Sind Ergebnisse einer Umfrage ein Jahr vor der Wahl schon ein deutlicher Trend oder eher eine Momentaufnahme?
Michael Spreng: Einen Trend kann man aus der Umfrage herauslesen, nämlich, dass die Partie offen ist. In Bremen werden die Kuchenstücke neu verteilt, mit möglicherweise überraschenden Ergebnissen und Koalitionsoptionen jenseits der augenblicklich regierenden. Alles andere ist eine Momentaufnahme.
Das Ziel der CDU bei der Wahl sind 35 Prozent. Davon ist sie mit aktuell 24 Prozent weit entfernt…

Michael Spreng war lange Jahre Chefredakteur der Bild am Sonntag.
Das ist richtig. Aber der Abstand zwischen SPD und CDU ist sehr gering. Und ihr Spitzenkandidat Carsten Meyer-Heder hat seinen Wahlkampf ja noch nicht richtig gestartet. Wenn er ihn gut macht, dann hat er durchaus die Chance, dass die CDU die stärkste Partei wird. Was auch eine Rolle spielt, ist die bundespolitische Schwäche der SPD. Sie strahlt natürlich auch auf die Bundesländer ab. Die 26 Prozent, bei denen die Bremer SPD im Moment laut der Umfrage liegt, sind ja auch wirklich nicht viel.
Die Linken gehören mit 15 Prozent zu den Gewinnern. Halten Sie ein rot-rot-grünes Bündnis für möglich?
Ich kann nicht genau beurteilen, wie nah oder fern sich die drei Parteien stehen. Aber grundsätzlich kann man sagen, dass die Linke auch von der Schwäche der SPD profitiert. Wenn die SPD im Vergleich zu 2015 sieben Prozent verliert, gibt sie natürlich auch Stimmen an die Linken ab. Insbesondere, wenn die Linken ordentliche Oppositionsarbeit machen. Aber ich glaube, dass die Schlüsselfrage des Wahlkampfes sein wird: Wie legt Carsten Meyer-Heder seinen Wahlkampf an?
Mehr als die Hälfte der CDU-Wähler kennt Carsten Meyer-Heder gar nicht. Ist das eine Chance oder ein Risiko?
Natürlich ist es ein Nachteil, so unbekannt zu sein. Carsten Meyer-Heder muss einen Weg finden, seinen Ruf als erfolgreicher Unternehmer zu erhalten und gleichzeitig CDU-Spitzenkandidat sein. Er steht vor dem Spagat, einen Wahlkampf für die CDU, aber dennoch in einer gewissen Distanz zu ihr zu machen. Dieses Kunststück muss er fertigbringen.
Wie macht man denn Wahlkampf für einen Unbekannten?
„Ein neuer Weg für Bremen“ könnte ein Slogan sein. Ein neuer Mann für Bremen, der nicht aus dem Establishment kommt, der nicht belastet ist durch die parteipolitische Vergangenheit. Das kann auch ein Vorteil sein. Mein Rat wäre, den Wahlkampf ganz auf seine Person zuzuschneiden, obwohl er so unbekannt ist.
Ist ein Jahr genügend Zeit, das zu ändern?
Ja, aber Carsten Meyer-Heder muss jetzt tingeln. Er muss auf jeden Markt, zu jedem Volksfest, zu jedem Verein, zu den sozialen Brennpunkten, sich mit den Gewerkschaften treffen und so weiter. Er muss jetzt wirklich jede Minute dafür nutzen, sich bekannt zu machen. Das Ganze sollte er damit verbinden, dass er eine Vision für Bremen entwirft, mit seinen Kernkompetenzen Wirtschaft und Arbeitsplätze. Wenn er jetzt etwa sagt, auch er sei für gebührenfreie Kitas, wäre das keine Kernkompetenz von ihm oder der CDU. Ein Thema wie die Bildungspolitik muss er natürlich auch beackern. Aber da wollen natürlich alle mehr und bessere Bildung, da sind nicht viele Punkte zu erzielen.
Für Carsten Meyer-Heder ist parteipolitisches Agieren neu. Inwieweit ist das ein Risiko?
Wenn ich das mal so sagen darf: Der Ruf der Bremer CDU, was ihre bisherigen Spitzenkandidaten angeht, ist ja nicht der allerbeste. Das heißt, dass ein neuer Mann durchaus eine Chance darstellen kann. Allerdings müssten ihm versierte Fachleute zur Seite stehen, die ihn vor Fallstricken bewahren. Ein Wahlkampf auf seine Person zugeschneidert, mit einem jungen Team, das auch massiv das Internet nutzt: So müsste sein Versuch aussehen.
