Frau Schaefer, es gibt deutliche Kritik an Entscheidungen Ihres Ressorts. Ficht Sie das an?
Maike Schaefer: Es gibt keinen Politikbereich, in dem nicht auch Kritik laut wird. Ich nehme sie ernst. Oft enthält sie Hinweise darauf, was wir verbessern können. Insofern ist Kritik für mich erst einmal nichts Negatives.
Fühlen Sie sich ungerecht beurteilt?
Es kommt darauf an, wie diese Kritik vorgebracht wird. Wenn jemand eine andere Sicht auf die Dinge hat, kann ich gut damit leben. Manchmal wird Kritik aber in einer Weise geäußert, die ich für unangebracht halte. Aus anonymen Beschimpfungen in sozialen Netzwerken lässt sich beim besten Willen wenig gewinnen.
Nehmen Sie die Kritik persönlich?
Grundsätzlich tendieren eher die unzufriedenen Menschen dazu, sich zu äußern, nicht die zufriedenen. Und mir ist klar, dass sich die Kritik nicht an mir als Person, sondern an meinem Amt und der Politik entzündet, die wir hier machen. Ich werde kritisiert, weil wir für einige in der Innenstadt zu viel unternehmen, um den Verkehr zu reduzieren. Aber ich werde von anderen auch kritisiert, weil wir zu wenig tun.
Soweit die Theorie, kann man Person und Amt in der Praxis wirklich trennen?
Manches geht einem schon nahe, manches nimmt man auch mit nach Hause. Das geht vermutlich jedem Politiker so. Man muss lernen, damit umzugehen, wenn man sich für ein solches Amt entscheidet.
Bekommen Sie auch positives Echo?
Ja, sogar eine ganze Menge. Die Menschen, die die Veränderungen begrüßen, schreiben nur nicht unbedingt Leserbriefe, sondern sie wenden sich beispielsweise direkt an mich oder uns. Es gibt viele Bremerinnen und Bremer, die wollen, dass wir endlich Konsequenzen ziehen und etwas gegen den Klimawandel unternehmen.
Dass Sie sich Kritik zu Herzen nehmen – dieser Eindruck drängt sich nicht unbedingt auf. Gibt es ein Beispiel, wo man das erkennen könnte?
Wer erwartet, dass ich mir die Kritik an den Maßnahmen zur Verkehrswende so zu Herzen nehme, dass wir das Programm abbrechen, den muss ich enttäuschen. Das kann ich nicht verantworten. Aber als mir vorgeworfen wurde, dass sich manche Anwohner und Kaufleute am Wall nicht genug eingebunden fühlten, sind wir noch einmal auf sie zugegangen und haben die Gespräche intensiviert. Es gab Begehungen, zwei Gespräche im Rathaus. Wir sind im ständigen Austausch, um Kompromisse zu finden. Auch den Anforderungen der Polizei sind wir am Wall entgegengekommen. Zudem bieten wir bei vielen Projekten runde Tische an, um Kompromisse zu finden, und stehen in ständigem Austausch mit den Beiräten.
Würden Sie wieder so handeln wie zuvor, zum Beispiel bei der Martinistraße?
Man muss sich die Ausgangslage vor Augen führen: Es gibt drei Fraktionen mit unterschiedlichen Vorstellungen und in den Gesprächsrunden im Vorfeld keine Einigung. Die einen wollen die Unterbrechung der Straße in der Höhe Pieperstraße, Verkehrsplaner plädieren für eine Einbahnstraßen-Regelung, die Händler und Anwohner sind dafür, dass der Verkehr weiterhin in beide Richtungen fließt oder gar die Vierspurigkeit beibehalten wird. Bevor man viel Geld in die Hand nimmt, um die Straße umzubauen, muss man schauen, wie sich das auf den gesamten Innenstadtverkehr auswirkt. Also haben wir alle Varianten ausprobiert, um uns bei der Veränderung zur Verkehrsreduzierung auf die Ergebnisse stützen zu können. Das finde ich weiterhin absolut richtig.
Gilt das auch für das Rahmenprogramm?
