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Männliche Erzieher in Bremen Mehr als nur ein Hahn im Korb

Das Kinder- und Familienzentrum Haus Windeck in Bremen- Grohn hat besonders viele männliche Erzieher - eine Tätigkeit, die kein reiner Frauenberuf ist, oft aber so wahrgenommen wird.
14.09.2019, 06:00 Uhr
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Mehr als nur ein Hahn im Korb
Von Aljoscha-Marcello Dohme

Eine Kita – fünf Männer. Im Kinder- und Familienzentrum Haus Windeck in Bremen- Grohn gibt es gleich drei Erzieher sowie einen Erzieher im Anerkennungsjahr. Zudem gehört ein Koordinator zum Haus, der in erster Linie Ansprechpartner für die Eltern ist. Damit hat die Einrichtung von Kita Bremen besonders viele männliche Mitarbeiter.

Einer von ihnen ist Michel Garbade. Gemeinsam mit seinen Kolleginnen betreut er die Kinder in der Hasengruppe. Schon als Schüler war ihm klar, dass er beruflich etwas mit Kindern machen möchte. Inspiriert hat ihn sein Praktikum in einer Grundschule. „Mir ist aufgefallen, dass die Arbeit mit Kindern das ist, was mir am meisten Spaß macht. Diese Tätigkeit ist einfach am vielfältigsten. Es gibt nicht diese eine Sache, die ich immer stupide herunterarbeiten muss. Es gibt einen großen Aufgabenbereich, in dem ich mich verwirklichen kann“, sagt Garbade. Weil der Weg in das Grundschullehramt aus seiner Sicht nicht so einfach ist, hat er sich für eine Ausbildung als Sozialassistent entschieden und ist im Anschluss Erzieher geworden.

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„Ich bin Quereinsteiger“, erzählt Georg Schwarzwälder, der sich um die Kinder in der Schmetterlingsgruppe kümmert. „Davor habe ich in einem großen Betrieb im Controlling gearbeitet und damit gebrochen, weil ich mit der Arbeit einfach nicht zufrieden war.“ In der Situation stellte sich für ihn die Frage, wie es weitergeht. „Ich habe resümiert, was mir wirklich Spaß macht und was auch wirklich eine Erfüllung werden kann. Und das ist die Arbeit mit Kindern. So kam es, dass ich beruflich alles hinter mir gelassen und ganz neu angefangen habe“, sagt der 34-Jährige. Dass er damit die richtige Entscheidung getroffen hat, konnte er bereits während verschiedener Praktika merken, die zu seiner Ausbildung als Erzieher gehörten. „Da habe ich festgestellt, es funktioniert, wie ich mit Kindern umgehe und wie sie auf mich reagieren. Das Miteinander funktioniert wunderbar“, sagt Schwarzwälder.

Durch den Kumpel auf die Idee gekommen

Auch Niklaas Hackfeld ist über einen Umweg Erzieher geworden. Nach der Schule hat er eine Ausbildung als Steuerfachangestellter absolviert und anschließend drei Jahre in dem Beruf gearbeitet. Richtig gefallen hat ihm die Tätigkeit aber nicht. „Ein guter Kumpel, der Erzieher ist, hat mich auf die Idee gebracht, diesen Beruf auch zu ergreifen. Ich habe dann meinen Urlaub genutzt, um ein dreiwöchiges Praktikum in einer Einrichtung im Elementarbereich zu machen“, erzählt der 27-Jährige. Dadurch konnte er feststellen, dass der Beruf genau das Richtige für ihn ist. Nachdem er sein Anerkennungsjahr in der Eichhörnchengruppe in diesem Sommer beendet hat, ist er nun staatlich anerkannter Erzieher.

Das Praktikum hat er auch genutzt, um sich mit gesellschaftlichen Themen auseinanderzusetzen. „Als Mann in den Erzieherberuf, ist das das Wahre? Ich war mir da vorher etwas unsicher; auch, ob ich überhaupt mit Kindern arbeiten kann. In der Zeit habe ich aber gemerkt, dass es nichts damit zu tun hat, dass ich ein Mann bin. Als Mann kann ich in dem Beruf arbeiten. Da muss man darüberstehen“, sagt Hackfeld. „Ich finde, das ist ein schöner Beruf und ich bin froh, dass ich die Entscheidung getroffen habe.“

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Ihr Umfeld hat den Berufswunsch größtenteils positiv aufgenommen. „Trotzdem konnte sich von meinen Freunden keiner vorstellen, Erzieher zu werden. Bei den Jungs war das mehr als bei den Mädels, die fanden meinen Berufswunsch eigentlich ganz cool“, sagt Garbade. „Ich habe das Glück, dass Familie und Freunde hinter mir stehen und meine Entscheidung gut finden“, berichtet Hackfeld. „Bei mir sind es eigentlich immer die Extrempole. Entweder ist die Reaktion ‚Der hat komplett einen an der Waffel‘, gerade auch weil ich meinen Job als Controller hingeschmissen habe, oder es gibt eine große Wertschätzung“, erzählt Schwarzwälder.