Eine Frontfrau, auf die alles zugeschnitten wird: So agiert auch die Bremer FDP. Sehen Sie da Konkurrenz?
Das kann für die FDP ein Problem werden. Denn Lencke Steiner verliert durch Carsten Meyer-Heder zwei Alleinstellungsmerkmale. Sie ist nicht mehr neu, und sie ist nicht mehr die einzige erfolgreiche Unternehmerin. Insofern müsste die FDP neben der Ausstrahlung ihrer Spitzenkandidatin mehr auf die Partei setzen, um dieses Manko wieder wettzumachen.
Insgesamt sind die Spitzenkandidaten der Oppositionsparteien vielen Bremern unbekannt. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Das spricht nicht für die Bremer Politik, im Gegenteil! Grundsätzlich werden Personen immer wichtiger, dieser Trend ist ganz klar. Insofern überraschen mich die hohen Unbekanntheitswerte. Es muss also an den beteiligten Personen liegen. Sie haben offenbar bisher keinen nachhaltigen Eindruck hinterlassen.
Wie beurteilen Sie den Trend zur Personalisierung in der Politik? Kommen da nicht doch die Themen zu kurz?
Ich sehe Personalisierung nicht als Nachteil. Die Personen sind ja die Transporteure der Themen. Und je populärer sie sind, und je glaubwürdiger sie auftreten, umso besser können sie auch die Inhalte der Parteien oder ihres eigenen Programms präsentieren. Da gibt es eine Wechselbeziehung. Es gibt aber auch Parteien, bei denen die Personalisierung keine Rolle spielt. Die AfD zum Beispiel punktet mit Antithemen zur etablierten Politik. Für mich gilt aber: Wenn Kandidaten für eine persönliche Wahlkampfführung geeignet sind, sollte man sie auch in den Vordergrund stellen.
Mal ganz grundsätzlich: Was unterscheidet einen Wahlkampf auf Landesebene von einem Wahlkampf auf Bundesebene?
Auf Bundesebene ist es für einen Kandidaten sehr schwierig, die Menschen persönlich zu erreichen. Wie soll er das auch machen? Gerade in einem Stadtstaat kann Wahlkampf, wenn er gut ist, viel näher bei den Menschen sein. Die Wähler sind kompetent, was die Themen angeht, denn sie können das regionale Geschehen gut überblicken. Wenn ein Wahlkampf gut läuft, ist der Kandidat wirklich im Dialog mit den Bürgern. Also nicht von oben herab mit Kundgebungen oder Frontalansprachen. Das haben die Leute ja ohnehin nicht mehr so gerne. Es ist übrigens immer spannender, Wahlkampf für einen Herausforderer zu machen als für einen, der seine Position verteidigen muss.
Warum?
Man kann Themen setzen. Und wenn man gut ist, kann man den Regierungschef vor sich hertreiben und ihn in die Enge treiben. Das politische Feld ist für einen Herausforderer viel offener.
Bislang standen die Bremer immer treu zur SPD, seit 1946 gab es nie eine Regierung ohne sie. Macht das den Wahlkampf für Oppositionsparteien insgesamt schwieriger?
Ich habe 2004 Wahlkampf für Jürgen Rüttgers in Nordrhein-Westfalen gemacht. Da hatten wir eine ähnliche Situation, die SPD regierte seit 1966, und am Ende hat Rüttgers gewonnen. Parteien, so lange sie an der Macht sind, haben hohe Verschleißerscheinungen. Sie fühlen sich häufig zu sicher, sie sind zu selbstverliebt. Insofern sind sie auch durchaus zu knacken.
Die Fragen stellte Nina Willborn.
Michael H. Spreng ist Journalist und Wahlkampfberater. Der heute 69-Jährige war zwischen 1989 und 2000 Chefredakteur der Bild am Sonntag. Im Jahr 2002 managte er den Wahlkampf des Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber (CSU).
Weitere Informationen
Die Umfrage
Das Institut Infratest-Dimap hat im Auftrag des WESER-KURIER vom 13. bis zum 18. April 1002 zufällig ausgewählte Wahlberechtigte im Land Bremen telefonisch befragt. Alle Daten der repräsentativen Umfrage stellen wir seit Dienstag in vier Folgen vor.