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Mosaic-Expedition Gunnar Spreen: "Die Forschungsdaten waren etwas Besonderes"

Die Mosaic-Expedition hat verbessert, wie Satelliten das arktische Meereis messen. Das hilft bei Prognosen, wie lange es das Eis noch geben wird. Gunnar Spreen von der Uni Bremen war bei der Expedition dabei.
23.10.2022, 06:58 Uhr
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Von Björn Lohmann

Vor zwei Jahren kehrte das Forschungsschiff Polarstern von einem einjährigen Arktisaufenthalt – der Mosaic-Expedition – zurück. Inzwischen haben die Forschenden viele Daten dieser größten Arktisexpedition aller Zeiten ausgewertet. Umweltphysiker Gunnar Spreen von der Universität Bremen schildert im Gespräch, wie die Satelliten-Fernerkundung von den Messungen profitiert und was das mit dem globalen Klima und dem europäischen Wetter zu tun hat.

Von 2019 bis 2020 driftete das Forschungsschiff Polarstern ein Jahr lang im Arktischen Ozean, mit ihm im Laufe der Zeit rund 300 Forscherinnen und Forscher aus 20 Ländern – darunter auch Sie. Was waren für Sie die Höhepunkte dieser Expedition?

Gunnar Spreen: Ich war zweimal dort. Insgesamt war ich ein halbes Jahr unterwegs, fünf Monate davon an Bord der Polarstern. Sowohl als persönliche Erfahrung als auch von wissenschaftlicher Seite war der Winter das, was klar hervorsticht. Mit der Polarstern fahren wir regelmäßig in die Arktis und zu Eisschollen, aber das Klimasystem im Winter zu beobachten, über das Eis zu laufen bei Mondschein und -20 bis -30 Grad, das war beeindruckend. Aber auch die Forschungsdaten waren etwas Besonderes.

Was waren für Sie vor Ort die größten Herausforderungen?

Wir wussten natürlich, dass auf dünner Eisdecke am Anfang des Winters auch Risse auftreten können. Aber was passiert ist, die ersten Wochen und Monate, war mehr als erwartet. Wir hatten im wöchentlichen Rhythmus damit zu kämpfen, dass die Eisscholle Risse hatte und wir Instrumente an andere Orte verschieben mussten, sogar ganz aufs Schiff zurück. Dann kontinuierliche Daten hinzubekommen, war eine große Herausforderung. Es gab auch später dramatische Rettungsaktionen von Instrumenten und Ausrüstung – aber nur das. Dafür, dass wir ein Jahr da waren, waren wir unglaublich glücklich. Bei über 300 Leuten ist eigentlich nichts Wesentliches passiert außer ein paar Frostbeulen und einem gebrochenen Knöchel. Die Corona-Situation hat allerdings zu logistischen Herausforderungen und der Verlängerung eines Fahrtabschnitts um zwei Monate geführt – was vor allem für die Leute an Bord, aber auch Familie, Freunde und die Teams an Land eine erhebliche Belastung war.

Mit welchen Fragestellungen sind Sie an Bord gegangen?

Ich bin bei Mosaic Koordinator für Fernerkundung und Satellitendaten. Wir wollen lange Messdatenreihen haben, die sich über viele Jahre erstrecken. Dazu haben wir Instrumente, wie sie auf Satelliten sind, auf Eisschollen gestellt und geschaut, wie sie mit welchen Schnee- und Eiseigenschaften verbunden sind.

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Wozu das?

Klassisch kennt man Satellitenbilder, die aussehen wie Fotos von der Oberfläche. Die gibt es auch, aber in der Arktis ist es viele Zeit dunkel, daher machen wir Aufnahmen im Mikrowellenbereich, wir senden zum Beispiel Radar aus und messen zurückgestrahlte Strahlung. Wir gucken auch, was die Erde abstrahlt im Infrarotbereich. Das kennt jeder von Fieberthermometern. Der Vorteil: Das funktioniert auch im Dunkeln und die Mikrowellenstrahlung geht durch Wolken durch – sie wird also wenig beeinflusst. Aber wenn wir die Messung haben, sagt die Messung noch nicht: Da ist Eis, da kein Eis oder das Eis ist 1,5 Meter dick. Wir messen abstrakte Dinge wie Radarquerschnitt oder Helligkeitstemperatur. Aus diesen Daten müssen wir verstehen: Wie viel Prozent der Messung ist mit Eis bedeckt, wie dick ist das Eis, ist es schneebedeckt, ist es junges Eis oder altes Eis? Um diese Beziehung herzustellen, haben wir die Instrumente hingestellt. Mehr noch: Die Struktur von Schnee kann klein und trocken sein oder feucht mit großen Kristallen. Der Salzgehalt spielt eine Rolle, ebenso wie Blasen im Eis. All das beeinflusst die Messungen. Das können wir nur vor Ort messen und haben gleichzeitig Messungen mit den Satelliteninstrumenten vor Ort gemacht. Wenn wir die Einflüsse verstehen, können wir das in Modelle einarbeiten und dann auf Satelliten anwenden.

Was haben Ihre Studien zur Fernerkundung ergeben?