Auch dazu stehe ich weiterhin. Dabei ging es ja nicht allein um den Verkehrsversuch, sondern auch darum, die Stadt attraktiver zu machen, mehr Angebote für junge Leute zu schaffen, mehr für die Aufenthaltsqualität zu tun. Die umstrittene Surfwelle hat junge Menschen in die Martinistraße gezogen, sie wurde sehr gut angenommen und war durchgängig ausgebucht. Das zeigt, dass diese Gruppe in die Innenstadt kommt, wenn wir ihnen Events bieten, also mehr als Shoppen. Außerdem wollten wir zeigen, was man aus dem gewonnenen Verkehrsraum machen kann – Bänke aufstellen beispielsweise. Daraus haben wir wichtige Erkenntnisse gewonnen.
An den Kosten von 1,3 Millionen Euro haben sich allerhand Bürger gestoßen.
Wir haben das Budget nicht ausgeschöpft. Momentan belaufen sich die Kosten inklusive Events, Umbau des Straßenraums und Auswertung auf rund 750.000 Euro. Außerdem werden die Sessel, Bänke, Bühnen und Holztürme weiterverwendet, sie gehen an Schulen und andere Institutionen und erfüllen dort einen guten Zweck.
Ihnen wird vielleicht weniger vorgeworfen, was Sie machen, als wie es gemacht wird. Es gibt offenbar ein Vermittlungsproblem.
Wenn mir unterstellt wird, dass ich blindlings meine Interessen durchdrücke und mit dem Kopf durch die Wand gehe, wird ignoriert, dass ich nichts anderes tue, als Beschlüsse umzusetzen. Ich arbeite den Koalitionsvertrag ab, das ist meine Aufgabe. Die Premiumroute am Wall ist Bestandteil des Verkehrsentwicklungsplans. Ich mache mich unbeliebt, weil ich umsetze, was demokratisch teilweise sogar einstimmig beschlossen worden ist. Manche tun sich schwer damit, dass jetzt Fakten geschaffen werden. Aber ich bin nicht angetreten, um nur umzusetzen, woran sich niemand stören könnte. Alles soll besser werden, aber nichts soll sich ändern – das funktioniert einfach nicht.
Sowohl mit der Lösung am Wall als auch mit der zweispurigen Martinistraße können sich inzwischen offenbar alle anfreunden.
Das ist häufig so bei Verkehrsprojekten: Als mein grüner Vorgänger Reinhard Loske auf bremischen Autobahnen Tempo 120 durchgesetzt hat, gab es auch Riesenärger. Heute spricht niemand mehr darüber. Nicht anders war es, als mein ebenfalls grüner Vorgänger Joachim Lohse drei Fußgängerampeln auf der Kurfürstenallee installiert hat. Immer gab es Protest, meistens von der Autolobby, immer zeigte sich, dass die Welt nicht untergeht und der Verkehr nicht zusammenbricht.
Sie sagen es: Joachim Lohse und Reinhard Loske ging es nicht besser als Ihnen – auch sie wurden teilweise heftig kritisiert. Woran liegt das?
Dieses Ressort verantwortet sehr viele bürgernahe Themen. Jeder, der sich in dieser Stadt bewegt, ist von Veränderungen im Verkehr betroffen. Ähnliches gilt für Bauprojekte: Wo auch immer etwas Neues entsteht, gibt es jemanden in der Nachbarschaft, dem das nicht gefällt. Mit Bau- und Verkehrsthemen handelt man sich Ärger ein – das gilt auch für andere Bundesländer, das gilt auch für Ministerinnen und Minister anderer Parteien. Jeder und jeder kann mitreden und unsere Arbeit beurteilen. Das führt zu Kritik und zu Lob, wobei – wie so oft – die Kritik das Lob übertönt, was aber nichts über das Verhältnis aussagt.
Die Sozialdemokratin Tine Wischer oder der Christdemokrat Jens Eckhoff, die ebenfalls Koalitionsverträge umgesetzt haben, haben weniger öffentliche Debatten ausgelöst.
Die meiste und lauteste Kritik entzündet sich an der Verkehrswende. Die Lage hat sich zugespitzt, der Druck, endlich zu handeln, wächst von Tag zu Tag. Grüne Senatorinnen und Senatoren stehen für Klimaschutzthemen und setzen sie um. Damit macht man sich nicht überall beliebt.
Vielleicht gehören die Themen Klimaschutz und Verkehr nicht in ein Ressort – auf Bundesebene sind sie auch getrennt.
Man kann nicht genug für den Klimaschutz tun, wenn man keine Verkehrswende einleitet. Es ist ja auch nicht so, dass wir nichts für den Wirtschaftsverkehr täten. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Wir setzen uns für den Weiterbau der A 281 und die Sanierung der Lesumbrücke ein.
Sind Sie womöglich zu ungeduldig?
