An Bremens Schulen gibt es grundsätzlich eine große Zustimmung zum Prinzip Inklusion. Und seit inklusives Lernen hier flächendeckend eingeführt wurde, machen mehr Kinder mit Förderbedarf einen Abschluss – ein Erfolg. Das stellen die Wissenschaftler Natascha Korff von der Uni Bremen und Till-Sebastian Idel von der Uni Oldenburg in einer aktuellen Studie fest. Sie haben die Umsetzung der Inklusion insbesondere an Bremer Grundschulen, Gymnasien und Förderzentren untersucht. Die Forscher machen auch deutlich: Die Inklusion findet in Bremen mit einer dünnen Personaldecke statt. Gebraucht werde mehr Fachpersonal, gerade in benachteiligten Stadtteilen. Die externe Evaluation namens „Expertise Inklusion 2021“ wurde von der Bildungsbehörde in Auftrag gegeben. Sie schließt an eine Studie von 2018 an, in der Inklusion an Oberschulen im Zentrum stand. Für die aktuelle Studie wurden Schulbeschäftigte, Eltern und Schüler befragt. Zudem stützen sich die Autoren auf umfangreiche statistische Daten. Die zentralen Ergebnisse der Evaluation im Überblick.
Kaum Kinder auf Förderschulen: "Bremen hat im Bundesländervergleich den Prozess der Umstellung auf ein inklusives Bildungssystem bislang am konsequentesten vorangetrieben", stellen die Autoren der Studie klar. Das heißt: In keinem anderen Bundesland gehen so viele Kinder mit Förderbedarf auf eine Regelschule. In der Stadt Bremen gab es der Studie zufolge 2020/21 noch 331 Schulkinder, die eine Förderschule besuchten, in Bremerhaven statistisch gesehen gar keine Kinder mehr, die getrennt unterrichtet werden. Im Land Bremen gebe es damit eine "annähernde Vollinklusion".
Mehr Förderkinder mit Abschluss: In Bremen machen seit Einführung der Inklusion deutlich mehr Kinder mit Förderbedarf einen Abschluss: 2019 erreichten über 60 Prozent der geförderten Kinder mindestens die Berufsbildungsreife, immerhin 6,8 Prozent auch den Mittleren Schulabschluss (MSA). Eine deutliche Verbesserung gegenüber 2009, als in Bremen die meisten Förderkinder noch eine Förderschule besuchten. Damals erzielten 20 Prozent der geförderten Schüler mindestens die Berufsbildungsreife und keines den MSA. Auch der Anteil der Jugendlichen mit Förderbedarf, die eine duale oder schulische Ausbildung machen, stieg. In dieser Leistungsbilanz zeige sich der Erfolg der Inklusion, heißt es in der Studie. "Die Tendenz ist, dass Kinder mit Förderbedarf in inklusiven Schulen besser gefördert werden", sagt Pädagogikprofessor Till-Sebastian Idel.
Viel Zustimmung zum Prinzip Inklusion: Die Mehrheit der befragten Lehrer, Schüler und Eltern in Bremen stehen grundsätzlich hinter dem Prinzip Inklusion. Viele Beschäftigte haben aber das Gefühl, die Schulen können mit ihrer Ausstattung den Bedürfnissen nicht richtig gerecht werden. Das stellt das Autorenteam fest. Für die Studie wurden 80 Praxisakteure in Gruppeninterviews befragt, darunter Lehrkräfte, Schulleitungen, Sonderpädagoginnen, Assistenzkräfte und Eltern. Weitere 90 Personen aus der Praxis nahmen an Workshops teil. Zudem wurden Schüler online befragt.
Förderquote steigt: In Bremen ist der Anteil der Kinder gestiegen, denen ein Förderbedarf attestiert wird. In der Stadt Bremen kletterte diese sogenannte Förderquote von 6,2 im Jahr 2015 auf 9,5 Prozent in 2020. In Bremerhaven schwankte sie und lag 2020 wieder bei etwa demselben Wert von rund 7 Prozent wie schon 2015. Bundesweit wird immer mehr Kindern Förderbedarf bescheinigt.
Dünne Personaldecke: In der Studie finden sich klare Worte und Zahlen zu fehlendem Personal an Schulen: „Die Inklusion vollzieht sich also unter Bedingungen einer dünnen Personaldecke“, heißt es darin über Bremen. Im September waren laut Studie 73 Vollzeit-Lehrerstellen in Bremen und 38 in Bremerhaven unbesetzt. In Bremen blieben 141 Stellen für Sonderpädagogen offen und 22 in Bremerhaven. Für 19 Stellen für ZUP-Leitungen an Grundschulen, die zentral für die Inklusion sind, konnte Anfang Januar niemand gewonnen werden.
Mangel in Brennpunkten: Vom bundesweiten Fachkräftemangel sei der Inklusionsprozess in Bremen besonders betroffen, weil vor allem auch Sonderpädagogen fehlen, urteilen die Wissenschaftler. Insbesondere in manchen sozial benachteiligten Ortsteilen wie zum Beispiel Osterholz, Gröpelingen, Huchting, Bremen-Nord, Stadtgemeinde Bremerhaven sei es schwer, "überhaupt qualifiziertes Personal für Schule und Inklusion zu gewinnen", heißt es in der Studie.
Die Autoren der Evaluation benennen auch eine Reihe von Empfehlungen für Bremen.
Ressource von Diagnose trennen: Wenn einem Kind Förderbedarf diagnostiziert wird, bringt es oft zusätzliche Ressourcen mit, also zum Beispiel stundenweise eine zweite Lehrerin oder eine Assistenz. Dieses zusätzliche Personal sollte man lieber der ganzen Klasse als System zuweisen und nicht nur dem Förderkind, empfehlen die Wissenschaftler. So könne man die Hilfe flexibler einsetzen und eine "Etikettierung" und Stigmatisierung der Kinder mit Förderbedarf vermeiden.
Zeit für Zusammenarbeit: Lehrerinnen, Assistenzen, Sozialarbeiter und andere, die an Schulen für Inklusion im Einsatz sind, sollten mehr Möglichkeiten bekommen, sich zu besprechen. Zeiten dafür müssten fest eingeplant werden, sagt Idel: "Die Kooperation muss mit eingepreist werden". Es könne nicht sein, dass für eine Assistenzkraft die Zeit für eine Besprechung von der Zeit am Kind abgehe.
Mehr qualifiziertes Personal: Die Forderung nach mehr gut ausgebildetem Personal für die Inklusion durchzieht die Studie. Die Autoren betonen zugleich, dass der bundesweite Pädagogenmangel das Aufstocken für Bremen schwierig mache. Trotz Personalmangels dürfe man sich in den Schulen aber nicht zu stark darauf fokussieren, Unterrichtsausfall unter allen Umständen zu vermeiden. Dies dürfe die Entwicklung der Inklusion nicht zu sehr ausbremsen. Immer wieder wurden in der Vergangenheit Sonderpädagogen, die als zweite Kraft in einer Klasse die Inklusion unterstützen sollen, für Vertretungsunterricht in anderen Klassen abgezogen.