Nach dem Fund acht weiterer Skelette auf dem früheren Friedhofsareal an der Reitbrake bekräftigen das Bremer Friedensforum und die Bürgerinitiative Oslebshausen und umzu ihre Forderung, die Grabungen auf eine Fläche von 20.000 Quadratmetern auszuweiten. Dazu sieht die Landesarchäologie allerdings keinen Anlass. Zur Begründung verweist Behördenleiterin Uta Halle auf ein zeitgenössisches Luftbild. Auf diesem seien keine Anzeichen für weitere Gräber zu erkennen. Zugleich macht Halle aber klar, dass im Falle von Baumaßnahmen auf dem Gelände die Landesarchäologie mit von der Partie sein werde.
Unterdessen warnt der Verband der Gedenkstätten in Deutschland vor vorschnellen Reaktionen. "Es ist wichtig, ruhig und besonnen vorzugehen", sagt der stellvertretende Sprecher Andreas Ehresmann, Leiter der Gedenkstätte Lager Sandbostel. Erst einmal müssten die Ergebnisse der Grabungen abgewartet werden. Irgendwelche Zweifel an der Qualität der archäologischen Arbeit hält Ehresmann für unbegründet. Halle sei eine sehr kompetente Archäologin, ihrer Expertise könne man vertrauen.
Angesichts des öffentlichen Streits um den weiteren Umgang mit dem früheren Friedhof für sowjetische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter rät Ehresmann zu einer externen Moderation. Sein Vorschlag: ein neuer runder Tisch unter Einbeziehung der verschiedenen Akteure und möglicherweise der Bremer Landeszentrale für politische Bildung, des Bundesverbands der Gedenkstätten, des Volksbunds Deutscher Kriegsgräberfürsorge und der Gegner einer Bebauung. "Man sollte gemeinsam überlegen, was man dort oder an anderer Stelle machen will, um dann einen würdevollen, gemeinsamen und sinnvollen Umgang zu finden."
Baubehörde sagt Termin wegen "unerträglicher Entgleisungen" ab
Einen Runden Tisch mit lokalen Interessenvertretern hatte es schon mal gegeben. Wegen "unerträglicher Entgleisungen" der Bürgerinitiative hatte die Baubehörde den letzten Termin im Juli 2021 kurzfristig abgesagt. Die Bebauungsgegner verlangen jetzt, eine Expertenkommission aus Historikern, Völkerrechtlern und Ethikern einzusetzen.
Mindestens 300 Kriegstote werden nach Rechnung von Friedensforum und Bürgerinitiative noch vermisst. Die Suche nach ihnen müsse dringend fortgesetzt werden. Beide Initiativen gehen davon aus, dass die NS-Opfer nicht nur auf der aktuellen Grabungsfläche beerdigt wurden – sondern zusätzlich außerhalb dieses "sogenannten Kernfriedhofs", wie es in ihrer gemeinsamen Pressemitteilung heißt. Fazit: "Es dürfte nicht ausreichen, etwaige Baumaßnahmen archäologisch zu begleiten, wie es bisher vorgesehen ist."
Auch der "Kernfriedhof" könnte nach Ansicht von Friedensforum und Bürgerinitiative noch Überraschungen bergen. Als Indiz wird der Fund der neun Skelette "in tieferen Schichten" gewertet. Aus Sicht von Friedensforum und Bürgerinitiative ein klarer Hinweis darauf, dass das Gelände über Jahre mit Wesersand aufgespült wurde. Und zwar auch während der Friedhofsnutzung, nicht nur vor und nach dem Krieg. Dem widerspricht Landesarchäologin Halle; es gebe "überhaupt keinen Hinweis" auf Spülungen im Zweiten Weltkrieg. Der Senatsmitteilung zufolge wurde auch nur das erste Skelett "in einem sehr tief liegenden Grab" gefunden, die acht anderen Gebeine in einem 1,2 Meter tiefen Graben.
Die Landesarchäologin stört sich zudem an der Verwendung des Begriffs "Kernbereich" oder "Kernfriedhof" für das 3500 Quadratmeter große Areal, das seit August 2021 untersucht wird. Dieser Bereich sei das umzäunte Friedhofsgelände gewesen, dagegen das 20.000 Quadratmeter-Areal die projektierte Fläche bei Anlage des Friedhofs 1941. Also die Erweiterungsfläche für eine mögliche Friedhofsvergrößerung.
Bürgerinitiative und Friedensforum sprechen sich für eine Gedenkstätte auf dem Gelände in Oslebshausen aus. "Alles andere würde die Opfer und ihre Angehörigen verhöhnen", sagt Ekkehard Lentz vom Friedensforum. Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) favorisiert einen Gedenk- und Erinnerungsort auf dem Friedhof Osterholz als der zentralen Gedenkstätte für alle Kriegsopfer.
Dieter Winge von der Bürgerinitiative kritisiert Bovenschulte für sein Festhalten an der Reitbrake als Standort einer Bahnwerkstatt des französischen Bahnkonzerns Alstom. "Er hat alles auf eine Karte gesetzt und offenbar keinen Plan B." Es werde höchste Eisenbahn, sich um Alternativen für die geplante Bahnwerkstatt zu kümmern. Unterstützt werden die Bebauungsgegner von den Linken. Auf ihrem Landesparteitag am Wochenende hat die Koalitionspartei eine "kritische Haltung" des rot-grün-roten Senats gegenüber dem Bauvorhaben eingefordert.