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Neuer Blick auf das Raubtier Immer mehr Wölfe rund um Bremen

Ein internationales Projekt untersucht die Koexistenz von Mensch und Wildtier in der Nähe von Siedlungsräumen - was das für die Hansestadt bedeutet
28.02.2023, 05:00 Uhr
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Immer mehr Wölfe rund um Bremen
Von Justus Randt

Auf 44 Rudel, fast so viele wie in Brandenburg, schätzen die für die Beobachtung verantwortlichen Jäger den aktuellen Wolfsbestand in Niedersachsen – das Bremen hier ausnahmsweise mit einschließt. Schließlich kann kein Wolf die Hauptstadt des kleinsten Bundeslandes erreichen, ohne die Weiten der benachbarten Region zu durchstreifen. Dass die wilden Tiere inzwischen rund um die Stadt herum unterwegs sind, bestätigen auch die Bremer Jäger und ihre Gäste. Dem Kirchseelter Landwirt Friedrich Thier dürfte eine der jüngsten mutmaßlichen Wolfssichtungen zuzuschreiben sein: vor vier Wochen, als er zur Kaninchenjagd in Arsten eingeladen war.

Schon zuvor haben Wölfe auf ihrer Wanderung die Landesgrenze überschritten. Schafhalter wie Dennis Mahlstedt in Seehausen und Landwirte wie Ullrich Vey in Blumenthal, bei denen Tiere gerissen wurden, sind weitere Zeugen. Aus dem Bremer Norden existieren ebenso Wolfs-Videos wie aus Weyhe im Süden. Wolfsnachweise gibt es längst auch aus den Landkreisen Osterholz, Oldenburg und Cuxhaven. Überall macht man sich Gedanken darüber, wie Mensch und Wolf jetzt und erst recht in Zukunft zusammenleben können. Auch in dem neuen europäischen Forschungsprojekt "Life Wild Wolf", das in Rom aus der Taufe gehoben worden ist.

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18 internationale Partnerinstitute arbeiten zusammen und wollen "Begegnungssituationen mit Wölfen im urbanen Raum" fünf Jahre lang erforschen. Mit schnellen Antworten auf Fragen, auf die viele drängen, ist demnach nicht zu rechnen. Das offizielle Wolfsbüro des Niedersächsischen Landesbetriebes für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) ist daran beteiligt. Im Zentrum des Projekts stehe "die Verbesserung der Bedingungen für eine gemeinsame Nutzung von Land in siedlungs- und stadtnahen Gebieten", kündigte die stellvertretende Leiterin des Wolfsbüros, Ingrid Wiesel, an: "Die ökologische Rolle wild lebender Wölfe und die kulturelle Identität lokaler Gemeinschaften soll dabei erhalten bleiben."

In Niedersachsen wird die Frage nach einem funktionierenden Miteinander schon lange ventiliert. Zwischen Abschussanträgen, ihrer Genehmigung und der gerichtlichen Aufhebung der Erlaubnis ist zuletzt immer weniger Zeit vergangen. Andererseits ist es trotz behördlicher Einwilligung monatelang nicht gelungen, den im Rodewalder Forst gejagten Wolf zu erlegen. Später dann wurde eine Fähe erschossen, die im Verdacht stand, Nutztiere gerissen zu haben. 

Der niedersächsische Umweltminister Christian Meyer (Grüne) hat das Veto seines Amtsvorgängers Olaf Lies (SPD) gegen ein gerichtliches Schießverbot zurückgezogen. Ende der Jagd also auf die besonders geschützten Jäger. Vorerst und mit einer Ausnahme: Der Wolf aus dem Burgdorfer Rudel, der mindestens 13 Schafe und Rinder gerissen und auch das Pony Dolly von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen getötet haben soll, ist noch zum Abschuss freigegeben.

Unabhängig von dem internationalen Projekt wollen Meyer und Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte (Grüne) in einem "Dialogforum" Lösungen für ein "weniger konfliktbelastetes Nebeneinander von Mensch und Tier" diskutieren. Was dabei herauskommt, wird auch für Bremen interessant sein.

Weidetierhalter sind unterdessen in wachsender Sorge um ihre Tiere und fordern die Regulierung des Wolfsbestandes. Wendelin Schmücker, Vorsitzender des Fördervereins der Deutschen Schafhaltung, hat versucht, sich das Tragen einer Waffe genehmigen zu lassen, allerdings ohne Erfolg. Naturschützer bauen eher auf Herdenschutz durch Weidezäune. An der Universität Bremen wird aktuell gemeinsam mit Verhaltensbiologen in Gießen darüber geforscht, wie solche Barrieren gegen den Wolf zuverlässig funktionieren könnten.

Marcus Henke, Vizepräsident und Sprecher der Jägerschaft Bremens, kann dem neuen Projekt nicht viel abgewinnen und bleibt auf Konfrontationskurs mit dem Wolf und seinen Schützern: "Das Forschungsprojekt ist nicht zeitgemäß. Es gibt Wichtigeres, als das Expansionsverhalten des Wolfes zu erforschen – wir wissen ja alles." Henke sieht das Vorhaben als Ausweis politischer "Mutlosigkeit". Es kündige sich bereits an, dass die Wildtierbestände wegen des Wolfs "zusammenbrechen", wie er sagt. "Klar, es geht auch um Nutztiere, aber erst mal gibt es diesen Riesenschaden am Ökosystem."

Auch der Landwirt und Jäger Friedrich Thier hat festgestellt, dass der Wolf "viel zutraulicher" und das Wild "viel heimlicher" geworden sei, sich rar mache. "Der Wolf sorgt für Unruhe im Revier. Wir können die vorgegebene Abschussquote gar nicht mehr erreichen." Zugleich sei zu beobachten, dass sich das Wild auf freiem Feld neuerdings in größeren Gruppen aufhalte – "zur Sicherheit" bei möglichen Wolfsattacken, vermutet Thier. Aus demselben Grund habe er seine Schafe schon vor Jahren abgeschafft. "Das wollte ich denen nicht antun, und das muss ich nicht haben."

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