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Haus am Kirchweg 90 Senioren in Bremen brauchen neues Heim

Weil ein möglicher neuer Betreiber kurzfristig absprang, muss das Pflegheim am Kirchweg doch schließen. Das Szenario, das alle Beteiligten vermeiden wollten, wird Realität: Die Bewohner müssen ausziehen.
04.01.2023, 05:00 Uhr
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Von Timo Thalmann

Susanne Häusler schwankt zwischen Verzweiflung und Empörung. Die 60-Jährige ist ehrenamtliche Betreuerin einer Bewohnerin des Pflegeheims am Kirchweg, das jetzt infolge eines Insolvenzverfahrens schließen muss. Alle Bemühungen, die Pflege dort sicherzustellen, sind gescheitert. Bis Ende Februar müssen rund 90 Bewohnerinnen und Bewohner neue Pflegeplätze finden.

"Das ist die siebte Einrichtung in zwölf Jahren, aus der wir raus müssen", sagt Häusler über ihren Schützling, der mit einer psychischen Erkrankung eine besondere Problemlage mitbringt. Die Einrichtung am Kirchweg sei nach einer Odyssee durch mehrere Häuser das erste Pflegeheim gewesen, in dem sich die alte Dame wohlgefühlt habe. "Und jetzt das abrupte Aus zwischen Weihnachten und Neujahr, nachdem es zuvor noch hieß, man habe einen neuen Betreiber gewonnen." Durchgehend habe man ihr und allen übrigen Bewohnern und Mitarbeitern versichert, niemand werde ausziehen müssen.

Tatsächlich standen bis wenige Tage vor Weihnachten die Zeichen auf Fortsetzung des Betriebs, nachdem der Diakonieverein Berlin-Zehlendorf Ende Oktober ein vorläufiges Insolvenzverfahren für den Betreiber beantragt hatte, die gemeinnützige Leben im Alter GmbH. Der Berliner Diakonieverein hatte erst im April 2021 die Innere Mission in Bremen als alleinigen Gesellschafter dieser GmbH abgelöst.

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Schnell fand man mit der zum Bielefelder Bethel-Verbund gehörenden Stiftung Lobetal einen möglichen neuen Betreiber. Die von Friedrich von Bodelschwingh gegründete Stiftung ist bereits Mitglied des Diakonischen Werkes in Bremen und betreibt eine Pflegeeinrichtung am Doventorsteinweg. "Das sah eigentlich gut aus", berichtet Insolvenzverwalter Joachim Voigt-Salus. Und auch Pastor Hans-Christoph Ketelhut, Vorsitzender der Inneren Mission, sieht das so. Der ebenfalls zur Diakonie gehörender Bremer Verein hat nach Abgabe des Pflegeheimbetriebs das Gebäude behalten und war als Vermieter an den Verhandlungen beteiligt. "Wir haben signalisiert, dass die von der Stiftung Lobetal geforderten Eckpunkte für den Weiterbetrieb hinsichtlich der Immobilie für uns machbar sind."

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Die Stiftung Lobetal selbst hat sich in der Adventszeit sogar auf einer Mitarbeiterversammlung vorgestellt, eine mögliche Zukunft der Einrichtung skizziert und Weihnachtsgeschenke verteilt. Doch am 20. Dezember erfolgte nach den Worten des Insolvenzverwalters "völlig unvorhersehbar" die Kehrtwende. Ohne nähere Begründung habe die Stiftung ihr Übernahmeangebot widerrufen. "Andere Unternehmen der Sozialwirtschaft hatten nach einer Prüfung erklärt, dass ein Interesse an einer Übernahme nicht bestehe. Dies gilt und galt leider auch für andere Träger der Diakonie, die sogar trotz einer Befassung durch die Landeskirche absagten", heißt es im Schreiben des Insolvenzverwalters an die Bewohner am 29. Dezember.

Dahinter stecken laut Ketelhut unmittelbar nach dem Ausstieg der Stiftung Lobetal Gespräche der Inneren Mission mit der Bremischen Evangelischen Kirche sowie der Stiftung Friedehorst. "Dabei ist es aber nur um die Frage gegangen, wie man noch Zeit gewinnen könne, um weiter nach einem Betreiber zu suchen", berichtet er. Als Vermieter sei man bereit gewesen, bis an die "absolute Grenze des Machbaren" zu gehen, um für einige Monate den Weiterbetrieb zu ermöglichen.

Für die Stiftung Lobetal teilt Pressesprecher Wolfgang Kern auf Anfrage des WESER-KURIER mit, man sei während der Verhandlungen davon ausgegangen, dass die Übernahme des Hauses rückwirkend machbar ist, also auch Mitte oder Ende Januar noch mit Wirkung zum ersten Januar vollzogen werden kann. "Erst nach der Mitarbeiterversammlung hat uns der Insolvenzverwalter mitgeteilt, dass dies im Rahmen des laufenden Insolvenzverfahrens nicht möglich sei", sagt Kern. Im Zeitraum bis 31. Dezember sei aber die Beteiligung aller Entscheidungsgremien der von Bodelschwinghschen Stiftungen in Lobetal und Bielefeld nicht möglich gewesen. "Auch wenn wir das optimistisch gesehen haben, war der Gremienvorbehalt bei den Verhandlungen angesichts der Risiken mehr als eine Formsache." Daher habe man keine andere Möglichkeit mehr gesehen, als die Übernahme doch noch abzusagen.

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Aus Sicht des vorläufigen Insolvenzverwalters war danach die Insolvenz und damit die Abwicklung des Betriebs ab 1. Januar alternativlos. "Es gibt bei einem Pflegebetrieb ohne Immobilie in dem Sinne auch keine Insolvenzmasse, aus der heraus sich ein Weiterbetrieb gestalten ließe", erklärt Voigt-Salus. 

Praktisch kann eine Pflegeeinrichtung aber trotzdem nicht wie eine Fabrik einfach von einem auf den anderen Tag geschlossen werden. Die Betreiber sind in so einem Fall verpflichtet, neue Pflegeplätze anzubieten. Um dafür nach dem plötzlichen Aus weitere Zeit zu gewinnen, ist nun die Sozialbehörde als Geldgeber dabei, um für zwei Monate den Weiterbetrieb durch den Insolvenzverwalter abzusichern und auflaufende Verluste auszugleichen.

Denn das Grundproblem des Hauses ist laut Voigt-Salaus ein strukturelles Defizit aus dem laufenden Betrieb gewesen, das sich vor allem aus der Immobilie ergeben habe. "Das Haus aus den Siebzigerjahren ist für den heutigen Personalschlüssel nicht geeignet", erklärt der Insolvenzverwalter. Zu lange Wege, zu wenig Aufzüge. Diese Probleme seien stets durch zusätzliches Pflegehilfspersonal ausgeglichen worden. Es sei aber nie gelungen, den Pflegekassen diesen im Vergleich zu anderen Einrichtungen hohen Personaleinsatz plausibel zu machen, sodass es keine ausreichende Refinanzierung gab. "Jeder neue Betreiber hätte darum ein strategisches Interesse und ausreichend Liquidität mitbringen müssen, um dieses Problem zu lösen."

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