Für ungläubiges Kopfschütteln sorgte unlängst eine Äußerung von Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Linke) bei Anwohnern der früheren Galopprennbahn. In der Bürgerschaft hatte die Senatorin bestritten, dass der Volksentscheid von 2019 gegen die Bebauung des Areals nach wie vor Rechtsgültigkeit habe. Vielmehr sei die rechtliche Bindewirkung des Volksentscheids auf zwei Jahre beschränkt – demnach hätte der Senat freie Hand, zumindest auf einem Teilstück des Geländes die gesetzlichen Grundlagen für eine Wohnbebauung zu schaffen. Der WESER-KURIER ist den wichtigsten Fragen in der Angelegenheit nachgegangen.
Wie ist der Volksentscheid ausgegangen und was hatte er zur Folge?
Nach einem erfolgreichen Volksbegehren gegen die Bebauung der Rennbahn wurde parallel zur Bürgerschaftswahl am 26. Mai 2019 ein Volksentscheid anberaumt – zum ersten Mal in der Bremer Geschichte. Bei dieser Abstimmung setzte sich die Position der "Bürgerinitiative Rennbahngelände Bremen" durch: Fast 56 Prozent der Bremerinnen und Bremer votierten gegen eine Bebauung, indem sie dem von der Bürgerinitiative entworfenen Ortsgesetz zustimmten. Infolgedessen trat gut einen Monat später das Ortsgesetz in Kraft, das ein städtebauliches Konzept zur Erhaltung des Rennbahngeländes im Bremer Osten einforderte. Der Kernpunkt: Das Areal müsse als grüne Ausgleichsfläche für die schon vorhandene, verdichtete Bebauung und Industrieansiedlung im Bremer Osten erhalten und für Erholung, Freizeit, Sport und Kultur weiterentwickelt werden.
Verfällt das Ergebnis des Volksentscheids nach einer bestimmten Zeit?
Wenn es nur nach dem Ortsgesetz geht: nein. Im Ortsgesetz ist keine Rede von einer zeitlich eingeschränkten Gültigkeit der Vorgaben. Es heißt einfach nur, das Ortsgesetz trete am Tage nach seiner Verkündung in Kraft. Das war am 29. Juni 2019. Alles Weitere regelt die Bremer Landesverfassung. In Artikel 73 steht, ein durch Volksentscheid beschlossenes Gesetz könne innerhalb einer laufenden Wahlperiode binnen zwei Jahre nach Inkrafttreten nur unter zwei Bedingungen wieder geändert werden. Nämlich entweder durch einen erneuten Volksentscheid oder durch die Bürgerschaft mit verfassungsändernder Mehrheit. Die Hürden sind also hoch – aber nur zwei Jahre lang. Nils Hesse, Büroleiter der Wirtschaftssenatorin, präzisiert, was das für den Gesetzgeber heißt: "Während des Zeitraums der Veränderungssperre darf kein parlamentarisches Gesetzgebungsverfahren mit dem Ziel der Aufhebung oder Änderung des betreffenden Gesetzes erfolgen."

Bei Hundehaltern beliebt: ein Gang über das Rennbahn-Areal.
Kann das Ortsgesetz jetzt also wieder geändert und damit der Volksentscheid ausgehebelt werden?
Allerdings. Im vorliegenden Fall sei die zweijährige Veränderungssperre abgelaufen, erläutert Hesse. Deshalb gebe es für das Parlament auch keine Beschränkung mehr, es könne das Ortsgesetz wieder ändern. Seine Position wird von unabhängiger Seite bestätigt. "Die Behörde hat recht, und das ist auch eindeutig", sagt Lars Viellechner, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bremen. Die Veränderungssperre zum Schutz des plebiszitären gegenüber dem repräsentativen Gesetzgeber – also Volksentscheid gegenüber Bürgerschaft – gelte nur für zwei Jahre unter Berücksichtigung der genannten Ausnahmen. "Anschließend kann ein durch Volksentscheid beschlossenes Gesetz mit einfacher Mehrheit im normalen parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren geändert werden", erklärt Viellechner. Das sei auch keineswegs undemokratisch, im Gegenteil. "Wenn sich die tatsächlichen Umstände oder die politischen Auffassungen wandeln, müssen einmal beschlossene Gesetze eben auch wieder geändert werden können."
Wie reagiert die Bürgerinitiative, würde sie noch einmal einen Volksentscheid auf den Weg bringen?
Ernüchtert zeigt sich Andreas Sponbiel von der "Bürgerinitiative Rennbahngelände Bremen". Bei der Weiterentwicklung des Projekts vermisst er die nötige Überzeugung. Seine Meinung: Gerade mit dem ersten, darum auch historischen Volksentscheid der Bremer Geschichte sollte "anständig umgegangen werden". Auf die Frage, ob die Bürgerinitiative notfalls noch einmal ein Volksbegehren zur Erlangung eines Volksentscheids in Gang setzen würde, antwortet Sponbiel: "Es gibt doch einen." Mit anderen Worten, aus seiner Sicht hat der Volksentscheid auch nach sechs Jahren nichts von seiner moralischen Bindewirkung verloren. Als "sehr unglücklich" empfindet er, dass es keine verbindlichen Fristen zur Umsetzung des Ortsgesetzes gibt. Zunächst einmal will Sponbiel die weitere Entwicklung abwarten. Sollten sich die Anzeichen verdichten, dass eine Wohnbebauung angestrebt wird, lässt er keinen Zweifel am Widerstandswillen der Initiative. "Dann wären wir wieder voll dabei, als ein großer Player gegen die Bebauung." Ob das auch bedeutet, wieder für einen erneuten Volksentscheid zu kämpfen, lässt Sponbiel offen.