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Bremer Verkehrssenatorin "Mein Wunsch ist, dass wir bestehende Parkräume optimal ausnutzen"

Bremens Verkehrssenatorin Özlem Ünsal muss gegen das Gehwegparken vorgehen, ohne dabei für Chaos auf den Straßen zu sorgen. Wie das funktionieren soll, erzählt sie im Interview.
25.01.2025, 05:00 Uhr
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Von Felix Wendler

Frau Ünsal, wer macht Ihnen momentan mehr Druck – diejenigen, die möglichst schnell alle Autos von den Gehwegen entfernen wollen, oder diejenigen, die unbedingt ihren Parkplatz vor der Haustür behalten wollen?

Özlem Ünsal: Das sind die jeweils maximalen Konträrpositionen, die ich anerkenne. Sorgen bereiten sie mir nicht. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts bringt Klarheit und zeigt den Handlungsspielraum auf – daran halten wir uns natürlich. Meine Behörde hat einen Vier-Stufen-Plan erarbeitet, der die Umsetzung regelt. Es handelt sich dabei um ein dynamisches Konzept, das auf die individuellen Anforderungen unserer Quartiere eingeht. Unser Ziel ist es, in den kommenden Jahren spürbare Verbesserungen zu erreichen. Das ist ein riesiger Fortschritt, gemessen an dem, was in den vergangenen Jahren passiert ist – oder auch nicht passiert ist.

Kritiker des neuen Konzepts wünschen sich vor allem klarere Zeitziele. Alles, was über dieses Jahr hinausgeht, wird nicht terminiert. Warum?

Ich möchte die Vorschläge der Bürgerinnen und Bürger ernsthaft in die Überlegungen einbeziehen. Das bedeutet auch, dass wir geeignete Formate der Beteiligung anbieten werden – und folglich der Zeitplan bei Bedarf den Bedürfnissen unserer Bürgerinnen und Bürger angepasst werden muss. Es gibt also einerseits den Wunsch nach einem straffen und konkreten Zeitplan. Anderseits wird die angemessene Beteiligung verlangt. Das steht im Widerspruch zueinander. Damit müssen wir flexibel umgehen.

Zeitziele wären möglicherweise auch vor Gericht angreifbar und einforderbar …

Wir müssen im gesamten Prozess die rechtlichen Rahmenbedingungen stets abwägen. Deswegen wäre es unseriös, zum jetzigen Zeitpunkt starre Zeitfenster zu benennen, die immer wieder auf den Prüfstand kommen.

In Ihrem neuen Konzept spielt die Rettungssicherheit eine große Rolle. Mit dem aufgesetzten Parken hat das nur bedingt zu tun: In einigen der Straßen, in denen das Amt für Straßen und Verkehr nachgerüstet hat, wird und wurde nicht auf dem Gehweg geparkt. Sollte es nicht eine Selbstverständlichkeit sein, dass Straßen rettungssicher sind?

Wir arbeiten eng mit dem Innenressort zusammen und kommen zum Zuge, wenn entsprechende Straßen benannt werden. Es ist aber gewiss nicht so, dass die Rettungssicherheit in den Straßen bislang nicht gegeben ist. Auch dem Innenressort ist bewusst, dass auf das Ordnungsamt Herausforderungen durch das Neuordnen des Parkens zukommen werden.

Aus Ihrem Ressort gibt es Schätzungen, dass rund 50.000 Autos regelmäßig auf Bremer Gehwegen stehen. Wenn man davon ausgeht, dass die Besitzer ihre Autos behalten wollen, bräuchte es langfristig also 50.000 alternative Parkplätze. Kalkulieren Sie so?

Ich finde es bemerkenswert, dass der Trend in vielen Städten – vielleicht entgegen der gefühlten Wahrnehmung und Erwartungen – zu mehr Autos geht. Das trifft auch für Bremen zu. Diese Entwicklungen berücksichtigen wir auch im Zuge unseres Konzepts. Wir müssen im Sinne des Urteils gegen das aufgesetzte Parken vorgehen, aber gleichzeitig auch tragfähige Alternativen sicherstellen. Die Vorstellung, dass die Leute kurzerhand auf ihr Auto verzichten und auf ein Lastenrad umsteigen, ist wünschenswert, trifft aber vielfach nicht die Lebensrealität der Menschen.

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Es gibt kein Recht auf einen Parkplatz im öffentlichen Raum, direkt vor der Haustür sowieso nicht. Welche Strecke zum nächsten Parkplatz ist zumutbar? 100 Meter, 500 Meter, ein Kilometer?

Wir haben unterschiedliche Parameter bei unserer Bürgerbefragung zu den Quartiersgaragen ermittelt. Dazu gehört auch die Frage der Entfernung. Rund die Hälfte der Teilnehmenden will maximal fünf Minuten gehen, ein Fünftel bis zu zehn Minuten und etwa jeder Zehnte ist bereit, mehr als zehn Minuten in Kauf zu nehmen.

Und wenn man Sie fragt?