Wertschätzung erfahren die Erzieher zudem von den Eltern. „Das müssen wir uns auch erarbeiten“, sagt Garbade. „Ich habe aber das Gefühl, wir müssen uns das ein Stück weit mehr erarbeiten als Frauen. Weil Frauen in Kindergärten eine Selbstverständlichkeit sind“, sagt Schwarzwälder. „Das bekommt man beispielsweise in Gesprächen mit den Kindern mit, wie Eltern sich bei ihnen nach uns erkundigen.“ Einen Unterschied gibt es aber, wenn Eltern bereits Geschwisterkinder in der Einrichtungen hatten. „Für sie sind männliche Erzieher Normalität“, sagt Hackfeld.

Für Einrichtungsleiterin Irene Goldschmidt bedeuten ihre männlichen Kollegen Vielfalt. „Mir ist wichtig, dass wir hier viele Rollenbilder haben. Das bereichert einfach, weil von unterschiedlichen Blickwinkeln geguckt wird, wenn wir diskutieren“, sagt die Pädagogin. Wichtig sind Männer auch aus einem anderen Grund. „Wir haben durchaus viele alleinerziehende Mütter“, berichtet die Einrichtungsleiterin. „Für die Kinder ist es positiv, wenn sie in der Kita eine männliche Bezugsperson haben.“ Geschlechterspezifische Aufgabenfelder gibt es in der Einrichtung aber nicht. „Wir haben eine Kollegin, die hat ganz lange den Werkbereich geleitet. Das kann eine Frau genauso gut wie ein Mann“, sagt Goldschmidt.

Dass im Haus Windeck gleich fünf Männer arbeiten, ist kein Zufall. „Wir haben festgestellt, wenn nicht nur ein Mann in der Einrichtung ist, dann fühlen sie sich wohler“, sagt Dirk Sommer. Deshalb achtet der Regionalleiter gemeinsam mit seinen Kollegen darauf, dass bei der Stellenbesetzung nicht ein Mann alleine in einem Kindergarten eingesetzt wird, sondern nach Möglichkeit mindestens zwei in einer Einrichtung sind. „Wenn Männer nicht alleine in einem Team sind, dann werden sie nicht mehr als Randgruppe wahrgenommen und dadurch ganz anders integriert“, sagt Sommer.

„Es ist nicht problematisch, als Mann in einer Kita zu arbeiten“

Entstanden ist dieses Konzept durch den „Arbeitskreis Männer“, für den Sommer zuständig ist. Gegründet wurde die Gruppe 2011 von der damaligen Geschäftsführerin Rosi Fein, weil der städtische Träger seit jeher relativ viele Männer beschäftigt. Bei den Treffen, die ein bis zwei Mal im Jahr stattfinden, haben die Erzieher die Gelegenheit, sich untereinander über ihre Erfahrungen in den Einrichtungen auszutauschen. „Dadurch können wir als Träger feststellen, in welchen Bereichen die Kollegen Unterstützung benötigen. Dabei ist es aber wichtig, dass keine Problematisierung stattfindet: Es ist nicht problematisch, als Mann in einer Kita zu arbeiten“, sagt Sommer, der selbst von Haus aus Erzieher ist. „Die Themen bei diesen Treffen sind wiederkehrend, zum Beispiel: Was mache ich mit meiner Rolle als Mann? Ganz häufig bekommen Männer in den Einrichtungen erst mal einen Hammer in die Hand, weil das eine Bild schon so lange schief hängt“, berichtet Sommer. Die Gespräche führten zu einer Auseinandersetzung mit der eigenen Geschlechterrolle.

Dazu gehört auch, sich mit dem Generalverdacht zu beschäftigen, dass männliche Erzieher pädophil seien. Immer mal wieder wenden sich Eltern deshalb an den Träger und wollen etwa wissen, ob männliche Erzieher alleine mit den Kindern sind und ob sie deshalb Angst um ihren Nachwuchs haben müssen. „Im Gespräch nehmen wir den Eltern ihre Sorgen und erklären ihnen, dass das ein Teil unseres Konzeptes ist und wir in unserer Mitarbeiterschaft eine Vielfalt haben“, sagt Sommer. „Grundsätzlich nehmen Eltern die männlichen Erzieher aber als große Bereicherung war. Auch wenn sie zuvor kritisch waren.“

