Aufwachsen auf dem Dorf: Soll man bleiben, soll man gehen? Ist man mit all seinen Besonderheiten in der Stadt womöglich besser aufgehoben, weil die soziale Kontrolle lascher ist? Und was ist das überhaupt mit diesem "Zuhause", von dem alle reden? Um diese Fragen kreist Sven Pfizenmaiers Debütroman "Draußen feiern die Leute", dessen Bühnenfassung am Donnerstagabend im Kleinen Haus des Theaters Bremen seine gelungene Premiere feierte.
Die Geschichte: Flora ist verschwunden, und das kurz vor dem alljährlichen Höhepunkt des Dorflebens, dem Zwiebelfest. Doch wohin ist sie nächtens mit ihrem Motorroller gebraust? Ihre Schwester Jenny wähnt sie in der großen Stadt, also Hannover, während ihre Freunde Timo, Richard und Valerie über sich und irgendwie auch das Warum nachdenken: Sie sind, wie Flora, Außenseiter im Dorf. Jenny ist eigentlich auch auf dem Absprung, Timo kommt nicht mit seinem Körper klar, der sich ständig verändert und ihm pflanzenartig scheint. Richard wirkt auf alle einschläfernd. Und Valerie, die sich als Russlanddeutsche fremd fühlt, entzieht sich ihrer Identitätskrise durch tagelange Schlafphasen. Sie sind Suchende, Sich-Ausprobierende. Könnte der sagenumwobene, allmächtig scheinende Gangster Rasputin, eine riesige Eule, ihnen helfen? Immerhin organisiert er sogenannte "Überfahrten", womöglich in ein besseres Leben.
Die Bühnenfassung: Regisseur Viktor Lamert hat in seiner ersten Arbeit für das Theater Bremen gemeinsam mit Dramaturgin Elif Zengin aus dem vor fantastischen, surrealen Ideen nur so strotzenden Coming-of-Age-Roman ein stimmiges Konzentrat gewonnen. Von den vielen Personen der Vorlage, darunter auch diversen erwachsenen, sind die vier jugendlichen Protagonisten übrig geblieben.
Die Inszenierung: Diese Vier lässt Lamert in einer losen Collage manchmal bewusst improvisiert wirkender Szenen von sich erzählen, manchmal prosahaft in der dritten Person, manchmal in Monologen und Dialogen, ohne einen Bezug zu einer konkreten Zeit und einem konkreten Ort. Die Strichfassung hat dabei punktgenau den skurrilen Humor, mit dem Pfizenmaier seine Geschichte durchzieht, beibehalten. Um das Spielerische, Unstete der Suche nach Identität zu verstärken, setzt Lamert weitere mediale Ebenen ein: Video und Musik. Zu Beginn wird in einer fiktiven Nachrichtensendung über die Suche nach Flora berichtet, später gibt es TV-Werbung, die dem jüngst verstorbenen Filmmagier David Lynch gut gefallen hätte: Hände, gefüllt mit Zweigen und Raupen, merkwürdig leuchtende Matratzen. Beim Zwiebelfest wird das Ensemble zur Band und bringt das Publikum mit dem schrägen Song "Du bist safe, meine Liebe" zum Schmunzeln – und zum Mitklatschen. Dabei verliert Lamert nie den Überblick: "Draußen feiern die Leute" ist dicht und wie ein Frischekick inszeniert – die Aufführung dauert knapp 85 Minuten – und wechselt geschickt zwischen unterschiedlichen Tempi und Tonlagen, mal traurig, mal komisch.
Das Bühnenbild: Auch hier hätte sich David Lynch gefreut. Carolin Pflüger hat eine runde Drehbühne als bonbonfarbenen Kreisverkehr entworfen: Rosa Rasen, auf dem sich zu Beginn ein Mähroboter abmüht, giftgrüne Kletterpflanzen ranken auf den Sitzgittern. Das ist ein Albtraum an Trostlosigkeit, vor dem die nur ganz leicht überzeichneten Kostüme (ebenfalls von Pflüger) in Grün-Grau umso stärker wirken.
Die Darsteller: Die klassische Aufteilung zwischen Haupt- und Nebenrollen gibt es nicht; alle vier gestalten die Geschichte. Und es macht Spaß, ihnen zuzuschauen und zuzuhören. Jorid Lukaczik als Jenny, die nach ihrer Schwester sucht, gibt in dem Quartett den Ton an mit ihrer nachdenklichen Rotzigkeit, Sofia Iordanskayas Valerie ist stets von einer leichten Traurigkeit umweht. Jan Grosfeld lässt den mit seinem Körper hadernden Timo zwar unsicher wirken, aber er kristallisiert sich als der Bodenständigste der vier heraus. Levin Hofmann ist als Richard derjenige, der im wahrsten Sinne des Wortes die größten Verrenkungen unternimmt, um sich Respekt zu erarbeiten. Am Ende, so stellen sie fest, ist es anderswo vielleicht gar nicht immer besser als dort, wo man gerade ist. Und "Zuhause" ist gar kein Ort. Sondern ein Zustand.