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Johannes Worms im Interview Was das Besondere an einem queeren Liederabend ist

Der Bremer Bariton Johannes Worms und Nasti am Klavier stellen die klassische Musik auf den Prüfstand. Ihr queeres Musikprogramm im Sendesaal Bremen verspricht einen Abend voller neuer Einsichten.
26.04.2025, 05:35 Uhr
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Von Sebastian Loskant

Herr Worms, Sie geben am 3. Mai einen queeren Liederabend im Sendesaal. Was haben wir uns darunter vorzustellen?

Johannes Worms: Wenn man die vielen wunderschönen Lieder der klassischen Musik betrachtet, stellt man fest, dass die Texte oft stereotype Geschlechterbilder und toxische männliche Verhaltensmuster vermitteln: Besitzergreifung, Militarismus, Konkurrenzkampf, Eifersucht und Wettbewerb. In Hugo Wolfs Lied "Auf dem grünen Balkon" zum Beispiel steht der Mann unter dem Balkon und empfindet jede Ablehnung, jede Grenze, die ihm die Frau zeigt, als Ansporn, nicht locker zu lassen. Andererseits hat sich in der Romantik ein anderes Männlichkeitsbild entwickelt, das reflektiert nach innen schaut und eine Zerbrechlichkeit an sich findet. Diese Diskrepanz möchten Nasti am Klavier und ich als Sänger erforschen.

Wie läuft der Abend ab?

Zuerst schauen wir uns traditionelle Rollenbilder an, befreien uns aber dann daraus und spielen Lieder, in denen Dichterinnen und Komponisten ihre abweichenden Geschlechtervorstellungen zu kommunizieren. Wir möchten zeigen: Queerness war immer da und hat ihren Ausdruck gefunden. Im Einsamkeitsgefühl der Romantiker ebenso wie im Lied "The Clown" von Ethel Smyth über einen Menschen, der an seine Maske gefesselt ist. Danach wenden wir uns explizit queeren Codes zu: Wir gehen auf die Idee der Schubertiaden im Wien des Biedermeiers ein, die private Schutzräume ohne Angst vor Zensur waren, und auf die Gedichte von Johann Mayrhofer, der fast zwei Jahre Franz Schuberts Zimmergenosse war und seine Homosexualität in schwärmerische Bilder aus der griechischen Mythologie fasste. Wir bringen Lieder aus den "Michelangelo-Sonetten" von Benjamin Britten, dem ersten explizit schwulen Liederzyklus, einen Song aus William Bolcoms "Cabaret Songs" und natürlich "Speak Low" von Kurt Weill, das unserem Abend den Titel gibt.

Wie vermitteln Sie dieses Programm?

Wir moderieren das 75-Minuten-Programm gemeinsam, zwischen den kurzen Liedblöcken gibt es elektronische Zwischenspiele mit Synthesizer, in denen wir das musikalische Material verarbeiten – als ästhetischen Gegenpol zu dem Dutzend Klavierlieder. Das wird sehr stimmungsvoll, sehr intim. Außerdem verteilen wir vorher Kostümteile ans Publikum. Wer Lust hat, kann sich am Eingang mit Schubertiade-Accessoires einkleiden: Oberteile, Puffärmel, Schals, Handschuhe. Dadurch wird das Publikum visuell eine Gemeinschaft, die Besucher bei den Aufführungen im Schumann-Haus Leipzig oder in der Elbphilharmonie haben damit gern experimentiert.

Sie kündigen an, dass Sie auch Ihre eigenen queeren Biografien einbringen. Warum?

Wir möchten klarmachen, weshalb es für uns wichtig ist, dieses Programm zu spielen. Wir stammen beide aus Regionen, in denen gelebte Queerness sichere Räume brauchte, da es nicht viel Platz für das Anderssein gab. Ich komme aus dem sächsischen Vogtland, Nasti aus St. Petersburg. Das Musikmachen wurde für uns zu einem wichtigen Element zum Ausleben und Verstehen unserer Queerness. In der Vergangenheit haben wir aber selten Möglichkeiten gefunden, um das auch so zu kommunizieren. In der Klassik gibt es da viel Nachholbedarf, sei es in der Oper oder auch im Kunstlied. Oft blieb mir nicht mehr als die Rolle des Clowns, wenn ich den Macho nicht übernehmen wollte. Wir haben beide das Gefühl, mit stereotypen Geschlechterbildern aufräumen zu müssen, um uns einen Platz zu schaffen, in dem wir frei auf der Bühne stehen können.

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Wie endet der Abend?

Mit einem Lied von Aaron Copland auf einen Text von Emily Dickenson, die fragt: "Why do they shut me out of heaven? Did I sing too loud?" (Warum schließen sie mich aus dem Himmel aus? Habe ich zu laut gesungen?). Immer wenn ich das singe, geht mir das wahnsinnig nahe. Es erschüttert und bestärkt zugleich.

Das Gespräch führte Sebastian Loskant.

Info

Der queere Liederabend "Speak Low" findet am Sonnabend, 3. Mai, um 20 Uhr im Sendesaal Bremen statt.

Zur Person

Johannes Worms (27)

ist Bariton und lebt in Bremen. Er stammt aus Falkenstein im Vogtland und sang schon mit zehn Jahren als Knabensolist am Theater Plauen/Zwickau. Er hat in Leipzig und Hannover Gesang studiert, an der Bühnenakademie Tonali in Hamburg beschäftigte er sich mit partizipativen Musikprojekten. Er tritt in Liederabenden und freien Musiktheaterproduktionen auf und ist als Kurator und Projektmanager im Kollektiv Godot Komplex aktiv.

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