehrt, verriet er dabei spielerisch auch.
Eine aufregende halbe Stunde. Trifonov beruhigte die Beifallswogen mit dem (dicht am Text ausgedeuteten) Schlusschoral "Jesus bleibet meine Freude" aus der Bach-Kantate BWV 147 in der Klavierfassung von Myra Hess. Der größte Effekt aber zeigte sich nach der Pause. Die 3. Sinfonie F-Dur op. 90 von Johannes Brahms – emotional die verschlossenste des Wahlwieners aus Hamburg – wirkte nun wie ein Nachhall des Gehörten. Hier fällt ja selbst das Scherzo aus, an seiner Stelle steht ein Lied ohne Worte mit Trauerflor.
Die melancholische Stimmung des Werks zeichnete Harding, indem er die Farbwechsel zwischen den sonoren Streichern und warmen Holzbläsern betonte, das Schillern zwischen Dur und Moll genau abtönte und präzise zwischen Piano und Pianissimo unterschied. Das Blech grollte im Finale düster dazu: Bis zum resignativen Ausklang spürte man, welche inneren Dramen sich in den vier Sätzen abspielen. Eine fantastische Leistung.
"Meister der Romantik": Was der Titel des Abends versprochen hatte, wurde in jeder Hinsicht eingelöst.