Die Idee für eine Ausstellung zum Thema Scham kam Nadja Quante, der Künstlerischen Leitung des Bremer Künstlerhauses, an einem Ort, an den das Thema sehr gut passt: in einer Sauna. Während eines Stipendienaufenthalts in Finnland 2016 lernte sie die Künstlerin Sofia Duchovny kennen. Bei einem gemeinsamen Saunabesuch – der in Finnland ja einfach dazugehört – kamen sie auf das Thema und tauschten sich aus.
Jetzt, zwei Jahre später, ist Duchovnys Kunst gemeinsam mit Werken von zwei weiteren Künstlerinnen und einem Künstler in der ersten von Nadja Quante im Künstlerhaus kuratierten Ausstellung mit dem simplen Titel „Shame“ zu sehen. „Das Thema Scham ist nicht nur durch Donald Trump oder Entwicklungen wie #MeToo ein aktuelles, sondern immer auch in der Kunstproduktion“, sagt Quante.
„Es ist immer eine gewisse Scham dabei, wenn man etwas wagt und neue Wege geht, aber es ist wichtig, sich dem zu stellen, damit Neues entstehen kann.“ Alle Arbeiten der Ausstellung beschäftigen sich mit fragilen Gefühlszuständen, die durch die Künstler in etwas Positives gewandelt werden. „Neue Gesellschaftskonventionen können nur entstehen, wenn man Scham thematisiert“, sagt Quante.
Für fremde Ohren
Denn Scham sei ein Effekt, der die Anpassung an Normen reguliert. Wer die Anforderungen einer sozialen Gruppe nicht erfüllt, schämt sich, fühlt sich bloßgestellt. Scham symbolisiert die Grenze zwischen öffentlich Anerkanntem und Privatem. Welche Effekte es haben kann, etwas, wofür man sich schämt, in einem bewussten Akt an die Öffentlichkeit zu tragen? Das und mehr testet die Ausstellung aus.
In der Audioarbeit "Red Button" von Aleksandra Bielas kommt das Thema Scham wohl am eindeutigsten zum Tragen. Fast fühlt man sich beim Hören der Audioarbeit, als würde man in der Straßen- oder U-Bahn ein privates Gespräch überhören, das viel zu laut geführt wird, um privat zu bleiben. Bielas erzählt in der Ich-Perspektive von emotionalen Erlebnissen oder intimen Situationen beim Sex.
Das Stimmengewirr im Hintergrund der Narration und andere gezielt gesetzte Einspielungen, wie das Klingeln eines Smartphones, oder der Klang eines vorbeifahrenden Zuges, verstärken noch das Gefühl, jemand Fremdes in der U-Bahn zu belauschen. Privates wird öffentlich. Aber wo liegen hier in der heutigen Gesellschaft eigentlich die Grenzen und wer legt sie fest?
Auch das sind Fragen, die durch die Ausstellung aufgeworfen werden. Alle auf der Audioarbeit gesprochenen Worte finden sich auch auf einem Poster wieder, allerdings offenbart dieses dem Leser seine Botschaft nicht in der gewohnten Lesart. Sofia Duchovny interessiert sich für die Idee des Kunstwerkes als flexiblem, nicht passivem Objekt und dessen transformatives Potenzial.
In „Shame“ sind drei drachenähnliche Skulpturen vertreten („Bat 1, 3 und 5"), die auch malerische Elemente in Form von herzförmigen Aquarellen aufweisen. Wie Trophäen hängen sie an der Wand, erinnern an Schutzschilde. Statt eines Wappens, das man mit Stolz präsentiert, zeigen die Arbeiten in ihrem Zentrum Zeichnungen von verlassenen Betten mit zerwühlten Laken, hinter denen in zwei Arbeiten alptraumartig die Beine einer überdimensionalen Spinne hervorragen.
Die gebürtige Bremerhavenerin Sonja Cvitkovic ist mir ihrer räumlichen Installation „New needs – old meanings“ vertreten. Wie zurückgelassene Requisiten einer Performance liegen ihre Objekte im Raum verteilt, sodass der Besucher sich beim Betreten des Raumes automatisch in ein Spannungsverhältnis mit ihrer Kunst begibt.
Narration und Erinnerung
Genau um dieses Verhältnis zwischen Körper, Idee und Objekt geht es der Künstlerin. Eine Animation, die auf einem Laptop läuft, der auf einem Bürostuhl mitten im Raum platziert ist, löst das Fresco der Gigantenschlacht von Giulio Romano (1499-1546) aus dem Palazzo del Te in Matua in seine Einzelteile auf.
Der österreichische Künstler Gernot Wieland präsentiert seine eigens für die Ausstellung produzierte Videoarbeit „Ink in Milk“, die auf Narration und Erinnerung basiert. Der Film setzt sich zusammen aus Zeichnungen, Skizzen, Filmsequenzen und Figuren. Er beginnt mit der Geschichte eines ihrer Mitschüler, der mit elf Jahren geschminkt in die Schule kam und von der Lehrerin nach Hause geschickt und sogar geschlagen wurde.
Er solle „normal“ wiederkommen, soll sie gesagt haben. Er erzählt von Wegen der Lehrerin, die Kinder zu bestrafen und bloßzustellen, von ersten – seien sie echt oder auch fiktiv – Erfahrungen mit Scham. Und er untersucht psychologische Zusammenhänge von Mensch und Gesellschaft. Der Film thematisiert verschiedenste (echte, erdachte und ausgeschmückte) Kindheitserinnerungen des Künstlers an Personen, die in irgendeiner Form anders waren.
Zum Beispiel erzählt er von einem Mann aus dem Dorf, den alle nur „Onkel“ nannten und der immer versuchte, Formen von Kristallen nachzuahmen. Jeder muss seinen eigenen, individuellen Weg gehen, seine eigene individuelle Sprache finden, um glücklich zu sein. So könnte man eine zentrale Botschaft des Filmes zusammenfassen. Zeichnungen und Stills aus dem Film sind auch in der Ausstellung zu sehen.
Weitere Informationen
"Shame" im Künstlerhaus Bremen, Am Deich 68/69: Bis 2. September, mittwochs bis sonntags 14 bis 19 Uhr.