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Schnürschuh-Theater "Magical Mystery": Leben am Limit

Das Schnürschuh-Theater hat aus Sven Regeners "Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt" ein Bühnenstück gemacht. Ein mutiges Unterfangen, aber ist es auch gelungen?
25.09.2022, 05:00 Uhr
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Von Alexandra Knief

Hamburg, Mitte der 90er-Jahre. Eigentlich will Karl Schmidt (Mathias Hilbig) nur ganz in Ruhe sein Eis in seinem Lieblingscafé essen, als plötzlich ein ziemlich aufgeregter Typ in weißer Ballonseide-Trainingsjacke auf ihn zugestürmt kommt. Es ist sein alter Freund Raimund (Pascal Makowka), kaugummikauend, Nase hochziehend und völlig aufgedreht. Karl Schmidt kennt ihn aus einer Zeit, die er eigentlich gerne vergessen würde. Einer Zeit, in der sein Leben von Drogen und Alkohol bestimmt war. So sehr, dass er schließlich in "der Klapse" landete, wie er selbst immer sagt, und danach als Hilfshausmeister in einer drogentherapeutischen Einrichtung – mit einem Sozialarbeiter, der immer ein wachsames Auge auf ihn hat. Dabei braucht er das eigentlich gar nicht. Karl Schmidt ist clean, schwarzer Kaffee und Zigaretten sind die einzigen Genussmittel, die er noch an sich heranlässt. Und Eis natürlich. Die Gefahr, rückfällig zu werden, schwebt aber wie bei jeder Sucht stets über ihm wie ein Damoklesschwert.

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Raimund und die anderen Freunde von früher sind – deutlich sichtbar – nie von den Drogen weggekommen. Karriere haben sie trotzdem gemacht und verdienen sich mit ihrem Label Boom Boom Records eine goldene Nase. Was sie dort machen? Techno-Musik. Und weil das gerade super gut läuft, planen sie, mit einigen Künstlern aus dem Label auf Tour zu gehen. Auf große "Magical Mystery"-Tour, um genau zu sein – vielen Dank an die Beatles. Um ihren Plan in die Tat umzusetzen, fehlt ihnen nur noch eine Sache: Jemand, der immer nüchtern bleibt, den Tourbus fährt und dafür sorgt, dass alle immer rechtzeitig in der nächsten Stadt ankommen. Na, wenn das mal kein Job für Karl Schmidt ist.

Ob das alles gut geht, kann man ab sofort in "Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt" im Schnürschuh-Theater verfolgen. Das Stück basiert auf der gleichnamigen Geschichte von Sven Regener und ist Teil seines "Herr Lehmann"-Universums. Auch "Herr Lehmann" und "Neue Vahr Süd" hat das Schnürschuh-Team bereits sehr erfolgreich auf die Bühne gebracht. Beide Male und auch jetzt wieder unter der Regie von Helge Tramsen.

Kleintierpfleger und Babysitter

So geht sie also los, die wilde Rave-Tour durch Deutschland. Zehn Tage Leben am Limit mit Stopps in Bremen, Köln, München und weiteren großen Städten. Außerdem mit dabei: Rosa (Gundi Schulze) – eine aufstrebende Technokünstlerin, Ferdi (Holger Spengler) – ein gealterter Raver mit Hippieambitionen und eine Handvoll weiterer Anhänger elektronischer Musik, die der Zuschauer sich denken muss. Nicht zu vergessen: Zwei Meerschweinchen, um die sich Karl Schmidt ganz nebenbei auch noch kümmert. Und so wird er schnell gleichzeitig zum Kleintierpfleger, Streitschlichter und Babysitter für ein paar zugedröhnte Techno-Freaks, immer in Sorge, selbst rückfällig zu werden.

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Viel mehr passiert in der Geschichte von Sven Regener eigentlich nicht. Sie lebt vor allem durch ihre trockenen Dialoge und schrulligen Figuren. Und so geht es zwischen Busfahrten und wilden Techno-Partys (die muss man mit vier Schauspielern erst einmal glaubwürdig rüberbringen) vor allem ums Zwischenmenschliche. Genau dort, wo die Gefahr eines Rückfalls für Karl Schmidt am größten ist, gelingt es ihm, einen Ausweg aus seinem depressiven Dasein zu finden. Genau die Menschen, mit denen er eigentlich nichts mehr zu tun haben wollte, entpuppen sich als Freunde, die zwar dringend selbst Hilfe brauchen, aber ihm trotzdem einen gewissen Halt – oder sagen wir vielleicht: eine sinnvolle Aufgabe – geben können. Auf ihn muss nicht mehr aufgepasst werden, er passt nun auf. Und auch, wenn er nach wie vor selbst auf wackeligen Beinen steht, scheint er ziemlich gut darin zu sein. 

Mit Witz und Leichtigkeit

Es ist immer wieder beeindruckend, wie spielend leicht es dem Schnürschuh-Team gelingt, zwischen diversen Rollen und Orten hin und her zu wechseln – und das alles ohne große Ausstattung, ohne spektakuläres Bühnenbild. Gerade noch sitzt man in einem Bus, schon steht man mitten in einem verrauchten Club. Gerade noch steht Pascal Makowka (großartig!) mit zuckenden, weit aufgerissenen Augen als zugedröhnter Raimund auf der Bühne, da mimt er plötzlich den gechillten Sozialarbeiter Werner, den scheinbar nichts aus der Ruhe bringen kann. Das Ensemble spielt mit viel Witz und Leichtigkeit, mit gelungener Situationskomik und hier und da mit ein wenig eingestreuter Melancholie und Ernsthaftigkeit, die der doch recht leichten Geschichte mehr Tiefe gibt, ohne dabei auch nur je annähernd moralisch zu werden.

Das Publikum belohnt all das mit zahlreichen Lachern und lang anhaltendem Applaus. Das Schnürschuh-Theater, Helge Tramsen und Sven Regener – das ist eine Konstellation, die einfach jedes Mal wieder ganz wunderbar funktioniert. Bitte gerne mehr davon.

Info

"Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt" läuft im Schnürschuh-Theater, Buntentorsteinweg 145. Weitere Termine: 7./8. Oktober, 5./25. November und 9./10./16. Dezember jeweils um 19.30 Uhr; 16. Oktober und 6. November jeweils um 18 Uhr. Tickets gibt es unter anderem bei Nordwest-Ticket. 

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