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Bürgerschaftswahl am 14. Mai Unterwegs mit den Bremer Spitzenkandidaten

Raus auf die Straße und ran an die Wählerinnen und Wähler müssen alle Kandidaten für die nächste Bremische Bürgerschaft. Wir haben die Top-Leute auf den Listen der sechs aussichtsreichsten Parteien begleitet.
03.05.2023, 06:00 Uhr
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Von Jürgen Theiner Joerg Helge Wagner Marc Hagedorn Kristin Hermann Jürgen Hinrichs Lisa Duncan
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Kristina Vogt (Die Linke)

Sie ist keine, die einfach fremde Hände schüttelt oder gar arglose Seniorinnen umarmt – Kristina Vogt wartet ab, bis man sie anspricht. Und dann gibt sie detailliert Auskunft, ob es nun um die Ausbildungsabgabe, Verkehrstrassen oder bezahlbaren Wohnraum geht. Man könnte ihren Wahlkampf-Stil zurückhaltend und gelassen nennen – oder auf eine raffinierte Art sehr selbstbewusst.

An diesem sonnigen Samstagvormittag ist es für die Wirtschaftssenatorin und Spitzenkandidatin der Linken zunächst nicht einfach, das durchzuhalten. Auf dem kleinen Plätzchen vor dem Rewe-Markt an der Wachmannstraße drängen sich die Stände von vier Parteien. Die SPD hat eine Blaskapelle aufgeboten, und Bürgermeister Andreas Bovenschulte bedient zwischenzeitlich routiniert die Tuba – da lässt es sich kaum drei Meter entfernt nicht wirklich gut erläutern, wie die Linke die Klimakrise zur Schaffung neuer, innovativer Arbeitsplätze nutzen will.

"Wie wollen Sie die Grünen aus dem Senat vertreiben?" hatte ein älterer Herr gefragt. Dass Vogt für den Koalitionspartner wenig Sympathien hegt, ist bekannt – aber das sagt sie natürlich nicht, wenn drei Schritte weiter deren Bundestagsabgeordnete Kirsten Kappert-Gonther Flyer verteilt. Vogt spricht lieber davon, dass "die Industrie der Energie folgt" und deshalb "nach 40 Jahren die Chance besteht, gegenüber dem Süden aufzuholen". Offshore-Ausbau in der Nordsee, Kavernen für grünen Wasserstoff an Land – es sprudelt nur so aus ihr heraus. Der ältere Herr nickt ernst, zieht dann mit seinen Einkäufen ab.

Schwachhausen sei kein schwieriges Pflaster für die Linken, versichert Vogt: "Auch hier gibt es viele Ältere, die mit ihrer Rente nicht gut über die Runden kommen." Ihre Eltern leben in Pflegeheimen in Huchting. Ein anderer älterer Herr spricht sie auf die Ausbildungsabgabe an. Es ist Manfred Fuß, 1994/95 kurz Finanzsenator. Betriebe, die viel ausbilden, zahlten dann drauf, kritisiert der SPD-Politiker und Geschäftsmann. Vogt hält dagegen: Kleinere Betriebe bräuchten Mittel, um auszubilden – sie habe schließlich selbst früher als Wirtin ausgebildet. Und über eine Kompensation für die Größeren könne man reden. Die ideologieferne Politik hat Vogt Respekt verschafft. "Seit 53 Jahren bin ich in der SPD", sagt eine Dame, "aber ich danke Ihnen und Ihrer Senatskollegin Claudia Bernhard."

Am Nachmittag lädt Die Linke in Walle auf dem Wartburgplatz zum Stadtteilfest. Das Publikum ist viel jünger als in Schwachhausen, oft migrantisch, eher keine Feinkost-Kundschaft. Auf den T-Shirts Schriftzüge von AC/DC oder dem FC St. Pauli. Der Shanty-Chor Hart Backbord singt, und irgendwann bittet die Ex-Bundestagsabgeordnete Doris Achelwilm die Senatorin zur kleinen Bühne.

