2143 Gewalttaten registrierte die Polizei Bremen für das vergangene Jahr. Darunter ein Anstieg von häuslicher Gewalt um rund 16 Prozent, acht Prozent mehr Vergewaltigungen und sexuelle Übergriffe als im Vorjahr – und auch Kapitaldelikte wie Mord und Totschlag nahmen zu. Solche Zahlen verfolgt Uwe Hellpap aufmerksam. Er ist seit November vergangenen Jahres Opferschutzbeauftragter des Landes Bremen und damit offizielle Anlaufstelle für Opfer von Gewalttaten und sogenannten Großschadenslagen wie Terroranschlägen. "Die steigende Zahl physischer und psychischer Gewalt betrifft meine Arbeit sehr direkt", sagt der 53-Jährige.
Mitte Mai etwa sorgte ein Messerangriff in der Innenstadt für Aufsehen. Ein 24-Jähriger soll laut Polizeiangaben auf eine 46-jährige Frau eingestochen haben. "Solche Gewalttaten sind natürlich nicht alltäglich. Umso wichtiger ist es, dass es in solchen Fällen eine Anlaufstelle gibt, die langfristige Hilfe verspricht", betont Hellpap. Sei eine Kontaktaufnahme gewünscht, reiche für die Opfer ein Anruf oder eine E-Mail aus. Der Opferschutzbeauftragte berät die Betroffenen zu rechtlichen oder organisatorischen Fragen und vermittelt an weitere Hilfs- und Beratungsangebote. Zwar gebe es insbesondere in Bremen viele ehrenamtliche Vereine und Einrichtungen, die Koordination der unterschiedlichen Angebote untereinander sei jedoch häufig auch schwierig.
Das sei ein grundsätzliches Problem in der Opferhilfe und treffe nicht nur auf die Hansestadt zu. Deutlich geworden sei dies zum Beispiel nach dem islamistischen Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016: In einem offenen Brief hätten Überlebende und Angehörige der Opfer die Bundeskanzlerin für den Umgang mit ihnen bei der Aufarbeitung des Anschlags kritisiert. "Jemanden, der die Betroffenen begleitet und Verantwortung für sie übernommen hätte, gab es bis dato nicht. Eine zentrale Anlaufstelle und ein Konzept für Opferschutz in solchen Großschadenslagen war längst überfällig”, sagt Hellpap. In Bremen vergingen knapp vier Jahre, bis es als zehntes Bundesland einen Opferschutzbeauftragten installiert hat. Seit November ist der Opferschutz organisatorisch bei der Senatorin für Justiz und Verfassung angesiedelt.
Hellpap blickt auf eine lange Karriere in der Justiz in der Hansestadt zurück. Er war als Rechts- und Staatsanwalt, später als stellvertretender Leiter der JVA Bremen und zuletzt als stellvertretender Abteilungsleiter im Justizressort tätig. In dieser Funktion erarbeitete Hellpap als Mitglied einer bereichsübergreifenden Arbeitsgruppe das Opferanlaufstellengesetz. Dass er einmal selbst Opferschutzbeauftragter sein würde, habe er anfangs nicht gedacht, "doch als es immer länger dauerte und die Stelle nicht besetzt war, habe ich mich innerlich mit der Idee angefreundet". Schließlich sei der Anruf mit der Frage gekommen, ob er sich diese Aufgabe vorstellen könnte. Er konnte – obwohl die Arbeit als Opferschutzbeauftragter eine gewisse Neuausrichtung verlangt habe. "In der Betreuung von Menschen, die Gewalt erfahren haben, ist nicht nur juristisches Fachwissen gefragt, sondern auch viel Empathie und Verhandlungsgeschick", betont er.
Kurz nach Amtsantritt war Hellpap bereits gefordert: Bei dem Terroranschlag in Wien am 2. November vergangenen Jahres sei ein Bremer verletzt worden, der zu dem Zeitpunkt in Wien lebte. "Ich hatte nicht einmal meinen Schreibtisch richtig eingerichtet, da war ich schon mittendrin", sagt Hellpap. Er habe sich bei dem Anschlagsopfer nach dem Befinden erkundigt und Hilfe angeboten. Auch die Kommunikation mit den Eltern des Opfers fiel in seinen Zuständigkeitsbereich. "Wenn die Eltern ihren Sohn im Krankenhaus in Wien hätten besuchen wollen, hätte es zu meiner Aufgabe gehört, dies möglich zu machen." Die körperlichen Verletzungen seien glücklicherweise nicht so schlimm gewesen, der Mann habe das Krankenhaus recht schnell wieder verlassen können.
Während Terroranschläge in Deutschland vergleichsweise selten seien, komme physische und psychische Gewalt in Bremen täglich vor. Fast jeden Tag meldeten sich Betroffene bei ihm, sagt der Opferschutzbeauftragte. Manche Anrufe bräuchten nur eine kurze Vermittlung, für andere sei er auch gar nicht zuständig. Doch bei den etwa 50 Personen, die er bislang betreut habe, sei es häufig nicht bei einem Gespräch geblieben. Viele Menschen hätten auch das Bedürfnis, länger in Verbindung zu bleiben. Hellpap: "Es geht darum, Betroffenen deutlich zu machen, dass sie Rechte haben – dass sie ein Recht auf Unterstützung haben. Niemand soll sich alleine gelassen fühlen."