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Bildungspolitik "Bremen ist an der Noteninflation massiv beteiligt"

Heinz-Peter Meidinger ist Präsident des Deutschen Lehrerverbands und kritisiert die Bremer Notenpolitik. An diesem Montag nimmt er an einer Podiumsdiskussion in Bremen teil.
27.02.2023, 05:00 Uhr
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Von Frank Hethey

Herr Meidinger, an diesem Montag sprechen Sie in Bremen über "Leistungsprinzip und Bildungspolitik". Da werden Sie wohl eher einen kritischen Blick auf die Bremer Bildungslandschaft werfen.

Heinz-Peter Meidinger: Grundsätzlich darf das Leistungsprinzip an Schulen nicht ausgeblendet werden. In Bremen hat es aber seit 75 Jahren keine große Rolle gespielt. Das drückt sich unter anderem im Umgang mit Ziffernnoten aus: Man will keine Schüler beschämen, ihnen keine negative Rückmeldung geben. Damit hilft man ihnen aber nicht.

Und das sehen Sie als spezifisch Bremer Problem?

Na ja, Bremen war bei der Abkehr vom Leistungsprinzip meist bundesdeutscher Vorreiter. Außerdem ist Bremen an der Noteninflation massiv beteiligt, was sich auch an immer besseren Abinoten zeigt. Bei den nationalen Vergleichstests kommt dann aber die Wahrheit heraus: Bremen schneidet regelmäßig miserabel ab. 

Das heißt, Sie fordern mehr Ehrlichkeit bei der Notenvergabe?

Bundesweit vergleichbare Leistungen haben nun einmal mit authentischen Ziffernnoten zu tun. Es gibt eine Tendenz zur Verteufelung von Ziffernnoten. Und damit zur Geringschätzung von Leistung. Das wird inzwischen auch in den Erziehungswissenschaften erkannt. Aktuell gibt es eine Diskussion darum, das Leistungsprinzip an Schulen zu rehabilitieren.

Also Noten ab der dritten Klasse? Das sind Wahlkampfforderungen von CDU und FDP in Bremen.

Warum nicht? Aber verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin kein Ziffernnoten-Fetischist. Mit Ziffernnoten allein wird die Bildungsqualität auch nicht angehoben.

Haben Sie denn einen praktischen Vorschlag zur Verbesserung der Bremer Bildungsqualität?

Sie werden jetzt nicht von mir hören, dass Bremen eins zu eins dem bayerischen Beispiel nacheifern soll. In den Stadtstaaten gibt es eine schwierige Gemengelage: vor allem einen hohen Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund und sozial benachteiligte Familien.

Darauf werden Bremer Experten zweifellos hinweisen: Großstädte mit ihrer Sozialstruktur haben eben andere Ausgangsbedingungen als Flächenländer.

Richtig. Aber das ist auch keine Falle, aus der man nicht herauskommt. Nehmen Sie das Beispiel Hamburg. Lange Zeit gab es immer die Trias Bremen, Berlin und Hamburg als Schlusslichter bei Vergleichstests. Das hat sich geändert, Hamburg hat sich ins obere Mittelfeld hochgearbeitet, Bremen und Berlin sind unten geblieben. Für Hamburgs Aufstieg gibt es gute Gründe: unter anderem konsequente vorschulische Förderung, regelmäßige Vergleichsarbeiten, ein engmaschiges Monitoring und die Rückkopplung an die Schulen. 

Das sieht man auch in Bremen. Wichtige Innovationen wurden jahrelang verschleppt, nun orientiert sich Bremen aber ausdrücklich am Hamburger Beispiel und setzt auf Hamburger Know-how. Inzwischen hat das Institut für Qualitätsentwicklung seine Arbeit aufgenommen.

Ja, das ist ein Weg, der konsequent weitergegangen werden muss. Bremen war immer stolz, an der Spitze des pädagogisch-wissenschaftlichen Fortschritts zu marschieren. Und trotzdem ist man beim bundesweiten Vergleich immer im tiefen Keller geblieben. Da müssen jetzt ein paar Dinge über Bord geworfen werden. Und dazu gehört das Misstrauen gegenüber Leistung und Noten.

Weil sonst was droht?

Das Leistungsprinzip ist der Schlüssel für sozialen Aufstieg. Wenn Noten nichts mehr zählen, steuern wir auf das angelsächsische System zu. Wie in den USA oder England, wo es mehr darauf ankommt, ob die Eltern eine teure Privatschule finanzieren können. Dann droht der Rückfall in eine Gesellschaft, in der nur persönliche Beziehungen und Reichtum maßgebend sind. Damit bekämen wir einen Zustand, den wir schon überwunden glaubten.

Das Gespräch führte Frank Hethey.

Zur Person

Heinz-Peter Meidinger (68) ist seit 2017 Präsident des Deutschen Lehrerverbands, der gebürtige Regensburger hat 2021 "Die 10 Todsünden der Schulpolitik" veröffentlicht. 

Info

Podiumsdiskussion im Radisson Blu Hotel

Zum Thema "Leistungsprinzip und Bildungspolitik" veranstaltet die Konrad-Adenauer-Stiftung in Kooperation mit dem Wirtschaftsrat Bremen an diesem Montag um 19 Uhr eine öffentliche Podiumsdiskussion im Radisson Blu Hotel, Böttcherstraße 2. Einen Impulsvortrag hält der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger. Seine Gesprächspartner sind Bildungsstaatsrat Torsten Klieme, Susanne Lin-Klitzing vom Institut für Schulpädagogik der Uni Marburg, zugleich Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, sowie die bildungspolitische Sprecherin der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Yvonne Averwerser. Die Moderation übernimmt Kai Niklasch vom ZDF. Wegen der nötigen Raumkapazitäten wird um eine Anmeldung per Mail unter kas-bremen@kas.de gebeten.

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