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Naturschutz Was wurde aus dem Schlammpeitzger im Hollerland? – Eine Spurensuche

Vor gut zwei Jahrzehnten sorgte in Bremen ein unscheinbarer Fisch für Furore: Der bedrohte Schlammpeitzger stand der Erweiterung des Technologieparks Richtung Hollerland im Wege. Was wurde aus ihm?
14.03.2022, 05:00 Uhr
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Was wurde aus dem Schlammpeitzger im Hollerland? – Eine Spurensuche
Von Joerg Helge Wagner

Meistens bleibt er unsichtbar, und doch ist er vor rund zwei Jahrzehnten quasi zum Wappentier eines erbitterten politischen Streits in Bremen geworden: der Schlammpeitzger. Das Besondere an dem bis zu 30 Zentimeter langen Fisch ist, dass er sich gerne im Schlamm von Süßwassergräben verbirgt, durch den Darm atmen kann und auf der Roten Liste der bedrohten Tierarten steht. Daran scheiterte letztlich die Erweiterung des Technologieparks auf dem Universitätsgelände nach Norden: über die Autobahn A 27 hinaus ins Hollerland, ein von unzähligen Gräben durchzogenes Naturschutzgebiet.

Und wie geht es dem bedrohten Fisch heute? Die Bestände ermittelt im Auftrag des Umweltressorts die Hanseatische Naturentwicklung GmbH (Haneg), die letzten Daten stammen aus dem Jahr 2020. Da Blockland, Hollerland und Seehausen von hunderten Gräben durchzogen sind, müssen Stichproben hochgerechnet werden. In begrenzten Räumen stellt man dem Schlammpeitzger dafür per Elektrobefischung nach: Ein besonderer Kescher baut im Wasser eine elektrische Spannung auf, die den Fisch "kurz benebelt", wie Haneg-Geschäftsführerin Petra Schäffer sagt. Nach dem Vermessen und Registrieren darf er wieder zurück in den Schlamm.

Alle drei Jahre werden die Vorkommen von gefährdeten Fischarten wie Schlammpeitzger, Steinbeißer und  Bitterling in Bremen untersucht. Das geschieht in den vier Natura-2000-Schutzgebieten Hollerland, Blockland, Werderland und Niedervieland. Die Erhebungen finden auf Probestrecken von jeweils 50 Meter Länge statt, je nach Größe des Gebietes variiert die Anzahl der Probestrecken zwischen 22 im Hollerland und 60 im Blockland.

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Zu den Ergebnissen für den Schlammpeitzger im Hollerland sagt Schäffer: "Die Entwicklung ist als positiv zu bewerten." 2020 habe der aus den Probestrecken erhobene Mittelwert bei 241 Fischen pro Hektar Fläche gelegen. Im Blockland wurden 2019 immerhin 89 Fische pro Hektar ermittelt. "Im Niedervieland hatte der Schlammpeitzger 2019 den Verbreitungsschwerpunkt in kleinen, stark bewachsenen Gräben", berichtet Schäffer. "Auch im Werderland konnte die Art in 2020 wieder nachgewiesen werden."

Zur Erholung der Bestände habe auch das ökologische Grabenräumprogramm beigetragen, sagt Linda Neddermann, Sprecherin des Umweltressorts. Die Gräben werden nach einer Begehung vorsichtig mit Mähkörben freigehalten. Biologen begleiten das Ganze und setzen Krebse, Muscheln und anderes Getier wieder zurück.

Rund um die Friesenmetropole Emden betrieb man Ende 2019 noch wesentlich mehr Aufwand, um den Schlammpeitzger in den Gräben wieder anzusiedeln. Rund 1200 nachgezüchtete Exemplare wurden vom niedersächsischen Anglerverband ausgesetzt. Im zweiten Versuch, denn beim ersten Mal waren ein paar kleine Hechte mit in den Zuchtteich gerutscht, und die haben – völlig unökologisch – sämtliche Schlammpeitzger einfach verputzt. Danach gelang es jedoch, in nur einem Jahr aus zwölf neuen Exemplaren die hundertfache Menge zu generieren – offenbar tobt im Schlamm ein reges Geschlechtsleben.

Ganz billig war die Aktion nicht, an der sich auch die Stadtwerke Emden beteiligt hatten: Bei 36.000 Euro ergibt das 30 Euro pro Schlammpeitzger. In Bremen sei so etwas nicht notwendig, sagt Birgit Olbrich vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). "Der Schlammpeitzger ist für Angler uninteressant."

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Aktuell gibt es offenbar keine Konflikte zwischen Bauvorhaben und Naturschutz, welche die Dimension der Auseinandersetzung um das Hollerland haben. Das wurde wegen der Vorkommen von Schlammpeitzger, Steinbeißer, Grüner Mosaikjungfer und Keilflecklibelle von der damaligen Großen Koalition doch noch komplett als Flora-Fauna-Habitat (FFH) an die EU gemeldet. "Seit 21 Jahren gibt es keine Bauvorhaben mehr in FFH-Gebieten", sagt Olbrich. "Schwierig" sei der Bau der A 281 in Niedervieland gewesen, aber die Gräben nördlich der Ochtum hätten eben keinen FFH-Status.

Meldeprobleme im Bereich der FFH-Gebiete, wie einst beim Hollerland, seien nicht bekannt, sagt auch Florian Scheiba vom Naturschutzbund Nabu. "Alle Gebiete sind soweit uns bekannt ausgewiesen und auch gesichert." Aktuell sei eher "der andauernde Flächenfraß" ein Problem.

Und der Technologiepark an der Uni? Nachdem Schlammpeitzger und Co. die Expansion nach Norden gestoppt hatten, hieß es: Go West, über den Kuhgrabenweg bis an den Stadtwaldsee (im Volksmund "Unisee"). Bis zum Hochschulring wurde mit dem Segen des Oberverwaltungsgerichts 2004 schon mal die Gehölzfläche "Uniwildnis" gerodet, um den Campingplatz zu verlegen. Die Westerweiterung des Technologieparks scheiterte dann aber doch am Widerstand der Bürger und an den Kosten. Nun soll es also Richtung Süden gehen, in die "Horner Spitze", jenseits der Konrad-Zuse-Straße und der Bahnlinie. Das Problem: Hier will der Verein "Kinder, Wald und Wiese" sein ländliches Idyll bewahren und nicht weichen. Fortsetzung folgt.

Zur Sache

Kleine Bau-Bremsen

Der Schlammpeitzger stand beziehungsweise lag 2014 auch in Hamburg-Harburg dem Bau eines Logistikparks im Wege, im Jahr darauf dem Ausbau der Autobahn A20 bei Kollmar in Schleswig-Hollstein. Wiederum in Hamburg behinderte die Zierliche Tellerschnecke (Durchmesser 4 Millimeter) Planungen für ein Gewerbegebiet. Der Wachtelkönig bremste unterdessen eine geplante Großsiedlung im Stadtteil Neugraben ein.

Die Hufeisennase, eine Fledermausart, stoppte eine Zeit lang den Bau der Dresdner Waldschlößchenbrücke. Beim Ausbau des Flughafens Frankfurt-Hahn flatterte den Planern die Mopsfledermaus dazwischen. Feldhamster blockierten in Mainz jahrelang den Bau eines Gewerbeparks. In Mannheim scheiterte an ihnen die Erweiterung des Messegeländes und in NRW verhinderten sie ein Kohlekraftwerk. 

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