Die Bremer Bevölkerung wird nicht über ein Alternativkonzept für den Deichschutz am Neustädter Weserufer abstimmen. Das hat der Staatsgerichtshof – das Verfassungsgericht der Freien Hansestadt Bremen – am Montag entschieden. Es gab damit einem Antrag des Senats statt, der Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit eines Volksbegehrens mit anschließendem Volksentscheid geltend gemacht hatte. Die Bürgerinitiative „Platanen am Deich“ zeigte sich enttäuscht von dem Urteil. Sie will weiter auf politischem Weg gegen die geplante Fällung von 136 Platanen an der sogenannten Stadtstrecke zwischen Piepe und Eisenbahnbrücke mobil machen.
Worum ging es in dem Rechtsstreit?
Die Umweltbehörde hatte bereits vor mehreren Jahren ein Konzept zur Verbesserung des Hochwasserschutzes am Neustädter Weserufer vorgelegt. Es sieht vor, den vorhandenen Deich samt Baumreihe durch eine Konstruktion aus zwei unterschiedlich hohen Hochwasserschutzwänden zu ersetzen. Dadurch würde eine terrassenartige Anlage mit eingefügten Stufen und einer Promenade auf der oberen Ebene entstehen. Hochwasserschutz und Aufenthaltsqualität am Neustädter Ufer sollen so gleichermaßen verbessert werden. Die 136 Platanen müssten diesem Vorhaben allerdings bis auf wenige Ausnahmen weichen. Hiergegen macht seit Jahren die Bürgerinitiative mobil. Sie will die Platanen erhalten. Mitte 2022 startete sie ein Volksbegehren, sammelte dafür rund 26.000 Unterschriften und legte auch ein Alternativkonzept für den Hochwasserschutz vor. Ziel der BI war es, dass die Bremer Bevölkerung über einen Gesetzentwurf abstimmt, der auf diesem Konzept basiert.
Was hat das Gericht entschieden?
Ende 2022 erhob der Senat rechtliche Bedenken gegen ein Volksbegehren und erklärte es für unzulässig. So gelangte der Fall vor den Staatsgerichtshof. Nach einer Anhörung der Streitparteien Ende Januar haben die Richter jetzt einstimmig entschieden: Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Volksbegehrens sind nicht gegeben, es kollidiert mit Bundesrecht. Der Gesetzentwurf der BI sieht nämlich vor, den Baumbestand auf dem Neustädter Deich zum geschützten Landschaftsteil zu erklären. §4 des Bundesnaturschutzgesetzes bestimmt jedoch: Bei Naturschutz- und Landschaftspflegemaßnahmen auf Deichen muss deren „bestimmungsgemäße Nutzung“ gewährleistet bleiben. Dieser „Funktionssicherungsklausel“ widerspricht es nach Ansicht des Gerichts, wenn der Gesetzentwurf der BI dem Schutz der Platanen höheres Gewicht beimisst als der Deichsicherheit. Das Land Bremen habe auch keine Gesetzgebungskompetenz, um abweichende rechtliche Regelungen zu treffen.
Wie reagiert die Bürgerinitiative?
Sie ist enttäuscht. „Das Urteil tut dem Gedanken der Bürgerbeteiligung keinen Gefallen“, findet Sprecher Gunnar Christiansen. Immerhin habe die Bürgerinitiative in den vergangenen Jahren rund 26.000 Unterschriften für den Erhalt der Platanen gesammelt und ein Konzept für den Deichschutz vorgelegt, dass sowohl preisgünstiger als auch schneller realisierbar wäre als die Pläne der Umweltbehörde. Die Erfahrungen der BI mit der Behörde bezeichnete Christiansen als „unterirdisch“. Bei einem Treffen im Jahr 2018 hätten Vertreter des Ressorts keine rechtlichen Einwände gegen ein Volksbegehren erhoben. Von einer Kollision mit dem Bundesnaturschutzgesetz sei keine Rede gewesen.
Christiansen kritisierte auch, dass das Gericht formale Unzulänglichkeiten des Senatsbeschlusses von Ende 2022 als belanglos abgetan habe. Hintergrund: Der Beschluss, das Volksbegehren für unzulässig zu erklären, war nicht in einer Präsenzsitzung des Senats gefasst worden, sondern in einem digitalen Umlaufverfahren, bei dem die Senatsmitglieder ihr Votum per E-Mail abgaben. Diese Prozedur entsprach nicht der Geschäftsordnung der Landesregierung. Christiansen kündigte an, mit dem politischen Widerstand gegen das Fällen der Platanen nicht nachlassen zu wollen. Das bevorstehende Planfeststellungsverfahren für das Deichkonzept der Behörde eröffne zudem noch Möglichkeiten, rechtlich einzuhaken.
Was sagt die Umweltbehörde?
„Es ist gut, dass der Staatsgerichtshof heute den Hochwasserschutz so stark gemacht hat und wir die Stadtstrecke in diesem Abschnitt neu und für die Zukunft hochwasserfest gestalten können.“ So lautet die Reaktion von Umweltsenatorin Kathrin Moosdorf (Grüne). „Wir tun uns immer schwer damit, Bäume zu fällen“, ergänzt sie, am Neustädter Deich führe daran jedoch kein Weg vorbei. Gutachter und Deichbauingenieure hätten keinen Zweifel daran gelassen, dass die Platanen weichen müssten, wenn die Neustadt langfristig vor Hochwasser geschützt bleiben soll. Derzeit werde der Rahmenentwurf für das Umgestaltungsprojekt weiter konkretisiert. 2025 solle er vom Senat beschlossen werden.
Gibt es weitere politische Reaktionen?
Die Bürgerschaftsfraktion der Grünen begrüßte den Richterspruch. Fraktionsvize Philipp Bruck erinnert daran, dass um die Jahreswende während des Hochwassers im Ortskern von Lilienthal Bäume auf Deichen kurzfristig gefällt werden mussten, um zu verhindern, dass durchgeweichte Deiche brachen. „Solche heiklen Situationen können für die Bremer Neustadt hoffentlich vermieden werden“, so Bruck, wenn der Neubau der Stadtstrecke mit höherem Deichniveau und hochwassersicherer Bepflanzung jetzt zügig umgesetzt werden kann. Aus Sicht des Vereins „Mehr Demokratie“ offenbart der Ausgang des Gerichtsverfahrens Reformbedarf bei den Regeln für direkte Demokratie. So müsse die Zulässigkeit eines Volksbegehrens künftig frühzeitig geklärt werden. Sprecherin Katrin Tober schlägt außerdem vor, die Zahl der notwendigen Unterschriften für den Zulassungsantrag zu einem Volksbegehren deutlich zu senken.