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Theater Bremen Brigitte Heusinger über "Oper Otze Axt" und ihren Abschied

Musiktheaterdramaturgin Brigitte Heusinger verabschiedet sich in den Ruhestand. Ein Gespräch über innovatives Musiktheater und die prägendsten Momente ihrer Zeit am Theater Bremen.
02.07.2025, 11:20 Uhr
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Brigitte Heusinger über
Von Iris Hetscher

Zur Person

Brigitte Heusinger (65)
ist Bremerin und hat zunächst Psychologie studiert, bevor sie sich dem Musiktheater zuwandte. Sie war unter anderem Dramaturgin in Frankfurt, Neustrelitz, Linz und Basel. Bevor sie in der Saison 2018/19 als leitende Musiktheaterdramaturgin ans Theater Bremen wechselte, war sie stellvertretende Intendatin in Luzern.

Frau Heusinger, 2020 gab es die erste Premiere der innovativen Musiktheaterreihe NOperas! am Theater Bremen. "Chaosmos" mit zwei Gabelstaplern war wegen der Corona-Pandemie nur als Video zu sehen. Nun findet die sechste und letzte NOperas!-Aufführung statt: "Oper Otze Axt". Wie bei allen anderen Projekten ist der Titel rätselhaft. Um was geht es?

Brigitte Heusinger: Es ist eine Punkoper, die die Lebensgeschichte des Bandleaders von Schleimkeim nachzeichnet, das war eine Kult-Punkband in der DDR. Die Band konnte ausschließlich in kirchlichem Zusammenhang auftreten, wurde aber auch bespitzelt, und sie haben sogar eine Platte in Westdeutschland aufgenommen. Dieter "Otze" Ehrlich ist dafür inhaftiert worden und durfte nur wieder raus, weil er sich bereit erklärte, selbst Spitzel zu werden. Nach der Wende brach sein Weltbild zusammen, er ist abgerutscht, hat psychische Probleme bekommen. Das ist dann darin kulminiert, dass er seinen Vater mit einer Axt erschlagen hat – daher der Titel. Das ist ein klassischer Opernstoff.

Weil die Geschichte so viel Tragik enthält und blutig endet?

Es lohnt sich einfach so sehr, diese Geschichte zu erzählen. Die Mitglieder der Dritten Degeneration Ost, das ist die Truppe, die die Oper verantwortet, sind nach der Wende geboren, aber stammen alle aus der ehemaligen DDR. Und es ist ihnen ein Bedürfnis, diese Nahtstellen zwischen Ost und West, die immer wieder aufplatzen, aufzuarbeiten.

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Die Erzählweise bei NOperas! ist stets experimentell, das macht die Reihe aus. Wie gestaltet sich das bei "Oper Otze Axt"?

Es ist ein Stationendrama, bei dem die Stationen aber nicht linear hintereinander stattfinden. Also: Man muss schon ein bisschen mitdenken. Aber wenn man die groben Züge der Geschichte kennt, ist das kein Problem. Inhaltlich gibt es viele Aspekte, aber auch musikalisch. Es gibt neue Musik und Live-Elektronik. Man muss sich einlassen wollen.

Welchen Honig saugt das Musiktheater des Theaters Bremen aus diesen sechs Produktionen?

Wir fanden manche Regie-Handschriften inspirierend. Ein Beispiel ist "Kitesh" von Hauen & Stechen, da war auch die Ausstattung einfach toll. Es sind Kontakte entstanden, auch zwischen den beteiligten Theatern, auf die man jetzt zurückgreifen kann, wenn Bedarf besteht. Und natürlich sind die Themen auch frisch und haben den klassischen Kanon, aus dem wir immer wieder schöpfen, erweitert. Schauen Sie sich "Oper Otze Axt" an: Da geht es um deutsch-deutsche Geschichte, das gibt es sonst ja gar nicht als Stoff in der Oper.

Sie gehen mit "Oper Otze Axt" in den Ruhestand. Gehen Sie mit Wehmut oder mit Erleichterung?

Es gibt beides. Es gibt einige Dinge, die habe ich immer gemacht, weil es nun mal der Job erfordert. Und jetzt, wo ich gehe, merke ich, dass ich erleichtert bin, dass ich sie nicht mehr machen muss.

Was ist das beispielsweise?

Öffentlich auftreten. Das macht man als Rolle, aber ich möchte inzwischen einfach nicht mehr so sehr im Rampenlicht stehen.

Was werden Sie vermissen?