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Dennoch sind Dirk Sommer und seine Kollegen für den Fall gewappnet, dass Eltern konkrete Verdachtsmomente äußern. „Dafür haben wir ein Verfahren entwickelt, mit dem wir den Vorwurf konkret abarbeiten können“, sagt Sommer. Dazu zählen Gespräche mit den Eltern und eine Supervision mit dem betroffenen Erzieher. Außerdem arbeitet Kita Bremen den Fall mit dem Bremer Jungenbüro und mit Schattenriss auf, die Jungen beziehungsweise Mädchen beratend zur Seite stehen, wenn sie Gewalt oder sexuellen Missbrauch erfahren haben. „Dabei gilt immer die Unschuldsvermutung für den Erzieher. Bisher habe ich es noch nie erlebt, dass sich der Verdacht erhärtet hat“, betont Regionalleiter Sommer.

Bremen über dem Bundesdurchschnitt

Gut zehn Prozent der Mitarbeiter in Bremer Kindertagesstätten sind laut Statistischem Landesamt Bremen männlich. Damit liegt die Hansestadt über dem Bundesdurchschnitt, der bei rund sechs Prozent liegt. Ein reiner Frauenberuf ist der Erzieher also nicht. „Das nimmt die Gesellschaft so wahr, weil viele Frauen den Job machen, da muss ein Umdenken stattfinden. Schon während meines Praktikums konnte ich feststellen, dass der Erzieher auch ein Männerberuf ist“, sagt Niklaas Hackfeld. „Warum sollte das ein Frauenberuf sein? Erziehung hat nicht nur etwas mit der Frau zu tun. Mann und Frau erziehen ein Kind.“ Ähnlich sehen es seine Kollegen. „Wenn man sich den Beruf auf dem Papier anschaut, ist es kein typischer Frauenberuf. Aber wenn man in diesem Bereich arbeitet, sieht das schon anders aus“, sagt Garbade. „Das liegt aber nicht an der Tätigkeit, sondern nur daran, dass wir hier in der Minderheit sind. Ich habe auch schon mal in einer Einrichtung gearbeitet, da war ich der einzige Mann und damit auch der Hahn im Korb. Da merkt man dann doch, dass man irgendwie anders ist“, sagt er lachend.

Auch wenn beide Geschlechter aus seiner Sicht den Beruf gleich gut ausüben, gibt es in der Wahrnehmung trotzdem Unterschiede. „Von früher stammt noch das klassische Bild, dass die Frau sich um die Kinder kümmert und der Mann arbeiten geht“, sagt Georg Schwarzwälder. „Dieses Rollenmodell ist zum Teil noch sehr stark verankert. Das merke ich auch hier in der Einrichtung, wenn die Kinder mich fragen, wo ich eigentlich arbeite. Wenn ich ihnen dann antworte, dass ich wie die Kolleginnen als Erzieher tätig bin, ist es für sie schwer zu verstehen, wie ein Mann genau das macht, was auch Frauen machen.“

In den Einrichtungen von Kita Bremen gibt es zwar deutlich weniger Erzieher als Erzieherinnen, dennoch will der Träger seine Männerquote aber nicht krampfhaft erhöhen. „Wir wollen gute Erzieherinnen und Erzieher haben, die gute Arbeit mit Kindern machen. In diesem Rahmen müssen wir möglichst breit aufgestellt sein, und dazu gehören Männer“, sagt Sommer. Insgesamt beschäftigt der kommunale Träger gut zehn Prozent männliche Erzieher. Dieser Wert hat sich im Laufe der Jahre verstetigt. „Meiner Einschätzung nach werden es in Zukunft nicht viel mehr werden. Das muss es auch nicht. Es darf aber auf keinen Fall weniger werden“, betont der Regionalleiter.

Die Erzieherinnen im Kinder- und Familienzentrum Haus Windeck sind glücklich, männliche Kollegen zu haben. „Für uns Frauen ist das super, dass entspannt häufig die Situation in der Einrichtung“, sagt Kerstin Krieger. Normalität sind sie hingegen für die stellvertretende Einrichtungsleiterin Elisabeth Kuhl-Kruse. „Männer in der Einrichtung zu haben ist für mich normal und nichts Besonderes. Außerdem ist das schon seit ewigen Zeiten so, dass Männer hier sind.“

Die Arbeit mit den Kindern möchte Niklaas Hackfeld nicht missen. „Man bekommt so viel wieder. Und das finde ich wichtig. Im Kindergarten tue ich etwas Gutes, etwa wenn ein Kind mich braucht.“ Auch wenn der Beruf anstrengend ist, erleben die Erzieher jeden Tag schöne Momente. „Ein Junge sagte zu mir, Niklaas, du bist mein Freund“, erzählt Hackfeld. Solche Augenblicke machen den Beruf aus – auch für Männer.

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