Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) weist auf eine neue, Missionierungskampagne der salafistischen Szene in Bremen hin. Das Projekt nennt sich „Was danach?“ und hat insbesondere die bundesweite Verteilung von Flyern zum Gegenstand. „Die Kampagne trägt eindeutig die Handschrift der Akteure der salafistischen Szene, auch wenn dies nicht gleich auf den ersten Blick erkennbar ist", sagt Thorge Koehler, Leiter des LfV Bremen.
Eine ganze Zeit lang war es zumindest nach außen hin ruhig geworden um Bremens salafistische Szene. "Sie waren zwar nie richtig weg", sagt Koehler, aber von etwa Ende 2017 bis 2019 habe es eine gewisse Delle gegeben. Die Ausreisewelle lief schleppender, das erstrebte Kalifat konnte nicht verwirklicht werden. Dann kam Corona und damit die verstärkte und zunehmend auch professionellere Verlagerung der Aktivitäten in die digitale Welt. "Jetzt aber wird zusätzlich versucht, durch solche Kampagnen auch wieder mehr in der realen Welt präsent zu sein."
"Was passiert nach dem Tod?"
Dies äußere sich unter anderem in einem Flyer mit dem Titel "Was passiert nach dem Tod?" Gerichtet sei dieser an zwei Zielgruppen, erläutert der Verfassungsschutzchef: "Einerseits an Menschen muslimischen Glaubens, die vermeintlich 'fehlgeleitet' sind, also eben nicht der salafistischen Glaubensauslegung folgen, und andererseits an Menschen nicht-muslimischen Glaubens mit dem Ziel, diese für den Salafismus zu gewinnen."
Auf den ersten Blick beschäftige sich der Flyer mit Sinnfragen des Lebens. Bei genauerer Betrachtung enthalte er jedoch salafistische Argumentationsmuster. So werde etwa behauptet, dass es nur eine wahrhaftige Islamauslegung gebe, womit die salafistische Auslegung gemeint sei. Moderne und an die heutige Zeit angepasste Entwicklungen innerhalb des Islams würden hingegen als nicht zulässige Neuerungen beschrieben und damit als unislamisch abgelehnt. Auch tauchten islamische Endzeitvorstellungen wie das Höllenfeuer als Drohung auf.
Bis auf wenige Ausnahmen enthielten die Flyer selbst zwar keine extremistischen Inhalte. Aus Sicht des Bremer Verfassungsschutzes sind jedoch die Akteure des Projekts sowie die dahinterstehende Organisation bedenklich. Herausgeberin der Flyer und Initiatorin des Projekts sei die „Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft e.V.“ in Braunschweig. Dabei handele es sich um eine Moschee, die eine zentrale Rolle in der überregionalen Vernetzung salafistischer Aktivitäten einnehme und damit einen der Schwerpunkte salafistischer Bestrebungen in Niedersachsen darstelle. Vergleichbar mit dem IKZ (Islamisches Kulturzentrum) in Bremen, erläutert Koehler. Beworben werden die Flyer durch den Salafisten Pierre Vogel aus Nordrhein-Westfalen, der vor einigen Jahren auch in Bremen aufgetreten war. Seine Bekanntheit verschaffe der Missionierungsaktion besondere Reichweite.
Mit der Aktion „Was danach?“ gehe die salafistische Szene neue Wege, um möglichst viele Menschen zu erreichen: Statt der bisherigen Verteilaktionen und Infostände in Fußgängerzonen würden nun Flyer im häuslichen Wohnumfeld verteilt. Auch in Bremen wurden die Flyer laut Verfassungsschutz schon an Privathaushalte verteilt und in öffentlich zugänglichen Bereichen ausgelegt, wie zum Beispiel in der Universität. Dabei würden die Initiatoren mutmaßlich auf Bremer Unterstützer zurückgreifen.
Neu sei auch die Online-Bewerbung des Projektes. So gelange man über einen QR-Code auf der Rückseite der Flyer auf eine Homepage mit noch eindeutigeren, expliziteren und teils extremistischen Inhalten. Hier würden unter anderem die Körper- und Todesstrafen im islamischen Recht, der Scharia, verteidigt und gerechtfertigt. Zudem werde die Ungleichheit zwischen Mann und Frau zum Ausdruck gebracht. "Solche Aussagen sind nicht mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar", betont Koehler.
Missionierungsprojekte wie dieses dienten als niedrigschwelliger Einstieg in die salafistische Szene. "Sie sollen harmlos erscheinen und dadurch anschlussfähig machen", sagt Koehler. Und dies vor dem Hintergrund ohnehin gestiegener salafistischer Aktivitäten auch in Bremen. Der Verfassungsschutz beobachte im Bereich des IKZ einen deutlichen Anstieg von realweltlichen Kombinationen mit sogenannten Islamfluenzern. Die seien zunächst online aktiv, kämen dann aber auch nach Bremen und hielten hier Seminare ab. "Und da kommen dann plötzlich bis zu 700 teilweise sehr junge Menschen in die Moschee und gucken sich das an." Dazu jetzt noch Kampagnen wie "Was danach?", was nur einen Schluss zulasse, so Koehler: "Die salafistische Szene ist auch in der Nachwuchswerbung wieder aktiver geworden."