"Wenn ich auf Tour war, war Bremen so eine Stadt, wo kaum Leute gekommen sind", sagt der Rapper und lässt den Blick über Tausende Köpfe schweifen, die auf der Bürgerweide Lärm machen. Denn heute ist das anders: Wenn jemand zweieinhalb Jahrzehnte lang den deutschen Hip-Hop geprägt hat, dann macht sich die Hansestadt auf, um das zu feiern!
Während schon im Hauptbahnhof die Songs "Schlechtes Vorbild" und "Bilder im Kopf" aus den Geschäften dröhnten und sich Hunderte Meter lange Schlangen über die Bürgerweide zogen, versammelten sich sogar auf den umliegenden Häuserdächern Dutzende Fans, um beste Sicht auf die Outdoor-Bühne zu haben. Viele sind älter, manche noch ganz jung, doch sie alle eint, dass sie den Außenseiter sehen wollen, der es bis ganz nach oben geschafft hat.
Bevor dieser auf die Bühne tritt, flimmert zunächst ein Kurzfilm über die Bildschirme. Darin jagt Frederick Lau einer "25 Jahre Sido"-Kassette hinterher. Erst als er sie endlich in seinen Walkman legt, fällt der Vorhang und gibt den Blick auf die ikonische Gestalt mit der silbernen Totenkopfmaske frei. Voller Nostalgie eröffnet Sido das Bremen-Konzert auf seiner Jubiläumstour.
Zweiter Vorhang
Doch nach einem kurzen Medley fällt bereits ein zweiter Vorhang und verdeckt den "alten" Sido. Eine filmische Collage aus Fernsehberichten und Behind-the-Scenes-Einblicken führt dann durch Stationen seiner polarisierenden Karriere bis in die Gegenwart. Dann fällt auch der zweite Vorhang und Sido – nun ohne Maske – heizt die Fans mit einem schnellen Medley an, das zahlreiche Songs wie "Bilder im Kopf", "Löwenzahn" oder "Hey Du" verarbeitet.
Sido, bürgerlich Paul Würdig, ist ein Veteran auf der Bühne – und genießt dabei auch den einen oder anderen Joint. Mal flankiert von zwei Sängern, mal mit Live-Musikern und mal nur mit DJ rappt er ein Lied nach dem anderen und hat auch nach 25 Jahren nichts von seinem Hunger und seiner Energie eingebüßt: "Ich werd’ auch die nächsten 25 Jahre weiter Dummheiten machen."
Das erste Lied, das er nach den Medleys voll ausspielt, ist "Augen auf". Auch 17 Jahre nach der Veröffentlichung klingt in Sidos Performance immer noch dieselbe Wut auf die Achtlosigkeit mancher Eltern an, die ihre Kinder an Drogen verlieren. Mit dem Song startet er gleich in eine emotionalere Sektion des Konzertabends, die mit "Leben vor dem Tod" oder "Testament" weitergeführt wird. Bei Letzterem rappt sich Sido zu großer Lichtshow, Live-Drums und E-Gitarre weiter in Rage, als er diejenigen anklagt, die nie für ihn da waren. In "Ein Teil von mir" zeigt der Rapper, der so viel Frust über die Welt in sich trägt, wer ihm stattdessen viel bedeutet: "Du bist mein Sohn, ich liebe Dich / Ich werd’ alles dafür tun, dass Du zufrieden bist". Danach dreht er sich zum Schlagzeuger um und sagt: "Papa ist stolz, Großer".
Leider verhebt sich der Rapper an einigen Stellen mit dem Anspruch, eine zweieinhalb Dekaden überspannende Karriere an nur einem Abend musikalisch darzubieten. So wird das Jubiläumskonzert nicht nur zu Beginn, sondern auch zum Ende von längeren Medleys gerahmt, in denen viele Songs nur kurz angespielt werden oder schon nach einer Strophe und einem Refrain vorbei sind. Dieser Versuch, so vielen Liedern wie möglich ein wenig Showtime zu geben – nach eigener Aussage schöpft der Provokateur knapp 45 Songs aus seinem Repertoire, die er (an)spielt –, raubt einigen Hits wie "Bilder im Kopf" oder "Mein Block" ihre Wirkung. Mehrmals kommt es zu Situationen, in denen ein Song die Fans so richtig aufpeitscht, nur um dann verfrüht zu enden.
Running Gag zu heiß erwartetem Song
Auch die cinematische Eröffnung wird schnell fallengelassen, denn nach dem Kurzfilm und der Filmmontage folgen nur Lieder – selbst dazwischen erzählt Sido kaum etwas. Vielleicht hätte auch schon zu Beginn des Konzertabends ein stärkerer Fokus auf die Musik und damit auf ganze Lieder genügt und wäre dem Anspruch einer Jubiläumsshow gerechter geworden.
Ein Running Gag, der sich durch das gesamte Konzert zieht, betrifft einen heiß erwarteten Song aus den ganz frühen Zeiten des Rappers. Einen Song mit einprägsamer Melodie. Einen Song, dessen Provokation einst sogar politische Debatten über Sendeverbote und Anstiftungen zur Gewalt lostrat. Einen Song, den Sido selber liebevoll "Lied über den Darm" titelt.
Doch der Rapper zögert, hält das Publikum hin und versteckt sich immer wieder hinter gespielter Verunsicherung. "Sollen wir die einfach so verrohen, heute Abend?", fragt er und deutet dabei auf die elfjährigen Fans in der ersten Reihe. Aus dem Publikum erntet er ein klares Ja! Doch statt des antizipierten "Lied über den Darm" bietet er ein "Lied für die Damen". Gemeint ist der Pop-Rap-Track "Liebe", direkt gefolgt von "Mit Dir" aus seinem letzten Album "Paul".
Zum Ende hin kann Sido sich ein letztes Mal davor retten, besagtes Lied zu spielen, indem er "Astronaut", seinen Hit mit Andreas Bourani, vorschiebt. In der Zugabe ist er den Bremern dann doch eine letzte Performance schuldig, und lässt mit dem von den Fans geforderten Song den Abend ausklingen. Die Melodie vom "Lied über den Darm" schallt jedoch noch lange durch die Straßen des nächtlichen Bremen.