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Mit dem Taxi durch den Streik "Der ganz große Ansturm ist ausgeblieben"

Während sich viele Menschen über den lahmgelegten ÖPNV ärgern, bedeutet der Warnstreik für Taxiunternehmen mehr Umsatz. Wie Bremer Fahrer diesen Tag erleben.
27.03.2023, 15:45 Uhr
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Von Kristin Hermann

Der Tag beginnt für Ismail Özbürün deutlich früher als sonst. Um 5 Uhr betritt der Geschäftsführer von Taxi Roland die Zentrale in der Duckwitzstraße, um sicherzugehen, dass zum Schichtwechsel alles glatt läuft. Die nächsten Stunden sind wichtig für sein Unternehmen, denn viele Menschen, die sonst mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind, weichen aufgrund des Großstreiks der Gewerkschaft Verdi und der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) auf das Taxi aus. Özbürün rechnet am Morgen noch mit 50 Prozent mehr Aufträgen, alle 60 Fahrzeuge des Unternehmens werden unterwegs sein. "Wir haben zusätzlich zu unseren festen Fahrern alle Aushilfen rekrutiert, die wir bekommen konnten", sagt er.

Doch auch die müssen unter den erschwerten Bedingungen erst einmal zur Arbeit kommen. "Die Kollegen aus der Nachtschicht haben heute ausnahmsweise alle Mitarbeiter der Frühschicht von zu Hause abgeholt", sagt Özbürün. Um 6 Uhr sind deshalb die meisten pünktlich da – noch einen schnellen Kaffee oder Tee, dann geht es rein ins Fahrzeug und raus auf die Straße.

Zumindest für fast alle. Zwei Mitarbeiter von ihnen haben ihren Arbeitsplatz eine Etage über dem Aufenthaltsraum in der Duckwitzstraße. Heinfried Suling und Sakir Kula sind Disponenten bei Taxi Roland, ohne sie läuft praktisch nichts. Bei ihnen gehen Kundenanrufe ein, außerdem koordinieren sie von ihren Bildschirmen aus die zu vergebenen Fahrten an die Taxis, die in der Stadt unterwegs sind. Bereits in den vergangenen Tagen sind dort die Leitungen heiß gelaufen. "Dadurch, dass der Streik mehrere Tage im Voraus angekündigt gewesen ist, haben viele Menschen Vorkehrungen getroffen und vorbestellt", sagt Suling. Noch sind einige der Fahrzeugsymbole auf seinem Monitor grün, ein Zeichen dafür, dass das jeweilige Taxi nicht belegt ist. Wenig später wird das schon anders aussehen.

Firmen lassen Mitarbeiter zur Arbeit bringen

Wer wohin unterwegs ist, kann auch Taxifahrer Michael Trey auf seinem kleinen Bildschirm am Armaturenbrett verfolgen. Seit 20 Jahren arbeitet er für das Unternehmen, hat schon den ein oder anderen Streik miterlebt. Ihn bringt so schnell nichts aus der Ruhe, sagt er – auch keine ungeduldigen Kunden, die ihm ihr Leid klagen und genervt sind, weil mal wieder keine Bahn fährt oder ihr Flieger ausfällt. Als Taxifahrer ist man immer auch ein bisschen Therapeut. An diesem besonderen Tag übernimmt Trey eines der geräumigen Großraumtaxis. Normalerweise werden damit zum Beispiel Crewmitglieder von Fluggesellschaften zum Bremer Airport gefahren, doch dieser wird am Montag ebenfalls bestreikt. "Dafür lassen andere Unternehmen ihre Mitarbeiter von A nach B bringen", sagt er.

Eine dieser Fahrten führt Trey nach Gröpelingen. Dort hat eine Zeitarbeitsfirma ein Taxi für drei Arbeitskräfte geordert, sie müssen zum Bahnhof, wo sie ein vorbestellter Bus an ihrem Einsatzort bringen soll. Dass sie es heute etwas komfortabler als sonst haben, kommt den Dreien ganz gelegen, erzählen sie. Als sie ins Auto steigen, fängt es kurzzeitig heftig an zu schneien. Ein anderer Mann hat dagegen das Nachsehen. Er hatte eine Chance gewittert, als er die Männer ins Treys Taxi steigen sieht, und gehofft, es handele sich um eine Art Ersatzbus.

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Unterwegs auf Bremens Straßen sieht man immer wieder vereinzelt Leute oder kleine Grüppchen, die an Haltestellen und am Straßenrand auf ihre Mitfahrgelegenheiten warten. Das große Chaos bleibt am Montag hingegen aus. Der Verkehr rollt größtenteils, die meisten Leute scheinen sich darauf eingestellt zu haben, dass sie anders als sonst an ihr Ziel kommen müssen. "Das Thema ging schließlich schon seit ein paar Tagen durch die Medien", sagt Trey.

Unternehmen hatten mit mehr Umsatz gerechnet

Taxi-Chef Ismail Özbürün zieht mittags ein Zwischenfazit: "Der ganz große Ansturm ist ausgeblieben. Wir haben mit deutlich mehr gerechnet und hätten im Nachhinein nicht alle Fahrzeuge benötigt", sagt er. Ähnlich fällt das Urteil beim größten Anbieter der Stadt, Taxi-Ruf Bremen, aus. "Wir haben mehr Umsatz als sonst gemacht, aber der ein oder andere Fahrer hat sicherlich auf noch mehr Kundschaft gehofft", sagt Vorstandsmitglied Ingo Heuermann. Beim BSAG-Streik Anfang März sei die Nachfrage deutlich höher gewesen. "Wahrscheinlich, weil die Ankündigung kurzfristiger kam und zudem keine Osterferien waren", vermutet Heuermann.

So bleibt an diesem Tag trotz Streik Zeit für Spontanfahrten. Und siehe da, das volle Ausmaß des Warnstreiks ist doch nicht bei jedem angekommen. Gegen kurz nach 8 Uhr steigen in Findorff eine junge Frau und ein junger Mann in das Taxi von Michael Trey. Sie haben in der Gastronomie gearbeitet und den Rest der Nacht mit Freunden durchgemacht – nun wollen sie nur noch ins Bett. Dass es für sie heute nur wenige Alternativen zum Taxi gegeben hätte, scheint an ihnen vorbeigegangen zu sein, und so richtig kümmert sie das auch nicht. Von dem Rest des Streiktages werden sie ohnehin nicht mehr viel mitbekommen.

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