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Armut und Gesundheitsschutz Wen Umweltbelastungen krank machen

Schadstoffe, Lärm, weniger Grün: Gesundheit hängt auch von Umweltfaktoren ab. Paritätischer und BUND fordern von der neuen Bremer Regierung mehr Schutz für Menschen in sozial benachteiligten Quartieren.
14.06.2023, 05:00 Uhr
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Wen Umweltbelastungen krank machen
Von Sabine Doll

Berlin macht es vor: Im vergangenen Jahr ist ein Umweltgerechtigkeits-Atlas für die Stadt erschienen. Dieser zeigt: Gesundheitsschädliche Umwelteinflüsse häufen sich besonders in Wohngebieten ärmerer Menschen. Dort gibt es zu wenige Grünflächen, im Sommer staut sich die Hitze wegen dichter Bebauung, die Belastung an Schadstoffen und Lärm ist deutlich erhöht. Die Folge: Das Risiko für Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen steigt.

2019 hat Berlin als erste Metropole damit begonnen, die Stadt und ihre Kieze unter dem Aspekt der Umweltgerechtigkeit zu betrachten. Neben den negativen Umwelteinflüssen wurde untersucht, wie hoch die soziale Benachteiligung ist. Dafür wurde die Stadt in 542 Planungsräume unterteilt, die Ergebnisse sind in digitalen Karten veröffentlicht. "Der Atlas zeigt uns, auf welche Kieze wir unser Augenmerk für Programme richten müssen, und er bestätigt, dass Umweltschutz nach wie vor eine brennende Frage der Gerechtigkeit ist", betonte die damalige Umweltsenatorin Bettina Jarasch (Grüne).

Berlin als Vorbild für Bremen – das fordern der Paritätische und der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) von den künftigen Regierungsparteien und dem neuen Senat. "Gesundheit und Umweltqualität hängen mit Armut zusammen. In Bremen, wie in anderen Städten, unterscheiden sich die Stadtteile hinsichtlich ihres sozio-ökonomischen Profils deutlich, aber auch hinsichtlich ihrer Umweltqualität sowie des Gesundheitszustands der dort lebenden Menschen", heißt es in einem gemeinsamen Forderungspapier, das dem WESER-KURIER vorliegt.

"Die Folgen zeigen sich unter anderem an deutlichen Unterschieden bei der Lebenserwartung der Menschen in sogenannten reichen und sozial benachteiligten Stadtteilen", betont Hermann Schulte-Sasse, Vorsitzender des Paritätischen-Verbandsrats und früherer Gesundheitssenator. Umwelt- und Gesundheitsschutz gehörten zusammen, ergänzt BUND-Geschäftsführer Martin Rode. Eine verantwortungsbewusste Politik müsse darauf reagieren, vor allem auch angesichts der Klimaveränderungen.

"Wir erwarten vom nächsten Senat eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe, die unter Beteiligung der Zivilgesellschaft Handlungsempfehlungen für ein gesundes Bremen in sozial-ökologischer Perspektive entwickelt", fordern die Verbände. Dazu gehöre eine Analyse der Belastungsfaktoren, ähnlich dem Berliner Vorbild. Die Umsetzung müsse konsequent überprüft und regelmäßig Berichte veröffentlicht werden. "Das schafft Transparenz und auch Verbindlichkeit", betont Schulte-Sasse.

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Die Verbände haben Forderungen unter anderem für folgende Bereiche formuliert.

Grünversorgung: "Öffentliche Grünflächen sind besonders für jene wichtig, die keine privaten Erholungsräume wie eigene Gärten haben", heißt es in dem Papier. Die Verbände fordern deutlich mehr Investitionen in Grünanlagen und Baumbestand. "Straßenbäume spenden Schatten und Kühle, mindern die Hitzebelastung im Wohnumfeld." Dies gelte gerade für Stadtteile, in denen der Anteil von Asphalt und Beton hoch sei. Zudem fordern sie eine umfangreiche Entsiegelung von Flächen: Diese seien Frischluftschneisen, könnten Wasser zurückhalten und Starkregenereignisse abmildern.

Mobilität: Im Forderungskatalog stehen der Ausbau des ÖPNV, mehr Ladepunkte für E-Fahrzeuge, Ausbau und Ertüchtigung der Radwege insbesondere auch jenseits der Innenstadt, Expressbuslinien zu den größeren Gewerbegebieten sowie eine subventionierte Verbilligung des Deutschlandtickets für Bürgergeldempfänger, Auszubildende und Bezieher von Grundsicherung.

Energetische Sanierung: Ärmere Haushalte wohnten häufig in schlechter gedämmten Wohnungen, was unter anderem höhere Heizkosten bedeute. Vermieter hätten nur geringe Anreize für energetische Sanierungen. Kernforderung ist die Einführung einer Teilwarmmiete nach dem Vorbild Schwedens: Vermieter und Mieter einigen sich auf eine Raumtemperatur und eine pauschale Warmmiete. Sinkt der Verbrauch durch Modernisierungen, landet die Einsparung in der Geldbörse des Vermieters. Wo immer möglich, sollten zudem Wohnbestände durch kommunale Gesellschaften aufgekauft werden.

Soziale und klimagerechte Wohnungsbaupolitik: Die Vermeidung weiterer Versiegelungen, Beseitigung von Leerstand, Bebauung von Lücken, Aufstockung bestehender Wohngebäude, der Umbau von Büroflächen in Wohnungen werden unter anderem genannt. Die Verbände fordern die Prüfung einer höheren Quote für den sozialen Wohnungsbau – aktuell müssen mindestens 30 Prozent der neu gebauten Wohnungen preisgebunden sein. Die Quote verteile sich allerdings ungleich über die Stadt. Abhilfe könnten sogenannte sektorale Quoten für den Neubau von Mehrfamilienhäusern in "reicheren" Stadtteilen schaffen. Vorbild sei München.

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Gerechte Quartiersentwicklung: Die Verbände fordern einen Aktionsplan für gesundheitsgerechte Quartiere. "Die sozial-ökologische Qualität eines Wohnquartiers hängt von den Angeboten im Alltag ab." Dazu gehöre auch die ambulante ärztliche Versorgung. Gebe es diese nicht, sei die Fahrt in andere Quartiere erforderlich. Medizinische Versorgungszentren in kommunaler Trägerschaft seien eine vernünftige Alternative.

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