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Eine Bremer Geschichte Nach dem Ankommen kommt das Weitergehen

Vor zwei Jahren schrieb der Syrer Farhan Hebbo eine Kolumne für den WESER-KURIER über seinen Neuanfang in Bremen. Wir haben ihn erneut getroffen. Ist seine Familie wirklich angekommen?
27.01.2018, 14:13 Uhr
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Nach dem Ankommen kommt das Weitergehen
Von Alice Echtermann

Zwei Jahre sind vergangen, und auf den ersten Blick hat sich nichts geändert. Nicht der Bremer Marktplatz, wo Kinder an diesem grauen Januartag den Seifenblasen eines Straßenkünstlers nachjagen. Und auch der ältere Mann mit dunkelgrüner Jacke und Brille, der mit den Händen in den Taschen zum Roland schlendert, sieht noch aus wie damals.

Die Zeit hat die Stadt und Farhan Hebbo äußerlich nicht verändert. Doch natürlich ist viel geschehen in diesen zwei Jahren. Anfang 2016 schrieb der heute 68-Jährige eine wöchentliche Kolumne für den WESER-KURIER über seinen Neuanfang in Bremen. Hebbo ist 2014 mit seiner Familie vor dem Krieg in Syrien geflohen. Mit einem scharfen Blick für die kleinen Dinge des Alltags, einer großen Botschaft für Frieden und Versöhnung und einem lyrischen, für deutsche Leser ungewohnten Schreibstil berührte er mit seinen Texten viele Menschen in Bremen.

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Als die Kolumne im Sommer 2016 endete, fing sein Neuanfang erst richtig an. In der Bremer Kulturszene hat Farhan Hebbo es inzwischen zu einer gewissen Berühmtheit gebracht. Er trat in der Shakespeare Company auf, im Institut Francais, in der Villa Ichon, in der Stadtbibliothek. Seine Gedichte und Geschichten über Flucht und Menschlichkeit übersetzt er mit Hilfe deutscher Freunde und trägt sie bei interkulturellen Veranstaltungen vor.

Einen seiner neueren Texte hat er vorab per Mail geschickt. Vielleicht könnte der WESER-KURIER ihn veröffentlichen, bittet er. Es ist eine Fabel, ein Zwiegespräch zwischen einem Bleistift und einem Radiergummi – ein Text über das Schreiben:

Der Radiergummi sagt zum Bleistift: „Wie geht es dir, mein Freund?“

Der Stift reagiert wütend: „Ich bin nicht dein Freund. Ich hasse dich.“

Überrascht und traurig fragt der Radiergummi: „Aber warum? Warum hasst du mich denn?“

Darauf antwortet der Stift: „Ich hasse dich, weil du ausradierst, was ich schreibe.“ „Aber“, beruhigt ihn der Radiergummi, „ich radiere doch nur die Fehler aus.“

Die beiden streiten sich. Etwas auszuradieren sei keine richtige Arbeit, findet der Stift. Der Radiergummi widerspricht: Fehler zu erkennen sei genauso wichtig wie das Schreiben. Und wie bei jeder Fabel folgt am Ende die Moral. Die beiden Streitenden erkennen, dass sie etwas gemeinsam haben: Je mehr sie schreiben oder ausradieren, desto kleiner werden sie selbst.

„Wir beide“, sagt der Radiergummi, „können anderen eben nur dann nützen, wenn wir Opfer bringen.“ Und er schaut den Stift voller Zärtlichkeit an und fragt: „Hasst du mich jetzt immer noch?“

Da hellt sich die Miene des Bleistifts auf und er sagt: „Wie kann ich dich hassen, wo uns unser Opfer zusammengebracht hat.“

Der Radiergummi antwortet ihm: „Es ist wahr, jeden Tag, den du aufwachst, bist du allerdings etwas kürzer. Aber ich habe eine Idee für dich. Wenn es dir mal nicht mehr gelingt, ohne Fehler über das Glück der Menschen zu schreiben, dann könntest du vielleicht als sympathischer, begabter Radiergummi arbeiten, indem du die Sorgen der Menschen einfach ausradierst und die Hoffnung verbreitest, dass das nächste Jahr besser und schöner wird.“

„Neujahrsgrüße“ hat Farhan Hebbo diese Botschaft genannt. Jeder könne seine Geschichte anders interpretieren, sagt er. „Meine Frau hat sie negativ verstanden.“ Doch so sei sie nicht gemeint. Es gehe um Versöhnung. Darum, die Wahrheit des anderen zu akzeptieren. „Ich sage immer: Die Wahrheit ist ein Gebirge. Jeder Mensch schaut von einer Seite darauf, aber kann nicht sehen, was auf der anderen Seite ist.“

Wenn Hebbo über das Schicksal von Einzelnen schreibt, meint er immer das große Ganze. „Wir sind alle Menschen.“ Es ist exakt dieser Satz, den er vor zwei Jahren bei seinem ersten Interview sagte. Farhan Hebbo ist in Bremen angekommen, nicht nur auf den ersten Blick. Doch seine Heimat wird immer Syrien sein. „Ich bin wie ein Baum, meine Wurzeln sind dort tief eingegraben.“ Alte Bäume soll man nicht verpflanzen, lautet auch eine deutsche Redensart. Bei Farhan Hebbo mag der Wechsel geglückt sein, aber er hat Narben hinterlassen.

"Die Probleme haben sich verändert"

Seine erwachsenen Kinder haben eine flexiblere Vorstellung von Heimat; sie wollen sich in einem neuen Land eine Zukunft aufbauen. Die 22-jährige Tochter studiert inzwischen in Hamburg, die jüngere, 19 Jahre alt, will eine Ausbildung zur Erzieherin machen. Seine Frau besucht Integrationskurse, hat aber Schwierigkeiten mit der Sprache. „Aber jetzt wollen sie endlich einen Kurs nur für ältere Leute aufmachen“, sagt Hebbo.

Sorgen macht ihm auch sein Jüngster, 15 Jahre alt. Er habe Probleme, dem Schulunterricht auf Deutsch zu folgen. Und er sei zu schüchtern, um viele Freunde zu finden. Viele Freunde zu finden – damit hat Farhan Hebbo keine Probleme. Sein Wunsch, die Sorgen der Menschen auszuradieren, treibt ihn an. Im Quartierszentrum Huckelriede arbeitet er ehrenamtlich als Sprach- und Kulturmittler und hilft Flüchtlingen im Alltag als Übersetzer.

Das hat er damals schon gemacht, vor zwei Jahren. Und auch wenn auf den ersten Blick vieles scheint wie damals, sieht er die Unterschiede. Viele haben Sprachkurse absolviert und stehen jetzt vor der Entscheidung, eine Ausbildung, einen Job oder ein Studium zu beginnen. „Die Probleme haben sich verändert“, sagt Farhan Hebbo. „Es geht jetzt darum, wie es weitergehen soll.“

Die Kolumnen von Farhan Hebbo finden Sie hier

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