Das Bühnenbild lässt keine Zweifel aufkommen: Im Hintergrund ist eine Liste der reichsten Männer der Welt (Elon Musk, Jeff Bezos,...) zu sehen, davor steht ein elektrisches goldenes Kalb, das wie ein Karussellpferd geritten werden kann. Riesig neben der Liste der Geldsäcke: Das Graffiti eines gekreuzigten Jesus'. An den realen Nägeln, die durch seine aufgesprayten Hände getrieben sind, hängen Einkaufstüten von Luxusmarken. Ganz rechts, hinter einer Schwingtür, ein weiteres großes Bild. Das zeigt, schwarz auf neongelb, viele Köpfe mit verzweifelt aufgerissenen Mündern.
Das ist viel plumpe Symbolik für das Setting der "Heiligen Johanna der Schlachthöfe" am Theater Bremen, eigentlich als Produktion für das Große Haus gedacht, nun im Schauspielhaus gelandet. Wie alle Inszenierungen nach Stücken des zum Oberlehrertum neigenden Bertolt Brecht schwebt die "Johanna" stets in der Gefahr, komplexe Zusammenhänge allzu simpel und mit Hang zum Missionarischen zu beschreiben. Auch die Version, die Alize Zandwijk in knapp zwei Stunden mit einem auf sechs Schauspieler reduzierten Ensemble auf die Bühne stellt, entgeht dem nicht und will das auch nicht. Da liefert das Bühnenbild schon die richtige Einstimmung.
Um was geht es? Der Chicagoer Fleischkönig Pierpont Mauler (Nadine Geyersbach) steht im Mittelpunkt des unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise 1929/30 verfassten Werks. An ihm und seinem Handeln exerziert Brecht seine Sicht auf den Kapitalismus durch: Ohne sich von moralischen Beweggründen behindern zu lassen, zimmert sich Mauler ein Monopol, kauft, verkauft, profitiert von Insidertipps, lügt. Auf der Strecke bleiben seine Konkurrenten, aber vor allem die Arbeiter in den Schlachthöfen. Ihm entgegengesetzt ist Johanna Dark (Shirin Eissa), Leutnant der "Schwarzhüte" (einer Parodie auf die Heilsarmee), die voller Idealismus steckt und glaubt, Mauler mit Appellen zu humanerem Handeln bewegen zu können. Also: die Welt besser zu machen. Das klappt nicht, weil eine alleine das nicht bewerkstelligen kann.
Beseelte Kämpferin
Zandwijk hat das Stück wohltuend von Textwust entschlackt, Teile umgestellt, der Inszenierung ein gut austariertes Tempo zwischen Statik und dynamischem, manchmal fast farcenhaftem Durcheinander verpasst. Und sie hat es sechs durchweg überzeugenden Schauspielern und Schauspielerinnen anvertraut. Herausragend ist Nadine Geyersbach als verschlagener, undurchsichtiger Pierpont Mauler, der nach der Prämisse handelt: "Menschen rühren mich nicht". Ganz brechtisch wendet sich Geyersbach gerne mal direkt ans Publikum.
Ihr ebenbürtig ist Shirin Eissa als Johanna. Sie führt ihre Figur von einer beseelten, siegesgewissen Kämpferin, die ohne Punkt und Komma mit anklagend ausgestrecktem Arm deklamiert, hin zu einer Verstummten und Gescheiterten. Schließlich kauert sie mit blau geschminkten Lippen und Gliedmaßen frierend in einer Ecke. Einen starken Einstand liefert Levin Hofmann in der Rolle des Sullivan Slift ab – er verkörpert die neue, vielleicht noch skrupellosere Generation von Börsenspekulanten nassforsch, auch mal tänzelnd, immer überheblich. Christian Freund, Guido Gallmann und Denis Geyersbach geben die von Mauler über den Löffel balbierten anderen Großkopfeten zunehmend derangiert.
Ein hübscher Einfall ist es zudem, die bei Brecht doch arg schematisch charakterisierten Arbeiter als Puppen (Bau: Nadine und Denis Geyersbach) auftreten zu lassen. Das macht die Erzählung über die miserablen Arbeitsbedingungen und die Armut, die zu Schlechtigkeit zwingen kann, zu einem bösen Märchen, was eindringlicher wirkt als jede Nebenhandlung mit einem Chor oder Statisten.
Es ist vieles gelungen in dieser Inszenierung. Manchmal allerdings nimmt das missionarische Element überhand. Das geht los, wenn Shirin Eissa in einem Monolog unbedingt auch Umweltzerstörung und Neoliberalismus geißeln muss, als sei das Publikum nicht fähig, sich über den Text hinaus eigene Gedanken zu machen. Und es steigert sich zum Schluss hin, der in Formelhaftigkeit zerfasert und in einem Plakat kulminiert, auf dem "change ist coming - whether you like it or not" (der Wandel kommt, ob du es magst oder nicht) zu lesen ist. Das ist mindestens eine total gut gemeinte Umdrehung zu viel.