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Thomas Albert zum Musikfest "Wir fühlen uns als Verstärker der Kultur"

Das Musikfest lockt vom 19. August bis 9. September Stars nach Bremen. Intendant Thomas Albert über Künstlerwünsche, das Russlandproblem und spezielle Programme. Und er gibt drei Konzerttipps.
18.08.2023, 05:00 Uhr
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Von Sebastian Loskant

Sie haben in diesem Jahr Ihren 70. Geburtstag gefeiert. Und Ihr Vertrag als Musikfest-Intendant ist bis 2027 verlängert worden. Das Musikfest ist Ihr Baby. Hand aufs Herz: Denken Sie nicht doch manchmal ans Aufhören?

Thomas Albert: Mein Vertrag wäre in diesem Jahr ausgelaufen, und ich dachte bis 2021 wirklich: Dann ist Schluss. Ich habe mich sehr gefreut, dass ich 2022 noch einmal vom Aufsichtsrat um eine Verlängerung gebeten wurde. Aber spätestens in zwei Jahren werden wir nach einem Nachfolger suchen. Das Musikfest ist übrigens nicht allein mein Kind, der Impuls kam aus der Wirtschaft und dem Rathaus. 1988 wurde in Bremen das neue Mercedes-Werk gebaut. Der damalige Werksleiter, Wolfgang Schreck, liebte Kultur und hatte die Idee für ein Weltklasse-Festival. Er fragte zunächst "Bach-Papst" Hellmuth Rilling, den er aus Stuttgart kannte, und Rilling sagte: "Ihr habt doch in Bremen Thomas Albert." Worauf Schreck mich einlud, zwei Stunden über Musik ausfragte und dann sagte: "Bestanden." Da habe ich erst gemerkt, dass das eine Art Bewerbungsgespräch gewesen war.

Was ist das Wichtigste, das ein Intendant im Blick haben muss? 

Er muss Menschen zueinander bringen, Kontakte schaffen und pflegen, die Komplexität aller Beteiligten im Auge behalten. So wie auf der Bühne künstlerisch ein Miteinander stattfindet, ist das Musikfest ein Dreiklang aus Wirtschaft, Publikum und Staat. Wir spielen hier gemeinsam eine Partitur. Da braucht es Verlässlichkeit und Vertrauen, ebenso ein Top-Niveau. Und alle müssen sich über den Auftrag der kulturellen Bildung im Klaren sein. Gute Musik kann in der Gesellschaft etwas bewegen. Man kann immer einen Zugang dazu finden. Geh' doch mal rein, es tut gar nicht weh.

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Wie definieren Sie das Top-Niveau?

Zum einen durch Vernetzung mit den großen Festivals und Opernhäusern. Wir haben früh Kontakte nach Zürich, Luzern, Paris, Brüssel, Antwerpen, Salzburg und Aix-en-Provence geknüpft und manches Projekt koproduziert. Zum anderen bieten wir Programme an, die es woanders nicht gibt. Programme, die nicht von der Stange sind. Bei uns wissen die Künstler, dass sie etwas ausprobieren können. Das Format der konzertanten Oper, das wir vor 15 Jahren eingeführt haben, gehört auch dazu.

Fehlt da nicht doch manchem Besucher die Szene? Wie sind die Reaktionen des Publikums?

Eindeutig positiv. Es war ja nie unsere Absicht, den Theatern Konkurrenz zu machen. Man nimmt eine Oper wie jetzt den "Troubadour" völlig anders wahr, wenn das Orchester mit auf der Bühne sitzt. Ich sehe die Partitur auf der Bühne. Alles konzentriert sich auf die Musik, bestimmte Färbungen der Musik – etwa an einer düsteren Ecke die Bassklarinette oder die Posaune – fallen mehr auf. Und jeder kann seiner eigenen Fantasie folgen.

Die Geigerin Hilary Hahn ist das erste Mal beim Musikfest. War es schwer, sie zu engagieren?

Nein, sie war im Paket der Kammerphilharmonie. Die Bremer Orchester sind ja jedes Jahr gesetzt. Besonders freut mich auch, dass wir in diesem Konzert zugleich Omer Meir Wellber als Dirigenten dabeihaben. Dass er 2025 als Chef der Staatsoper Hamburg antreten würde, konnten wir nicht wissen, und soweit ich weiß, ist er in Hamburg in der kommenden Saison noch gar nicht zu erleben.

