Handlungsbedarf am Hauptbahnhof: Dass es ihn gibt angesichts der Alkoholabhängigen-, Obdachlosen- und Drogensüchtigen-Szene, ist seit rund drei Jahren per Senatsbeschluss hinterlegt. Nach zwischenzeitlichen Verbesserungen unter anderem durch den neuen Szenetreff neben dem Intercity-Hotel hatte sich die Lage zuletzt verschlechtert.
Der Grund: Hilfsangebote für Süchtige waren wegen Corona geschlossen oder stark eingeschränkt, Polizei und Ordnungsdienst durch zusätzliche Aufgaben belastet. Der Senat will mit einem neu aufgelegten Aktionsplan gegensteuern. Zuletzt hatte es aber wegen unterschiedlicher Ansichten des Innenressorts und der Linken in der Regierungskoalition gehakt – zweimal musste der Aktionsplan von der Tagesordnung des Senats genommen werden. Nun sind die Uneinigkeiten offenbar ausgeräumt, es existiert eine geeinte Vorlage (liegt dem WESER-KURIER vor). Über sie soll, so der Plan, der Senat am Dienstag, 25. Januar, abstimmen.
Der Konflikt
Das Phänomen von Alkoholabhängigen und wohnungslosen Menschen, die sich tagsüber stundenlang, oft in Gruppen, im Bereich des Bahnhofs und dort auch auf den Bänken der Haltestellen niederlassen und im Rauschzustand – teils sicher unbeabsichtigt – Fahrgäste und Pendler belästigen, hatte sich in den vergangenen Monaten verschärft. Auch zum großen Unmut der Anrainer und Gastronomen, die durch die vor allem abends angespannte Atmosphäre Geschäftseinbußen beklagen. Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) wollte dieses Problems Herr werden, indem er dafür plädierte, das Ortsgesetz zu verschärfen – also Polizei und Ordnungsdienst zu ermöglichen, strikter etwa gegen Störenfriede vorzugehen. Die Linken weigerten sich, diese Gesetzesverschärfung – aus ihrer Sicht überharte Willkür gegenüber Hilfsbedürftigen – mitzutragen. Sie argumentierten, dass zunächst die Hilfsstruktur ausgeweitet werden müsse.
Der Kompromiss
Bereits in der ersten Fassung der Vorlage für den Aktionsplan waren verschiedene Punkte enthalten, mit denen die Infrastruktur für Hilfsbedürftige erweitert werden soll, darunter möglichst schnell die Ausweitung der Öffnungszeiten des Szenetreffs auf 8 bis 20 Uhr und die Verstetigung des Drogenkonsumraums. Ebenfalls zur Problemlösung könne – eine der Forderungen der Linken – "eine klarere Ausweisung und bessere Ausgestaltung von Aufenthaltsorten und Toleranzflächen" beitragen, wie es in der Vorlage heißt.
Der Innensenator verzichtet auf die Änderung des Ortsgesetzes und holt so die Linken zurück ins Boot. Polizei und Ordnungsdienst sollen künftig rund um den Hauptbahnhof weiterhin auf Basis der bestehenden Rechtslage handeln, nach der auch jetzt schon Platzverweise möglich sind. Im Ortsgesetz heißt es in Paragraf 3, dass "dauerhaftes Verweilen auf öffentlichen Flächen (...) zum Zweck des Alkoholkonsums" verboten ist, wenn dadurch andere unzumutbar beeinträchtigt werden.
Ein seit 2019 bestehender Erlass, Handlungsleitlinien des Ressorts für Polizei und Ordnungsdienst, ist nun konkretisiert worden (liegt dem WESER-KURIER vor). Künftig soll das Aufenthaltsverbot rund um den Bahnhof auch bei Drogenkonsum (nach Paragraf 2 des Ortsgesetzes) angewendet werden. Außerdem wird in dem Schreiben unter anderem klargestellt, dass "die ,dauerhafte Verweildauer' an Haltestellen (...) eng auszulegen ist". Das bedeutet, dass Polizei und Ordnungsdienst nicht erst eine halbe Stunde warten müssen, bevor sie die entsprechenden Personen auffordern können, zu gehen.
Der Aktionsplan
Formal ist das Innenressort federführend bei dem Aktionsplan, im Ressort angesiedelt ist auch der offizielle Koordinator Christian Modder mit seinem Team. Von Beginn der Planungen an war aber klar – und das geht aus der neuen Senatsvorlage (wie auch aus allen ihren Vorgängern) hervor –, dass es sich um eine Querschnittsaufgabe handelt, an der sich mehrere Ressorts beteiligt sein müssen. Sei es, weil sie wie Soziales oder Gesundheit für Hilfsstrukturen für Bedürftige und Abhängige zuständig sind, weil sie wie Stadtentwicklung und Inneres über entsprechende Planungsfachkräfte oder wie Bau und Finanzen über nutzbare Flächen verfügen. Bislang, so ist zu hören, engagieren sich noch nicht alle Ressorts mit dem nötigen Nachdruck. Ebenfalls am Aktionsplan beteiligt sind die Anrainer und Vertreter der Hilfsstrukturen.

Die Stadtreinigung soll dafür sorgen, dass rund um die Haltestellen Eimer geleert und Böden sauber sind - dafür sind zusätzliche Schichten notwendig.
Zu den neuen Maßnahmen gehören eine verstärkte Präsenz der Ordnungskräfte in Form von gemeinsamen Streifen von Ordnungsdienst und Polizei und mehr Reinigungsschichten. Die im Herbst aufgestellten provisorischen Urinale sollen durch Daueranlagen ersetzt werden, geplant ist auch eine zusätzliche neue kostenpflichtige Toilettenanlage für Reisende. Unklar ist bislang allerdings, ob sie in der sogenannten BSAG-Ellipse (Umbaukosten rund 400.000 Euro) entstehen könnte.
Um die Drogenszene rund um den Bahnhof zu entzerren, soll die ambulante Drogenhilfe Comeback in die Friedrich-Rauers-Straße umsiedeln und dort von einem festen Drogenkonsumraum und weiteren Hilfen flankiert werden. Bis der Umzug konkret wird, wird auch über einen zeitweiligen Toleranzraum in der Nähe des aktuellen Standorts am Bahnhofsplatz nachgedacht.
Einige der Maßnahmen, darunter die zusätzlichen Toiletten und eine ausgeweitete Öffnung des Szenetreffs, sind nicht im aktuellen Haushalt enthalten. Insgesamt, so der Plan, sollen die bislang fehlenden Gelder aus dem Bremen-Fonds finanziert werden. Konkret werden rund 1,4 Millionen Euro in diesem Jahr und rund eine Million Euro 2023 benötigt.