Ich bin ein ungeduldiger Mensch, schon immer gewesen. Politisch ist das auch angebracht. Wir haben in der Wahlperiode vier Jahre Zeit und einen umfangreichen Koalitionsvertrag mit vielen Aufträgen. Vor allem aber treibt mich der Bericht des Weltklimarats an. Wenn wir in zehn Jahren nicht deutlich mehr für den Klimaschutz getan haben, ist es vielleicht zu spät.
Viel Geduld zeigen Bremens Umweltsenatoren beim Thema Platanen in der Neustadt. Seit Jahren wird darüber diskutiert. Werden sie gefällt oder bleiben sie stehen?
Am runden Tisch, der installiert wurde, zeichnet sich keine Einigung ab. Bremen ist die Stadt mit dem höchsten Tidenhub bundesweit. Der Deich ist in einem schlechten Zustand, er besteht teilweise aus Bauschutt aus dem Zweiten Weltkrieg. Ich trage die Verantwortung für die Deichsicherheit und damit dafür, dass die Neustadt nicht überflutet wird. Wir müssen also zwischen Baum- und Deichschutz abwägen. Am Ende dieser Abwägung steht: Wir werden die Platanen fällen müssen, weil wir die Bürger schützen müssen. Was meinen Sie, was los wäre, wenn die Neustadt absäuft? Dann würde uns vorgeworfen, wir hätten gekniffen und nicht getan, was getan werden musste, um niemanden vor den Kopf zu stoßen. Jede gefällte Platane wird an Ort und Stelle durch einen nachgepflanzten Baum ersetzt.
Wann werden die Bäume weichen müssen?
Nach jetzigem Stand im Jahr 2024.
Nach der nächsten Bürgerschaftswahl ...
Das ist keine Absicht, sondern liegt an den Planungsabläufen.
Haben Sie damit gerechnet, dass Ihnen als Senatorin der Wind doch mitunter stark ins Gesicht blasen wird?
Mich hat schon überrascht, wie heftig die Kritik teilweise noch ausfällt, wenn man nur umsetzt, was schon längst beschlossene Sache ist. Eine neue Erkenntnis ist auch: Wenn man – beispielsweise bei Bauvorhaben – Kompromisse findet, stellen sie dennoch nicht alle zufrieden. Die Kritik ist oft genauso massiv, als wäre man den Kritikern überhaupt nicht entgegengekommen. Wir sollen 10.000 Wohnungen bauen, aber wenig Fläche versiegeln und nicht in die Höhe bauen. Was den einen zu viel ist, ist den anderen zu wenig. Das ist das Dilemma bei sehr vielen meiner Themen.
Mächtig Ärger hat Ihnen Ihre Einladung an die Mitarbeiter im Ressort eingebracht, sich der Fridays-for-Future-Demonstration anzuschließen. Wie kann so etwas passieren?
Eigentlich wollten wir nur etwas klarstellen, um Nachfragen zu vermeiden, die es bei anderen Demos gab, weil sie in der Kernarbeitszeit stattgefunden haben. Es war eine interne Mail, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war und die Kenntnis der geltenden Dienstvereinbarung voraussetzte. Es war unbedacht, nicht damit zu rechnen, dass sie ihren Weg dorthin finden könnte und entsprechend jedes Wort auf die Goldwaage gelegt wird. Insofern würde ich das heute anders machen. Aber ich stehe weiterhin dazu, dass ich unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ermögliche, an einer Klimaschutz- und Friedensdemo teilzunehmen, sofern der Publikumsverkehr nicht beeinträchtigt wird. Dadurch entsteht übrigens kein Schaden für den Steuerzahler, wie oft kolportiert wurde.
Gibt es in den Reihen der Grünen jemanden, der sich Sorgen macht, dass Sie sich zu unbeliebt machen und dass das die Grünen im nächsten Jahr Stimmen kosten könnte?
Ich bekomme starke Rückendeckung, in der Partei, aber auch in unserer Wählerschaft.
Wie sieht es im Senat aus?
Wir sind nicht immer in allen Punkten einer Meinung. Das liegt in der Natur einer Koalition. Aber wir arbeiten sehr gut und harmonisch zusammen.
Also nicht volle Rückendeckung, aber Rückendeckung?
Ja.
Stärkt Ihnen der Bürgermeister ausreichend den Rücken?
Ich empfinde das so. Es mag sein, dass das öffentlich nicht immer so wahrgenommen wird.