Ich möchte, dass Angebot und Nachfrage zusammenpassen und nicht an den Bedürfnissen vorbeigehen. Hierzu sind für mich persönliche Gespräche mit den Betroffenen sehr erkenntnisreich. Ich habe kürzlich mit einer jungen Frau gesprochen, die im Schichtdienst tätig ist. Sie finde es gut, dass das Parken neu geordnet wird. Die Frau kommt aber auch abends spät nach Hause und will nicht Entfernungen zurücklegen, die sie als lang und unsicher empfindet. In Findorff habe ich mit vielen Betroffenen gesprochen – darunter zum Beispiel Handwerker, Krankenschwestern und Polizisten, die auf ihr Auto angewiesen sind. Diese Impulse finden Eingang in unsere Betrachtungen.

Diese Fälle gibt es unbestreitbar. Eine Studie des Karlsruher Instituts für Technologie kommt andererseits zu dem Schluss, dass mehr als die Hälfte der Pkw-Besitzer ihr Auto objektiv nicht benötigt.

Wir werden in der Quartiersbetrachtung gezielt herausarbeiten, wo es die Bereitschaft zum Verzicht gibt und wo es Alternativen braucht. Und wir werden daran arbeiten, die Betroffenen von unserem stufenweisen, ausgewogenen und sozialverträglichen Vorgehen zu überzeugen.

Die Bereitschaft, auf das Auto zu verzichten, obwohl man es könnte, ist bislang nicht allzu groß ...

Das Thema Parken mitsamt dem möglichen Verzicht auf das Auto ist bundesweit gerade ein großer Kulturwandel. Die Menschen in den Quartieren setzen sich im Zuge der Mobilitätswende verantwortungsvoll damit auseinander. Das Urteil befeuert diesen Kulturwandel einmal mehr. Ich will das Bild zurechtrücken, dass das Parken immer konfliktbehaftet ist. In vielen Nachbarschaften machen sich die Menschen Gedanken und bringen gute Ideen ein. Und manche sagen durchaus: Ich könnte mir vorstellen, auf das Auto zu verzichten, wenn das Alternativangebot stimmig ist.

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Welche Alternativen gibt es?

Neben dem ÖPNV-Ausbau sind mehr Carsharing-Angebote und mögliche Öffnungen von privaten Flächen Teil des Konzepts. Wir werden ja kurz- und mittelfristig denken müssen, weil sich zum Beispiel Quartiersgaragen nicht von heute auf morgen bauen lassen. Die müssen geplant werden – und wir brauchen den nötigen Finanzrahmen in schwierigen Haushaltszeiten.

Für eine Quartiersgarage wird je nach Bauweise mit Kosten zwischen 20.000 und 50.000 Euro pro Stellplatz kalkuliert. Wie soll sich Bremen den Bau mehrerer dieser Garagen leisten?

Wir sind in Gesprächen mit privaten Investoren, um Quartiersgaragen zu schaffen. Einnahmen für den Bau gibt es aus der Parkraumbewirtschaftung, aber weil uns im Land Bremen einige wichtige Töpfe weggebrochen sind, werben wir aktuell auch um Fördermittel von Bund und EU.

Der Ruf nach Quartiersgaragen ist groß, aber die bestehenden Angebote waren in der Vergangenheit nicht immer ausgelastet. Wie sieht es aktuell aus?

Wenn es um Parkalternativen geht, muss man bedenken, dass Bremen nicht unendlich verfügbare Flächen hat. Zudem konkurrieren die Erwartungen um Flächennutzungen. Mein Wunsch ist, dass wir die bereits bestehenden Parkräume optimal ausnutzen und somit weitere Versiegelungen vermeiden. Ich denke dabei nicht nur an Quartiersgaragen, sondern zum Beispiel auch die Parkhäuser. In diese Richtung geht sicherlich noch etwas. Ich verstehe aber auch, dass die Parkhäuser nicht immer die ideale Alternative sind.

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Seit Jahren wird darüber diskutiert, Supermarkt-Parkplätze nachts für Anwohner zu öffnen. Jetzt soll es bald so weit sein. Wie kann das Konzept funktionieren? Viele Supermärkte haben bis 22 Uhr oder länger geöffnet – zu dieser Zeit sind die meisten Anwohner doch längst zu Hause.

Es laufen Gespräche, wie und zu welchen Bedingungen beispielsweise die Nutzungszeiten passend gemacht werden können, damit Anwohner davon profitieren. Man muss aber auch realistisch einordnen, dass private Supermarkt-Parkplätze lediglich ein Baustein des Konzepts sind. Gerade in Quartieren mit hohem Parkdruck haben auch die Supermärkte oft nur wenige Parkplätze.

Sie werben für den „Mobilitätsfrieden“. Wann glauben Sie, wird dieser Frieden erreicht sein?

Mobilitätsfrieden bedeutet für mich, dass der öffentliche Raum von allen Menschen entsprechend ihren individuellen Bedürfnissen genutzt werden kann. Dies herzustellen, braucht Zeit und Dialogbereitschaft von allen Beteiligten. Ich glaube fest daran, dass wir eine für die Mehrheit zufriedenstellende Lösung herausarbeiten werden.

Das Gespräch führte Felix Wendler.

Zur Person

Özlem Ünsal (50)

ist seit Juli 2023 Bremens Senatorin für Bau, Mobilität und Stadtentwicklung. Zuvor war die SPD-Politikerin Grundsatzreferentin im Sozialministerium Schleswig-Holsteins.

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