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Einige Künstler russischer Herkunft finden sich im Programm, etwa Sopranistin Olga Peretyatko im "Troubadour" oder Pianistin Yulianna Avdeeva mit den Chopin-Konzerten. Dirigent Teodor Currentzis fehlt diesmal. Wie gehen Sie mit der Diskussion über die Positionierung von Künstlern zum russischen Überfall auf die Ukraine um?

Eine schwierige Debatte. Teodor Currentzis scheint Gründe zu haben, dass er schweigt. Seine aktuelle Salzburger Produktion von Henry Purcells "Indian Queen" bei uns zu zeigen, stand aber auch nicht zur Debatte, weil diese bereits 2016 bei uns als Abschlusskonzert zu sehen war. Ich erinnere aber daran, dass die Debatte vielschichtig ist. Nur die wenigsten von uns können sich den Alltag in einem autokratischen Staat vorstellen. Gleichzeitig sollten wir die kulturelle Substanz nicht vergessen. Den kulturellen Austausch, der seit 200 Jahren existiert, kann man nicht einfach beiseite wischen.

Gibt es Künstler, die Sie gern mal im Programm hätten? Jakub Józef Orli?ski zum Beispiel, der Countertenor und Breakdancer, war noch nie dabei.

Manchmal passt es terminlich nicht, das war jetzt bei Orli?ski der Fall. Andere Künstler treten ohnehin in der Glocke auf. Wir achten schon darauf, dass wir dem Programm der übrigen Saison keine Konkurrenz machen. Genauso wie bei den Konzerten im Umland: Wir betreiben keine Kannibalisierung. Wir fühlen uns als Verstärker der Kultur in der gesamten Nordwest-Region. Und wo es keine Konzerthäuser gibt, tun wir neue Spielorte auf: Kirchen, Schlösser, Herrenhäuser, Industrieräume ... Damit die Menschen merken: Was haben wir hier für tolle Dinge vor Ort.

Auf wen freuen Sie sich diesmal am meisten?

Das fällt mir sehr schwer, aber um drei zu nennen: Asmik Grigorian mit ihrem Liederabend, "Ein Sommernachtstraum" mit Jordi Savall und "Il Trovatore". Das wären meine Tipps.

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Ein Hauch von Abschied und Altersweisheit weht durch das Programm. Martin Grubinger sagt der Bühne mit 40 Jahren ade, Dirigenten wie Jordi Savall, Philippe Herreweghe und William Christie sind um die 80 Jahre alt. Ist diese Konzentration Zufall?

Oldies sind Goldies, oder? Die genannten Dirigenten im Bereich Alte Musik haben in der Nachfolge von Nikolaus Harnoncourt jahrzehntelang unglaubliche Impulse gegeben. Sie gehören zum Gesamtbild des Musikfests, sie haben in Bremen Maßstäbe gesetzt. Und das Publikum liebt seine Altstars. Martin Grubingers Konzert war als erstes ausverkauft. Dass er nicht wieder wie in den Vorjahren das Finale bestreitet, liegt nur daran, dass der 9. September schon nach dem Zeitpunkt liegt, für den er seiner Frau versprochen hat: Jetzt höre ich auf.

Welche besonderen Wünsche haben die Künstler?

Es gibt ganz oft die Vorbedingung: Wir wollen in der Glocke spielen. Weil dieser Konzertsaal so unfassbar gut ist. Wenn man andere Konzerthallen kennt, weiß man erst, wie gut. Da sollten sich die Bremer immer wieder vor Augen halten.

Das Gespräch führte Sebastian Loskant.

Zur Person

Thomas Albert (70)

ist Geiger und Dirigent. Der Spezialist für die Barockgeige und für Alte Musik gründete 1978 das Ensemble Fiori musicali. Albert hat Professuren in Hamburg, Straßburg und Bremen. Seit 1989 ist er Intendant des Musikfests Bremen.

Info

Das 34. Musikfest Bremen findet vom 19. August bis 9. September statt. Karten sind bei Nordwest-Ticket erhältlich. Erstmals gibt es einen Podcast, indem sich Thomas Albert mit Künstlern unterhält, darunter Martin Grubinger, Yulianna Avdeeva und Christina Pluhar. Abrufbar unter www.musikfest-bremen.de

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