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100-Jährige blickt auf ihre Leben zurück "Noch mal jung sein? Nein, danke."

Gertrud Ehlers ist 100 Jahre alt. Sie macht immer noch regelmäßig Sport, trifft sich mit Freunden und singt im Chor. Was ihr Geheimnis ist, verrät sie im Interview mit Silke Hellwig.
23.11.2015, 00:00 Uhr
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Gertrud Ehlers ist 100 Jahre alt. Sie macht immer noch regelmäßig Sport, trifft sich mit Freunden und singt im Chor. Was ihr Geheimnis ist, verrät sie im Interview mit Silke Hellwig.

Frau Ehlers, Sie sind im Oktober 100 Jahre alt geworden. Das allein ist schon was, aber noch dazu sind Sie offenbar eine ganz besondere 100-Jährige.

Gertrud Ehlers: Ich? Nein. Wieso?

Es mag immer mehr Menschen geben, die 100 Jahre alt und älter werden, aber wie viele davon gehen noch zu Fuß zum Sport wie Sie?

Das kann sein, dass das nicht mehr so viele schaffen. Und das ist nicht alles: Sie spielen auch noch regelmäßig Karten mit Ihren Freundinnen und singen in einer Singgruppe des ATSV Bremen 1860. Ich weiß nicht, ob man das Singen nennen kann, ich brummel halt so mit.

Was müsste ich tun, um mit 100 auch noch so munter und agil zu sein wie Sie?

Das weiß ich beim besten Willen nicht. Ich hatte vermutlich gute Gene. Mein Vater ist auch über 90 Jahre alt geworden.

Das ist alles? Sie sind weder Nichtraucherin noch Abstinenzlerin?

Ich rauche schon seit vielen Jahren nicht mehr, aber ich habe früher einmal geraucht. In meiner Zeit als Hilfsschwester im Lazarett. Da haben wir geraucht, um uns wachzuhalten. Und zu einem kleinen Schnaps gelegentlich sag ich auch nicht Nein. Ein lüttscher Schluck in the Morningtime is better als den ganzen Tag gar kein’.

Also verdanken Sie Ihr hohes Alter nicht einem übermäßig gesunden Leben?

Nun ja, ich habe mein Leben lang Sport getrieben. Ich habe geturnt und noch bis vor Kurzem Prellball gespielt. Bis vor ein paar Jahren bin ich auch noch Rad gefahren, aber das wurde mir dann zu gefährlich. Bewegung ist wichtig. Manchmal habe auch ich keine Lust, vor die Tür zu gehen, aber dann sage ich mir: Trudel, geh wenigstens um den Pudding, und dann gehe ich um den Pudding. Aber es ist schon auch ein großes Glück, dass ich in meinem Alter noch alleine mit dem Leben fertig werde und nicht auf andere angewiesen bin.

Vielleicht steckt auch eine besondere Einstellung zum Leben dahinter. Haben Sie eine Maxime?

Ich nehme hin, was ich nicht ändern kann. Das hat mich mein Leben lang geleitet. Wenn der eine Weg versperrt war, habe ich versucht, einen anderen zu finden. So habe ich mich ganz gut durch meine 100 Jahre durchgeschummelt. Ich habe es im Leben eigentlich immer gut gehabt.

Welches waren die schwersten Zeiten in diesen 100 Jahren?

Für mich war das die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Ich habe den Krieg in Bremen erlebt, das war schon schlimm. Aber die Jahre danach, in den Trümmern, mit Hunger und Kälte, die habe ich als besonders furchtbar in Erinnerung.

Man kann kaum beschreiben, wie sehr sich die Welt während Ihrer Lebenszeit verändert hat. Als Sie Kind waren, gab es noch einen deutschen Kaiser.

Ja, es ist enorm, was man alles erlebt hat. Ich kann mich noch genau erinnern, wie vor dem Bahnhof die Kutschwagen mit den schwarzen Verdecken standen. Und heute fliegen wir einfach so zum Mond und zum Mars. Unvorstellbar, was in 100 Jahren sein wird. Wahrscheinlich zählt der Mensch dann gar nichts mehr.

Ist es das, woran die Gesellschaft krankt, eine Art von Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst?

