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Kommentar zur Zukunft der Museen Es wird ungemütlicher für die Besucher

Unser Blick auf das andere? Hat ausgedient in den Museen, die bei der Konzeption von Ausstellungen viele Stimmen zu Wort kommen lassen wollen. Das birgt Chancen, aber auch Risiken, meint Iris Hetscher.
10.07.2021, 19:06 Uhr
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Es wird ungemütlicher für die Besucher
Von Iris Hetscher

Es könnte sein, dass ein Wort über kurz oder lang ausstirbt: museal. Das bezeichnet nicht nur konkret das, was man im Museum anschauen kann, sondern hat im Sprachgebrauch eine zweite, wertende Bedeutung. Für alles, was für verstaubt gehalten wird und auf jeden Fall nicht einmal von gestern, sondern von vorgestern ist. Dort, wo der Ursprung des Wortes liegt, in den Museen, möchte man mittlerweile aber auf gar keinen Fall mehr so sein.

Die, in denen bildende Kunst zu sehen ist, nennen sich sowieso längst Ausstellungshäuser, -hallen, -foren und umgehen dabei das M-Wort. Die, die Geschichte in Geschichten erzählen, Landeskunde wie das Focke-Museum, Natur-/Handels-/Völkerkunde wie das Übersee-Museum oder Aus- und Einwanderungsgeschichte wie das Deutsche Auswandererhaus, behalten zwar ihren Namen, stellen sich aber nicht mehr nur medial neu auf, wie seit Jahren. Sie wollen inhaltlich neue Wege einschlagen.

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Dabei geht es immer um einen Perspektivwechsel, der im 21. Jahrhundert übrigens auch dringend notwendig ist. Und außerdem um eine forderndere Haltung gegenüber den Besucherinnen und Besuchern. Man könnte auch sagen: Der Blick auf die Welt, die da gezeigt wird, wird vielschichtiger, es werden mehr Stimmen zu hören sein, mehr Meinungen zu den Dingen, die zu sehen sind, zu der großen Erzählung, die eine Ausstellung ja auch immer ist. Das jüngste der drei Museen, das 2005 eröffnete Auswandererhaus, ist von Anfang an so konzipiert worden. Wer durch die Räume geht, tut dies auf den Spuren derjenigen, die Deutschland verlassen haben.

War es bisher schon schwer, sich von diesen Schicksalen nicht beeindrucken zu lassen, rückt deutsche Geschichte im Erweiterungsbau nach näher an die Besucher heran. Nicht nur, weil einen die Gegenwart einholt. Einwanderung, eines der großen drängenden Themen, ist gemeinsam mit Migrantinnen und Migranten erarbeitet worden und wird geradezu gnadenlos interaktiv angeboten: Seine eigene Meinung zu bestimmten Thesen kann man in „Denkräumen“ bis zum Schluss der Schau immer und immer wieder auf den Prüfstand stellen.

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Das Übersee-Museum hat in dieser Woche das neue Konzept für seine Ozeanien-Schau vorgestellt, die im Herbst 2024 eröffnen soll. Der bisher vorherrschende europäisch geprägte Blick auf die Südsee wird dann endgültig der Vergangenheit angehören. Klar soll sein: Die da sind wir hier, und die da werden zudem massiv beteiligt sein an der Umsetzung der Ausstellung. Die Samoaner kämpfen bereits jetzt mit den Folgen des Klimawandels oder der Knappheit von Ressourcen. Bei uns, einige Tausend Kilometer nordwestlich, kündigen diese Probleme sich mehr als an. Dieser Ansatz zeigt endgültig: Bloßes Staunen angesichts von Vitrinen mit exotischen Ausstellungsstücken erlaubt sich nicht mehr.

Es wird also ungemütlicher für die Besucher. Auch das Focke-Museum kündigt an, ein „Ort der Diskussion“ werden zu wollen, ein „Stadtlabor“ gar. Man will  bei der Frage, welche Ausstellungsthemen relevant sein können, stark auf die Beteiligung von Initiativen und Interessengruppen setzen. Angst haben muss man davor nicht. Es ist im Gegenteil dringend notwendig, dass Museen sich als öffentliche Orte dem Bedürfnis nach Diskussion stellen. Vielleicht ist die Funktion als Treffpunkt künftig sogar genauso wichtig wie die Vermittlung von Wissen. Auch der „Wohlfühlort“ im Übersee-Museum mit hängendem Garten und Wasserfall deutet in diese Richtung; was sich jetzt visionär anhört, könnte die Zukunft des Museums als Ort sichern.

Nicht nur Diskussion, auch Streit sollte es dort geben dürfen. Denn das Vorhaben, mehr Menschen einzubeziehen, kann gekapert werden von denen, die vor allem laut sind. Wer auf Perspektivwechsel und Vielfalt setzt und nicht unerheblich aus öffentlichen Mitteln gefördert wird, muss dafür sorgen, dass tatsächlich unterschiedliche Stimmen zu Wort kommen. Es kann nicht sein, dass nur jene die Tonlage bestimmen, die sich in den Verästelungen der Identitätsdebatte auskennen oder die hinter jedem Straßenschild rückschrittliche Denkmuster wittern. Auch das wird eine neue Vermittlungsaufgabe der Museen sein.

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