Da es meine letzte Spielzeit war, hat Frank Hilbrich (Leitender Regisseur und Künstlerischer Leiter des Musiktheaters, gemeinsam mit Brigitte Heusinger, Anm. d. Red.) viel Organisatorisches übernommen. Ich konnte mich dadurch besser auf die Stücke vorbereiten, mehr inhaltlich arbeiten. Das ist ein großer Genuss für mich, und das würde ich sehr vermissen. Aber ich mache ja noch ein bisschen weiter, ich betreue, gemeinsam mit Frank Hilbrich, die Inszenierung von "War Requiem" von Benjamin Britten im März 2026.

2018 haben Sie am Theater Bremen begonnen. Wenn Sie zurückblicken, welches war Ihre Lieblingsproduktion?

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Das ist schwer zu beantworten, weil frische Erinnerungen ältere überlagern. Also, meine letzte glückliche Zusammenarbeit mit Alize Zandwijk bei "La Bohème" zählt auf jeden Fall als Lieblingsproduktion. Sie hat die emotionale Tiefe des Stücks gut ausgehalten und die Wahrhaftigkeit dieser Gefühle rausgekitzelt aus den Darstellerinnen und Darstellern. Aber auch die "Salomé" von Ulrike Schwab hat mir sehr gefallen, weil sie die Essenz aus einem Werk so toll ausbreiten kann.

Welche war die anstrengendste Produktion?

Das war "Wellen", das ja jetzt eine schöne Premiere hatte, trotz einer so langen Vorgeschichte über mehrere Spielzeiten. Aber vieles war anstrengend, "No Rain!" gehört auch dazu; wir wussten lange nicht, welche Musik wir nehmen und haben viel spontan entschieden, auch mal Fehler gemacht; außerdem hatten wir wenig Probenzeit. Man vergisst das schnell wieder, wenn es vorbei ist.

Was hat Sie am meisten überrascht?

Die größte negative Überraschung, also ein Schock, war natürlich der Tod von Michael Börgerding. Damit hatte niemand gerechnet, obwohl alle wussten, dass er schwer krank war. Da hat dieses Theater grandios reagiert und auch die Stadt – es war ein würdevolles, gemeinsames Trauern. Man hat daran auch gemerkt, dass dieses Theater in den Grundfesten stabil ist. Wir haben die Spielzeit gut und auch noch sehr erfolgreich zu Ende gebracht mit dem neuen Leitungsteam. Auch das Publikum ist da mitgegangen. Aber mir fällt noch eine andere Überraschung ein …

… und zwar?

Die Spielzeit vor Corona war auch ziemlich cool. Und dann haben wir "Falstaff" geprobt und mussten alles nach der Orchesterhauptprobe absagen wegen des Lockdowns. Als wir nach Corona weitergearbeitet haben, ist das eine völlig andere Inszenierung geworden, weil wir nach der Pandemie-Erfahrung offenbar andere Dinge brauchten und eher an weniger Reize gewöhnt waren. Unser ursprünglicher "Falstaff" war total wild und bilderreich, und das war nach Corona irgendwie falsch: zu viel Beballerung, zu wenig Ruhe, zu wenig direkte Emotionen.

Sie machen trotz Ruhestands ein bisschen weiter am Theater. Und sonst so?

Ich engagiere mich ehrenamtlich bei "Seniors in School", also als Schulmediatorin. Außerdem habe ich viele junge Kolleginnen, die im Alter meiner beiden Töchter sind; das sind meine Bürokinder, mit denen werde ich im Austausch bleiben. Aber ich mache bewusst eine Dramaturgie für ein Stück, das erst im März aufgeführt wird. Die sollen jetzt mal ohne mich klarkommen, ich habe mich ja auch schon ein bisschen ausgeschlichen in dieser Spielzeit, und das hat gut geklappt. Ich finde es wichtig, das Feld zu räumen. Ich habe an acht Theatern gearbeitet und überall waren es tolle Zeiten für mich. Ich war nie frustriert; immer, wenn ich gedacht habe, es stimmt nicht mehr, bin ich weitergezogen. Und mit allen, mit denen ich je eng gearbeitet habe, bin ich nach wie vor befreundet, das macht mich sehr froh.

Das Gespräch führte Iris Hetscher.

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Info

"Oper Otze Axt", Freitag, 4. Juli, 19.30; Sonnabend, 5. Juli, 19.30; Sonntag, 6. Juli, 18.30 Uhr. Dauer: 80 Minuten.
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