Der Mensch tut jedenfalls alles, um sich selbst überflüssig zu machen.

Ist es ein Glück, so alt zu werden?

Jein, würde ich sagen. Was sehr unglücklich macht, ist, dass alle um einen herum von einem gehen und man ganz alleine zurückbleibt. Mein Mann ist schon seit einigen Jahren tot, alle meine gleichaltrigen Freunde sind gestorben. Wenn einer nach dem anderen stirbt, ist das gar nicht so leicht zu verkraften. Andererseits genieße ich jeden Tag; es gibt genug, woran man sich erfreuen kann, man muss nur die Augen aufmachen.

Woran erfreuen Sie sich?

Vor allem an der Natur, jetzt diese Tage, in denen sich das Laub färbt – das ist doch wunderschön. Man darf nur nicht daran vorbeidösen, man muss auch hingucken.

Befürchten Sie Jahr für Jahr, Sie könnten nur noch dieses eine Mal sehen, wie sich das Laub färbt?

Nein, gar nicht. Ich verschwende keine Gedanken an den Tod. Wenn ich abends ins Bett gehe, denke ich: Wäre ganz schön, wenn du morgen wieder aufwachst, denn sonst bist du tot. Man kann es sich ja doch nicht aussuchen.

Nimmt man genug Rücksicht auf Sie und Ihr Alter?

Eigentlich schon. Trotzdem kann ich manches einfach nicht mehr mitmachen. Ich habe zum Beispiel keinen Computer, davon hängt heutzutage viel ab. Und es gibt auch andere Themen, bei denen ich nicht mehr mitreden kann. Und jetzt mag ich nichts Neues mehr anfangen, das hätte ich vielleicht vor 20 Jahren tun müssen.

Wären Sie gerne noch mal jung?

Das Ganze noch mal durchleben? Nein, danke. Ausschnittsweise hätte ich nichts dagegen, noch mal 20 zu sein. Die ersten Ehejahre würde ich gerne noch einmal erleben, obwohl schon Krieg war. Aber ich habe damals als Hilfsschwester gearbeitet, das hat mir viel Freude bereitet. Ich wäre für mein Leben gerne Kranken schwester geworden. Aber mein Vater meinte, das sähe er nicht so gerne und so wurde ich Stenotypistin.

Was sind die Vorteile Ihres hohen Alters?

Ich bin immer gelassener geworden, im Laufe der Jahre. Ich nehme das Leben, wie es kommt. Das ist nichts für junge Leute, die gehen immer gegen alles an. Erst wenn man älter wird, kann man sich besser mit Dingen abfinden. Ich will nichts mehr erreichen, ich muss mich nicht mehr beweisen, das vereinfacht das Leben doch sehr.

Allerdings können Sie morgens auch nicht mehr aus dem Bett hüpfen . . .

Hüpfen? Nein, das nicht. Aber deshalb gehe ich ja zum Sport beim Sportverein Bremen 1860, da wird gehüpft. Das Alter schränkt mich natürlich schon ein. Manchmal denke ich: Warum kannst du das plötzlich nicht mehr, gestern ging es doch noch.

Zum Beispiel?

Meine Augen sind nicht mehr gut, ich kann nicht mehr gut lesen. Und was mich furchtbar ärgert, wenn ich irgendetwas irgendwo herunterholen will und mir den Hocker hole. Aber ich komme einfach nicht mehr auf ihn drauf . . .

Sie wollen mit 100 Jahren noch auf einem Hocker herumturnen?

Wenn ich es könnte, würde ich es tun. Aber ich muss dann die Leiter nehmen.

Und sonst – gibt es noch etwas?

Ich muss feststellen, dass sich eine gewisse Bequemlichkeit einschleicht. Früher habe ich immer in einem Lexikon nachgeschlagen, wenn ich auf etwas stieß, das ich nicht kannte oder verstand. Heute denke ich: Ach, was soll’s, du musst auch nicht alles verstehen.

Das Gespräch führte Silke Hellwig.

Zur Person: Gertrud Ehlers (100) ist in Bremen geboren und hat eine Ausbildung zur Stenotypistin gemacht. Sie hat zwei Kinder, zwei Enkel und einen Urenkel.

In unserem Wochenschwerpunkt geht es um das Thema "Senioren".

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