Schon der Titel macht neugierig: "Das tollste Stück in der Geschichte der Welt". Klingt vielversprechend, aber auch ein wenig größenwahnsinnig. Und setzt die Messlatte natürlich ziemlich hoch an.
Die Bremer Shakespeare Company hat sich trotzdem an das 2018 in London uraufgeführte Stück von Ian Kershaw (Übersetzung: Rainer und Evelyn Iwersen) herangetraut. Am Freitag feierte es seine Premiere, die gleichzeitig auch die deutsche Erstaufführung (Regie: Markus Seuß) war. Und das Stück nimmt den Kritikern direkt ein bisschen den Wind aus den Segeln. Diesen Feuilletonisten mit ihren Zwei-Wort-Kritiken, die am Ende sicher so etwas schreiben wie: "Das tollste Stück in der Geschichte der Welt? Eher nicht". Doch Moment. Erst mal abwarten.
Normale Straße mit normalen Menschen
Die Geschichte spielt im Dezember in einer ganz gewöhnlichen Straße, der Preston Road. Hier wohnt Tom im Haus Nr. 28. Er ist 31 und, wie er selbst sagt, "eher ein Wörtermann als ein Zahlentyp". Wie der Zuschauer nach und nach erfährt, verlässt er ungern das Haus seit ihm von einer Sarah (mit "h"!) das Herz gebrochen wurde. In der Nacht um die sich alles dreht, wacht Tom auf und stellt fest, dass genau um 4.40 Uhr die Zeit stehengeblieben ist. Doch außer ihm und seiner Nachbarin Sara (ohne "h"!) aus dem Haus gegenüber – 26 Jahre alt, Wohlfühlhose und viel zu großes David-Bowie-T-Shirt – scheint dies niemand zu bemerken. Was also passiert hier gerade?
Was schon jetzt klingt wie ein Schauspiel für mindestens zwei Personen, ist in Wirklichkeit ein außergewöhnlicher Monolog. Petra-Janina Schultz mimt in dem Solostück die Alleinunterhalterin. Als Erzählerin erweckt sie nicht nur Tom und Sara zum Leben, sondern auch noch einen Teil der Nachbarschaft. Dies gelingt mit Hilfe der simplen aber gleichzeitig genialen Bühnenausstattung. Diese besteht aus nichts weiter als einem Regal voller Schuhkartons. Jedes Paar Schuhe steht für eine Person. Als Zuschauer entwickelt man direkt ein Bild zu den Pantoffeln, Turnschuhen und Pumps. Ganz nach dem Motto: Zeig mir deine Schuhe und ich sag dir, wer du bist.
Vorgestellt werden zum Beispiel die Problem-Kids aus Haus Nr. 58 – Sneaker, die unordentlich vor der Tür liegen. In der "Preston-Road-Nachbarschafts-Wach-Gruppe" auf Whatsapp werden sie von allen so genannt, auch, wenn niemand sie je dabei beobachtet hat, wie sie Probleme machen. Zwielichtig sind sie irgendwie trotzdem. Oder da wäre das alte Ehepaar von Nebenan, dargestellt mit flauschigen Hausschuhen. Sie, ehemalige Lehrerin und "selektiv taub"; er, Dichter und einstiger Professor, besessen davon, das perfekte Symbol für Liebe zu finden. Die beiden bauen etwas Seltsames in ihrem Schuppen. Was, das weiß Tom nicht genau.
Ganz große Leistung
Wäre sie nicht alleine auf der Bühne, könnte man nun schreiben: Petra-Janina Schultz spielt alle anderen an die Wand. Die Darstellerin bestreitet die rund 80 wirklich textlastigen Minuten ohne jedes Stocken, ohne jede Unsicherheit. Eine beeindruckende Leistung. Getragen wird der Abend aber auch durch die wirklich ungewöhnliche, sehr charmante Plot-Idee Kershaws, die auch noch ein rührendes Finale bereithält.
Es ist ein Stück über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Ein Stück über das Menschsein, über Schicksal und darüber, wie alles irgendwie miteinander verbunden ist. Kershaw verknüpft geschickt Banalitäten des Alltags, die für den einen nichtig sein mögen, für jemand anderen aber die Welt bedeuten, mit Science-Fiction-Elementen.
So wird die Geschichte immer wieder durch Erzählungen über die Voyager-Sonden eins und zwei unterbrochen, die 1977 ins All geschickt wurden. An Board: goldene Datenplatten mit grafischen und Audioinhalten, die – sofern sie im Weltall auf fernes Leben stoßen – ein Bild von den Menschen auf der Erde vermitteln sollen. Sie enthalten mehrere Abbildungen, Grüße in 55 Sprachen, Geräusche wie Wind oder Donner und Musik. Entworfen wurden die Platten von einem Forschungsteam unter der Leitung von Carl Edward Sagan.
Doch wer oder was hat es verdient, für die Ewigkeit bewahrt zu werden? Und wie trifft man eine Auswahl? Auch um diese Fragen dreht sich das liebevolle Märchen für Erwachsene, das sein Publikum am Ende im positiven Sinne nachdenklich und vielleicht ein bisschen melancholisch in die große, im Vergleich zum Universum aber doch winzig kleine Welt entlässt.
Also, wie war das noch mal mit den Feuilletonisten und ihren Zwei-Wort-Kritiken? Das tollste Stück in der Geschichte der Welt? Vielleicht nicht ganz. Aber sagen wir: dicht dran.