Seit dem Wochenende ist der Kommodore-Johnsen-Boulevard versuchsweise eine Tempo-30-Zone, sogenannte Berliner Kissen sollen Raser und Poser ausbremsen. Doch in der Überseestadt ist keine Ruhe eingekehrt. Unter den Anwohnern häufen sich die Beschwerden über rücksichtslose Autofahrer auf der Überseepromenade – einer parallel verlaufenden Spielstraße am Weserufer, auf der nur Schrittgeschwindigkeit erlaubt ist. Nun reißt einigen Anwohnern der Geduldsfaden: Mitunter greifen sie zur Selbsthilfe und stoppen Fahrzeuge.
„Die Menschen schließen sich zusammen und gehen abends raus, um die Straße zu blockieren, da entsteht so eine Art Bürgerwehr“, sagt Zefer Seplin, der mit einer Petition die verkehrsberuhigenden Maßnahmen auf den Weg gebracht hatte. Seplin spricht von einer Eskalation – und das kurz vor dem „Carfreitag“ oder „Car Friday“, den Autofans besonders gern zur Selbstdarstellung nutzen.
Stimmung bei Anwohnern angespannt
Wie angespannt die Stimmung ist, zeigen Chatprotokolle aus einer privaten Whatsapp-Gruppe, die dem WESER-KURIER vorliegen. „Den ganzen Abend durchweg Probleme mit den Rasern auf der Promenade gehabt“, schreibt eine Nutzerin. „Geschwindigkeiten von teilweise 80 km/h! Mehrfach wurden die Autos von uns gestoppt und immer wieder kamen ignorante und beleidigende Antworten, um anschließend mit einer noch höheren Geschwindigkeit weiterzufahren.“
Eine andere Anwohnerin schreibt, sie habe mehrere Personen angehalten, indem sie auf der Spielstraße gelaufen sei. „Manche steigen aus, bedrohen einen, aber sollen sie ruhig. Dann passiert hoffentlich bald etwas.“ Anwohner vor Ort beklagen auch Autokolonnen mit zehn bis zwölf Fahrzeugen und nervtötende Hupkonzerte am späten Abend.
Die Polizei will der besonderen Situation rund um den „Car Friday“ mit verschärften Kontrollen begegnen. Der Schwerpunkt liegt in diesem Jahr laut Mitteilung in der Überseestadt. Neben modernen Messgeräten, Videowagen und zivilen Einsatzkräften soll auch der Enforcementtrailer zum Einsatz kommen, ein Blitzanhänger mit digitaler Technik. „Ziel ist es, überhöhte Geschwindigkeiten, unerlaubte Kraftfahrzeugrennen und das sogenannte ‚Posing‘ zu unterbinden“, sagt Polizeisprecher Nils Matthiesen.
Die Kontrollen sollen sowohl am Karfreitag wie auch über das gesamte Osterwochenende hinweg stattfinden. In den vergangenen Jahren sei es allerdings zu vergleichsweise wenigen Verstößen an szenetypischen Brennpunkten gekommen.
Ausdrücklich warnt die Polizei vor Selbsthilfe. „Maßnahmen gegen Raser und Poser selbst in die Hand zu nehmen, finden wir überhaupt nicht gut“, sagt Matthiesen. „Verstöße zu ahnden, ist Aufgabe der Polizei, nicht der Anwohner.“ Zu bedenken seien auch rechtliche Konsequenzen. Nötigung im Straßenverkehr oder Eingriff in den Straßenverkehr seien Straftatbestände. Wie berichtet, hatten Unbekannte vor knapp einem Monat im Bereich Kommodore-Ziegenbein-Allee/Ecke Überseepromenade mehrere Krähenfüße auf der Fahrbahn ausgelegt.
Matthiesen appelliert an die Anwohner, der Polizei zu vertrauen. Die Bekämpfung illegaler Rennen und das konsequente Vorgehen gegen Raser und Poser seien ein zentraler Baustein der Verkehrssicherheit.
Unterdessen ist die Selbsthilfe unter den Anwohnern keine Konsensmeinung. In der Chatgruppe gibt es auch Stimmen, die empfehlen, bei jedem Raser die Polizei zu verständigen – die gesammelten Daten würden als statistische Grundlage gebraucht. Laut Polizeisprecher Matthiesen spricht nichts dagegen, Verstöße zu dokumentieren. Allerdings sei die Rufnummer 110 nur für Notfälle gedacht, für alle anderen Fälle gebe es den Zentralruf 3620.
Hört man sich vor Ort um, ist das Vertrauen in die Polizei nicht sonderlich ausgeprägt. „Die Polizei macht gar nichts“, meint ein Anwohner der Überseepromenade, der aus Sorge um seine Sicherheit nicht namentlich genannt werden möchte, „die braucht doch eine Stunde, bevor sie überhaupt da ist.“ Seine Nachbarin, die ihren Namen ebenfalls nicht preisgeben will, beklagt mangelndes Durchsetzungsvermögen der Polizei. „Wenn so ein Streifenwagen hier auftaucht, werden die doch gar nicht für voll genommen.“ Es gebe keinen Respekt vor den Ordnungshütern.
Unter solchen Umständen macht sich unter einigen Anwohnern zusehends Fatalismus breit. Seit zehn Jahren lebt Andrea Hertel an der Überseepromenade. „Nun spiele ich mit dem Gedanken, von hier wegzuziehen. Abends findet man keine Ruhe mehr.“ Viele Anwohner hätten ihre Sachen schon gepackt, sagt ihr Nachbar. „Schon allein wegen unserer Kinder denken wir jetzt auch über einen Umzug nach.“ Beide können nicht nachvollziehen, warum die Promenade für den Autoverkehr nicht einfach gesperrt wird.
Das sieht Seplin genauso. „Wir fordern, die Überseepromenade für den Verkehr komplett zuzumachen.“ Handlungsbedarf über Kontrollen hinaus erkennt auch die Polizei. „Wir würden bauliche Veränderungen begrüßen“, sagt Matthiesen.