Es bleibt dabei: Beim Thema Kirchenasyl kommen Bremens Innensenator Ulrich Mäurer und seine SPD mit den beiden kleineren Koalitionspartnern Linke und Grüne derzeit auf keinen gemeinsamen Nenner. Das ist am Mittwochvormittag in der Bürgerschaft überaus deutlich geworden. In einer emotionalen Debatte attackierte Linken-Fraktionschefin Sofia Leonidakis den Innensenator in beispielloser Weise. Die Aussprache musste zeitweilig unterbrochen werden, nachdem Kirchenasyl-Aktivisten auf der Besuchertribüne Transparente entrollt und ihrem Unmut über Mäurer lautstark Ausdruck verliehen hatten.
Die FDP hatte die Debatte im Rahmen einer Aktuellen Stunde beantragt. Ihr Innenpolitiker Marcel Schröder zog die Berechtigung des Kirchenasyls grundsätzlich in Zweifel. Anders als in der Antike, in die die Tradition des Kirchenasyls zurückreicht, gebe es heute einen funktionierenden Rechtsstaat. Wer sich als Asylbewerber gegen behördliche Entscheidungen zur Wehr setzen wolle, könne das vor Gerichten tun.
Ganz anders sahen das die Fraktionsvorsitzenden von Linken und Grünen, Sofia Leonidakis und Henrike Müller. Erstere schlug gegenüber dem Innensenator einen Ton an, der für eine Koalitionspartnerin außergewöhnlich war. Ausdrücklich distanzierte sie sich von dem gescheiterten Versuch der Innenbehörde, einen jungen Somalier aus den Räumen der Neustädter Zionsgemeinde zu holen und ihn nach Finnland zu überstellen – also das Land, das nach europäischem Recht für seinen Asylantrag zuständig ist. Die Polizeiaktion sei "nicht im Namen der Linken geschehen", unterstrich Leonidakis. "Ein Bruch des Kirchenasyls ist für uns ein No-go", so die Linken-Fraktionschefin, die hinzusetzte: "Ein solcher Dammbruch passt in keiner Weise in eine rot-grün-rote Regierung." Leonidakis dankte ausdrücklich den Aktivisten, die vor einigen Tagen die Polizeiaktion in den Räumen der Kirchengemeinde vereitelt hatten. Sie hätten Mäurer "die Grenzen aufgezeigt".
In der Wortwahl konzilianter, in der Sache aber ebenso deutlich stellte sich auch Henrike Müller gegen Mäurer, indem sie sagte: "Meine Fraktion lehnt Abschiebung aus Kirchenasyl ab." Dass Mäurers Behörde ohne vorherige Konsultationen in der Koalition von der Praxis abgewichen sei, Kirchenasyl nicht anzutasten, sei nicht in Ordnung. Sie erwarte vom Innensenator, dass es vorerst keine weiteren behördlichen Aktionen in kirchlichen Einrichtungen gebe.
Oppositionsführer Frank Imhoff (CDU) sah die Koalition angesichts des vehement und öffentlich ausgetragenen Streits "am Ende". Den Linken warf er "Verlogenheit" vor. Sie seien normalerweise die eifrigsten Kritiker der Kirchen. Wenn es aber um den Schutz von Asylbewerbern gehe, preise die Linke die Kirchen als leuchtendes Vorbild. Aus Sicht der CDU müsse Kirchenasyl eine absolute Ausnahme bleiben. In Bremen sei angesichts der stark gestiegenen Zahlen das Gegenteil der Fall.
Julia Tiedemann (Bündnis Deutschland) sprach von einer "linksgrünen Erregungsspirale", die sich gegen den Innensenator richte. Den Aktivisten, die sich den Polizisten in der Zionsgemeinde entgegengestellt hatten, gehe es nicht um das Einzelschicksal des Somaliers. Sie führten vielmehr einen "Kampf gegen das deutsche und europäische Asylrecht", meinte die Bremerhavener Abgeordnete.
Für die SPD-Fraktion stellte sich ihr Innenpolitiker Kevin Lenkeit hinter den Innensenator. Wie Frank Imhoff richtete Lenkeit an die christlichen Gemeinden die Erwartung, Kirchenasyl auf seltene Einzelfälle zu beschränken. Solche humanitären Akte dürften nicht dazu führen, dass letztlich in großer Asylentscheidungen staatlicher Organe umgangen werden. Doch genau das geschehe gerade. Lenkeit sprach von einem "Massenphänomen".
Ulrich Mäurer beendete die Debatte mit versöhnlichen Tönen. Der Innensenator erinnerte daran, dass es in Bremen in der Vergangenheit oft gelungen sei, Asyl-Härtefälle geräuschlos zu regeln. Die Entwicklung sei zuletzt aber quantitativ aus dem Ruder gelaufen. Allein im laufenden Jahr sei in 32 Fällen die Abschiebung von Asylbewerbern gescheitert, weil ihnen Kirchenasyl gewährt worden sei. Diese Größenordnung sei nicht mehr zu vertreten. Bremen stehe für rund zehn Prozent aller Kirchenasylfälle in Deutschland. Mäurer: "Wir müssen runterkommen von diesen Zahlen." In diesem Sinne werde er kurzfristig das Gespräch mit der Bremischen Evangelischen Kirche suchen. In katholischen Gemeinden gibt es aktuell keine einschlägigen Fälle. Darauf wies am Mittwoch Propst Bernhard Stecker hin, der dem katholischen Gemeindeverband in Bremen vorsteht.