"Die älteste Künstlerin ist über 70 Jahre alt, die jüngste Anfang 20", sagt Nicole Nowak, Referatsleiterin beim Senator für Kultur, und gibt damit schon mal einen groben Einblick, wer sich ab sofort so alles im neuen Zentrum für Kunst im Tabakquartier tummelt. Denn das Quartier, an dem die vergangenen Jahre gebaut wurde, hat sich in den vergangenen Wochen nach und nach mit Leben gefüllt. Mehr als 200 professionell arbeitende Künstlerinnen und Künstler haben sich laut Nowak um eine Residenz im 5500 Quadratmeter großen Zentrum beworben. Vier Gruppen aus der darstellenden Kunst und ein Musik-Trio können sich nun über eine einjährige Residenz freuen. Mehr als 40 bildende Künstler dürfen für die nächsten drei Jahre ein Atelier im Gebäude beziehen. Aber wer arbeitet eigentlich in den Räumlichkeiten im Tabakquartier? Ein Blick in vier Ateliers.
Paul Ole Janns und Lisa Mrozinski
"Diesen Raum haben wir dringend gebraucht", sagen Paul Ole Janns und seine Atelier- und Lebenspartnerin Lisa Mrozinski. Auf ihren neugewonnenen rund 45 Quadratmetern können sie nicht nur besser arbeiten und Dinge ausprobieren, sondern auch Material aufbewahren. Sogar ein kleines Zelt für seine Airbrush-Arbeiten könnte Janns sich in einer Atelierecke aufbauen. "Auch der Kontakt zu den anderen Künstlern hier ist einfach toll", betonen die beiden ehemaligen Meisterschüler der Hochschule für Künste (HfK). Doch viel Zeit zum Quatschen bleibt gerade nicht, es muss gearbeitet werden: Das Bild, vor dem Janns steht, soll – neben weiteren Arbeiten – schon bald in der Ausstellung "Resonanz. Interventionen in die Sammlung" in der Kunsthalle hängen. Auch Mrozinski wird dort mit einer ortsbezogenen Arbeit vertreten sein.
Alex Beriault
Es läuft laute Musik im Atelier der gebürtigen Kanadierin Alex Beriault. Auf dem Fußboden steht ein alter Overhead-Projektor und strahlt Licht auf eine kleine Leinwand. Es liegen Anatomie-Bücher herum, an der Seite steht ein alter Röhrenfernseher. Die Lautsprecher, aus denen die Musik schallt, erzählt die 32-jährige HfK-Absolventin, habe sie sich nur kaufen können, da der neue Atelierraum ihr mehr Sicherheit bietet – finanziell ebenso wie in Bezug auf die Aufbewahrung ihrer Ausstattung. "Hier kann ich auch viel mehr experimentieren", sagt sie. Beriault arbeitet vielseitig und setzt sich in Performances, Skulpturen, Installationen, Tanz und Bewegtbild mit Themen wie nonverbaler Kommunikation auseinander. Sie sei aktuell fast täglich in ihrem neuen Atelier. "Ich versuche, keine Zeit zu verschwenden", erzählt sie. Im September stehe eine Einzelausstellung im Kunstverein Ruhr in Essen an.

Mit Kopfhalter und goldenem Dickdarm: Die Kunst von Irene Stese (links) und Laura Pientka braucht Platz. Und den haben sie in ihrem neuen Atelier im Zentrum für Kunst.
Laura Pientka und Irene Strese
Im Atelier mit der Nummer 16 ist viel Platz. Den brauchen die beiden Frauen, die hier vor einer Weile eingezogen sind, auch. Denn Irene Strese und Laura Pientka arbeiten bildhauerisch und mit Keramik. Und das braucht Raum. In Bremer Ausstellungshäusern hat man die beiden HfK-Meisterschülerinnen (2019 und 2021) schon häufiger gesehen, Pientka sorgte zuletzt mit ihrer Arbeit "Royal Flush" bei der Ausstellung zum 46. Bremer Förderpreis für Bildende Kunst in der Städtischen Galerie für Aufsehen – einem vergoldeten Darm, der als Schokobrunnen diente. Die gesellschaftliche Enttabuisierung von schambesetzten Aspekten, die den Körper betreffen, sind ein Schwerpunkt der Künstlerin. Irene Strese arbeitet viel konzeptuell und beschäftigt sich ebenso mit körperlichen Fragestellungen. Ihre Arbeiten funktionieren oft nur zusammen mit dem Körper. "Das hier ist ein Kopfhalter, sagt sie, holt ein y-förmiges Objekt aus einem Regal und schiebt es sich unter ihr Kinn. "Damit lag ich mal in einem Schaufenster." Für Strese und Pientka sind es die Austauschmöglichkeiten mit den anderen Künstlern, die das neue Zentrum zu etwas Besonderem machen. "Wir werden alle von dem Netzwerk hier profitieren", sagt Pientka.

Ngozi Schommers bereitet in ihrem neuen Atelier eine bevorstehende Ausstellung in Mannheim vor.
Ngozi Schommers
Nur ein Stück weiter den Gang runter steht Ngozi Schommers an der Wand ihres Ateliers und verknüpft lange Haarsträhnen zu einem Gitter. Die gebürtige Nigerianerin beschäftigt sich in ihrer Kunst mit Themen wie Identität, Erinnerung, Gleichberechtigung, Kultur und Kolonialismus. Haare spielen in ihren Arbeiten häufig eine Rolle und regen zum Nachdenken über Traditionen und den Umgang damit an. Beeindruckend sind aber auch ihre Papierbilder, die sie aus buntem Konfetti zusammensetzt. Die Idee entstand, als sie in Lagos Malerei studierte und merkte, dass sie gegen die Ölfarben allergisch war. Also begann sie, Papier zu sammeln – Dinge, die Menschen wegwarfen, und arbeitete einfach damit. 2021 war Schommers Kunst in einer Ausstellung im Gerhard-Marcks-Haus zu sehen.
In drei Wochen habe sie eine Ausstellung in Mannheim, im November eine weitere, auf die sie sich gerade vorbereite, berichtet sie. Wie sie reagiert hat, als sie erfuhr, dass sie ein Atelier im Zentrum für Kunst bekommt? "Ich habe wie versteinert und mit offenem Mund dagestanden", sagt sie. "Bremen macht so viel für seine Künstler, ich bin total zufrieden hier."