Wir wissen, in der Arktis hat im Sommer die Eisbedeckung um 40 bis 50 Prozent abgenommen, seit wir Satellitenmessungen haben. Satellitendaten sind einer der Keydatensätze, das ist ohne Frage so und funktioniert gut. Trotzdem hatten wir Perioden, wo Satelliten-Algorithmen in Datensätzen der Eisausdehnung im Frühjahr für größere Gebiete sehr unterschiedliche Ergebnisse gezeigt haben – manche 30 Prozent Eisabnahme, andere noch 100 Prozent Eis. Jetzt haben wir Gründe dafür gefunden, zum Beispiel hat eine leichte Schmelzschicht starken Einfluss auf das Verfahren. Durch die Messung haben wir das identifiziert und können es jetzt korrigieren und auch abschätzen, was das für die Vergangenheit bedeutet.

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Haben Sie ein weiteres Beispiel?

Bei Messungen der Eisdicke gibt es viele Dinge, die das Eindringen von Radarstrahlen beeinflussen, die messen, wie weit das Eis aus dem Wasser rausguckt. Da haben wir Erkenntnisse gewonnen, wie Radar unter unterschiedlichen Umweltbedingungen in Schnee und Eis eindringt. Ein Problem haben wir vor Kurzem publiziert: Wenn Regentropfen über dem Eis fallen, gefrieren sie im Schnee. Mikrowellen messen genau im Zentimeterbereich, und wenn feuchter Schnee wieder gefriert, hat das großen Einfluss aufs Radar. Das bedeutet, wir müssen Regenevents im Schnee detektieren. Im Moment können wir für diese Region dann gerade keine genaue Eisdicke ableiten, im zweiten Schritt werden bessere Methoden entwickelt. Früher hat das keine Rolle gespielt, weil es sehr wenig geregnet hat über Meereis. Außerdem konnten wir vor Ort messen, wie neuer Schnee unter Wind eine harte Kruste bildet und das mit Radarmessungen verbinden. So haben wir eine bessere Vorstellung, wie das die Radarmessung aus dem Weltall beeinflusst.

Welche Relevanz hat dieses bessere Verständnis?

Weil man so wenig Daten hat, sind die Klimamodelle bislang etwas schlechter in der Polarregion. Es sind immer noch wenig Daten, aber mit diesem einen Jahr haben wir einen großen Sprung nach vorne gemacht. Wir werden verbesserte Verfahren haben, mit höherer Genauigkeit der Eisbedeckung in der Arktis. Meereis ist eine der essenziellen Klimavariablen, die etwas darüber sagen, wie sich unser Klima verändert. Die müssen wir mit möglichst großer Genauigkeit bestimmen können und da sind wir jetzt einen Schritt weiter. Eine Hauptmotivation von Mosaic ist ja die Verbesserung von Klimamodellen. Die Arktisdaten sind darin schon etwas älter. Wir schaffen einen neuen Datensatz für eine „neue Arktis“, der widerspiegelt, was schon passiert ist in der Arktis an Klimaänderung. Die Arktis ist uns in Europa zudem näher, als wir glauben: Unser Wettergeschehen ist damit sehr stark gekoppelt.

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Ist die Arktis der Zukunft eisfrei?

Es ist klar, dass der Arktische Ozean im Sommer eisfrei sein wird. Wir haben schon so viel CO2 emittiert, dass sich das in allen Szenarien nur um ein paar Jahre unterscheidet. Das heißt aber nicht, dass man gar nichts ändern kann. Wir reden ja nur vom Sommer, im Winter ist noch immer Eis da, auch bis Ende des Jahrhunderts. Aber wie viel und wie lange noch sind Dinge, die wir in der Hand haben.

Wie geht es jetzt mit der Mosaic-Forschung weiter?

Zwei Jahre lang haben wir die Daten aufbereitet. Bei der nächsten großen Mosaic-Konferenz steht nun die Frage im Fokus: Wie schaffen wir es, von diesem einen Punkt, den wir beobachtet haben, für die ganze Arktis Schlüsse zu ziehen, um bessere Klimaprognosen zu haben? Im nächsten Januar wird noch mal ein großer Schub an Daten, die prozessiert sind, der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Was wir hinterlassen wollen, ist ein Datensatz, der über Jahre und Jahrzehnte von noch mehr Forschenden, als in Mosaic involviert waren, verwendet werden kann.

Das Gespräch führte Björn Lohmann. 

Zur Person

Gunnar Spreen

ist Umweltphysiker und arbeitet am Institut für Umweltphysik der Universität Bremen. Während der Mosaic-Expedition verbrachte er fünf Monate an Bord der Polarstern. 

Zur Sache

Auszeichnung fürs Alfred-Wegener-Institut

Gerade erst wurden das Alfred-Wegener-Institut und die Mosaic-Expedition in Reykjavik mit dem Arctic Circle Preis ausgezeichnet. Arctic Circle ist eine internationale Organisation, die mit dem Preis außerordentliche Beiträge zur Sicherung einer nachhaltigen und wohlhabenden Zukunft der Arktis würdigt. Der Preis wurde nun zum dritten Mal vergeben und ist zum ersten Mal an die Forschung gegangen. Bisherige Preisträger waren der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon sowie John Kerry, ehemaliger US-Außenminister und US-Vorsitzender des Arktischen Rates. 

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