Zum Ende des Jahres wird Bratwurst von Kiefert am Hauptbahnhof Geschichte sein. Das Unternehmen wird den Standort nach 92 Jahren aufgeben, wie es auf Anfrage des WESER-KURIER bestätigte. Damit bleibt allein der 2005 neu erbaute Imbiss-Pavillon von Kiefert in der Bahnhofstraße, Ecke Philosophenweg als Verkaufsstandort des Traditionsbetriebs übrig.
Zum Ende des vorigen Jahres hatte Kiefert bereits seine Bratwurstbude im ehemaligen Pastorenhaus der Liebfrauenkirche geschlossen. Die Kirche hatte nach 85 Jahren den Mietvertrag gekündigt, nachdem man sich trotz langer Verhandlungen über Investitionen in den Brandschutz der Entlüftungsanlage des Imbisses in dem denkmalgeschützten Gebäude nicht einig wurde.
Schwierige Entscheidung, mit der Tradition zu brechen
Die aktuelle Schließung ist indes eine Entscheidung des Firmenchefs Joachim Kiefert, der sich zu den genauen Gründen bislang nicht geäußert hat. Sein Alter von inzwischen 67 Jahren mag eine Rolle gespielt haben. Auch der Umstand, dass kein Nachfolger in den Startlöchern steht, dürfte ein Aspekt sein.
Dem Vernehmen nach hat auch das schwieriger werdende Umfeld am Hauptbahnhof seinen Teil dazu beigetragen. Schon im vorigen Jahr Jahren beklagte das Unternehmerehepaar Kiefert die Zustände. Bald jeden Morgen müssten vor dem Stand Blut, Spritzen und Exkremente entfernt werden. Die Mitarbeiterinnen hätten zu Beginn des Frühdienstes ein mulmiges Gefühl, manche trauten sich gar nicht mehr richtig hin. Während der Schicht würden sie immer mal wieder belästigt und angeschrien, weil die Wurst nun mal nicht umsonst zu bekommen sei. Auch die Kunden müssten sich gefallen lassen, bepöbelt zu werden, hieß es seinerzeit.
Wurststand als Exponat der Stadtgeschichte
Seit mehr als einem Jahr stand deswegen offenbar die Überlegung im Raum, den Imbiss an diesem Standort aufzugeben. Doch Kiefert am Bahnhof, eine Dunkle vom Rost, das galt und gilt in Bremen seit Jahrzehnten als Kult und Kulturgut. Außerdem ist an dem Platz die Keimzelle des in den besten Jahren auf acht Verkaufsstandorte angewachsenen Unternehmens. Der vom Firmengründer Otto Kiefert 1931 am Bahnhof errichtete, ursprüngliche ovale Wurst-Pavillon wurde nach dem Zweiten Weltkrieg vom Sohn und aktuellen Namensgeber Martin Kiefert wieder aufgebaut.
Erst 1998 wich er der Neugestaltung des Bahnhofsvorplatzes, blieb aber erhalten und lagert nach einer kurzen Station als Verkaufspavillon in der Markthalle am Domshof auf der Alten Werft an der Stephanikirchenweide in der Überseestadt. Ab 2026 soll er als Exponat der Stadtgeschichte einen festen Platz im Focke-Museum finden „Mein Mann tut sich schwer, mit dieser Tradition zu brechen“, kommentierte Marianne Kiefert die Überlegungen von Joachim Kiefert, der heute in dritter Generation das Geschäft führt.
Mietverhältnis bereits gekündigt
Doch der Firmenchef hat sich zur Schließung durchgerungen und bereits Nägel mit Köpfen gemacht. Die Bremer Straßenbahn AG (BSAG) als Eigentümer des Imbissgebäudes bestätigt die fristgerechte Kündigung des Mietverhältnisses zum Jahresende. Unklar ist, ob und wie es an dieser Stelle mit einem ähnlichen oder ganz anderem Angebot weitergeht. „Da zum jetzigen Zeitpunkt kein neuer Mietvertrag geschlossen wurde, können wir auch noch nichts zum künftigen Betriebskonzept sagen“, heißt es auf Anfrage.
Die Zahl der Brat- und Bockwurst-Verkaufsstellen hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verringert. Neben den einmal acht Kiefert-Standorten konnten bis in die Achtzigerjahre hinein in vielen Stadtteilen auch Bratwürste des zweiten Bremer Traditionsbetriebs Stockhinger verzehrt werden. Der heutige Firmenchef Michael Stockhinger – wie Joachim Kiefert der Enkel des Gründers – hat sich schon länger auf seinen Stammplatz auf dem Kirchhof der Liebfrauenkirche reduziert. Seit 1920 gilt das dort von Alfred Stockhinger zentral platzierte „Bartwurstglöckl“ als der erste Wurstpavillon der Stadt.
Dass heute weniger Würste verkauft werden als vor Jahrzehnten, liegt aus Sicht von Stockhinger am insgesamt breiteren Imbiss-Angebot. „Vor 40 Jahren hatte noch nicht jeder Bäcker belegte Brötchen, und es gab nicht an jeder Ecke Döner oder Pizza.“ Und in Sachen Fleisch dächten heute vor allem jüngere Leute mehr an Burger als an Wurst.