Schwarze Hose, weißer Pulli, hellblaue Fliegerjacke – so steht die 57-Jährige vor der Bühne und legt einfach los, ohne Manuskript. "Das ist mein vierter Wahlkampf, und ich muss ja nicht so ins Detail gehen wie früher als Fraktionsvorsitzende." Hier in Walle geht es nicht um Wasserstoff, sondern um bezahlbaren Wohnraum. Vogt will Förderprogramme statt Regulierung, "da sich sonst die privaten Konzerne beim sozialen Wohnungsbau raushalten". Und alle sollen von ihren Quartieren aus ihre Arbeitsplätze in den Gewerbegebieten gut mit dem ÖPNV erreichen. Kleinere Bezirke der Kassenärztlichen Vereinigung, damit Stadtteile nicht unterversorgt bleiben. Zweistufige Ausbildungswege. Investitionen statt Schuldenbremse. 20 Minuten Stakkato, dann Applaus von den Bierbänken.

Maike Schaefer (Grüne)

Maike Schaefer ist an diesem Vormittag bei den Suppenengeln zu Gast. Gleich will sie die ehrenamtlichen Helfer bei der Ausgabe der Mahlzeiten unterstützen. Reis mit Hackbällchen soll die grüne Senatorin vor dem Hauptbahnhof an die Bedürftigen verteilen. Ob die Kunden wissen, welch prominente Küchenhilfe da heute mit anpackt?

Tatsächlich dauert es nicht lange, und ein Mann spricht Maike Schaefer an. „Ich bin zwar seit 30 Jahren CDU-Mitglied“, sagt er, „aber ich muss Ihnen jetzt trotzdem mal sagen: Ich finde Sie gut. Sie machen als Senatorin einen guten Job.“ Schaefer ist sichtlich erfreut über das Lob. Sie kennt das auch ganz anders.

Bei Meinungsumfragen zur Zufriedenheit mit der Arbeit der verschiedenen Senatoren ist Schaefer mehr als einmal auf dem letzten Platz gelandet. In Leserbriefen ist sie oft Ziel von Kritik, vor allem ihre Verkehrspolitik treibt manche Bremer auf die Palme.

Schaefer, verheiratet, ein Sohn, ist Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität und Stadtentwicklung, ein Mammutressort. Und eines, dessen Entscheidungen den Lebensalltag der Menschen direkt betreffen. Jeder Mensch bewegt sich, jeder Mensch wohnt, jeden geht die Zukunft der Umwelt etwas an. Jeder ist in diesen Fragen gewissermaßen Experte, also hat auch jeder eine Meinung.

Zwei Stunden vorher hat sich Schaefer dem Reporter mit den Worten „Ich bin die Frau, die den Bremern die Brötchentaste weggenommen hat“ vorgestellt. Am selben Tag hatte der WESER-KURIER darüber berichtet, dass Schaefer das kostenlose Kurzzeitparken für die schnelle Besorgung, etwa beim Bäcker, abgeschafft hat. Sie ärgert sich über diese Zuspitzung. „Ich denke mir das alles ja nicht alleine aus“, sagt sie. Und überhaupt, „ich setze zum Teil Beschlüsse um, die weit vor meiner Zeit gefasst worden sind“.

Wie zum Beispiel den Ausbau des Walls als Fahrrad-Premiumroute. 2015 schon festgelegt, trifft sie heute die Kritik, „und nicht alles davon perlt an mir ab“, sagt sie. Die 51-Jährige tröstet sich damit, dass es Politiker, erst recht, wenn ihr Kerngebiet der Verkehr ist, nie allen recht machen können. „Irgendwer ist immer wütend“, sagt sie. Als Politikerin müsse man da Haltung zeigen. So hätten es frühere Generationen auch geschafft, den Stadtkern um Rathaus und Dom irgendwann autofrei zu bekommen, „auch wenn das anfangs nicht jeder toll fand“.

Vier Tage nach dem Termin bei den Suppenengeln hat Maike Schaefer leichtes Spiel. Weideaustrieb auf dem Hof Meyer im Blockland. Bestimmt 400 Menschen sind gekommen, um zu sehen, wie rund 90 Milchkühe nach fast sechs Monaten im Stall erstmals wieder auf die Weide dürfen. Schaefer und Hausherr Ingo Meyer öffnen das Stalltor.

Bei Bremens Landwirten ist Schaefer gern gesehen. Die „beste Senatorin, die wir bisher hatten“, nennt sie Hilmer Garbade. Bei Schaefer, Doktorin der Biologie, merke man, dass sie wisse, wovon sie spricht, so der Bremer Bauernpräsident. „Sie hat immer ein offenes Ohr für uns, sie weiß, was uns Landwirte bewegt.“

Konkret drückt sich das zum Beispiel in der Weideprämie aus. Landwirte, die ihre Kühe an mindestens 150 Tagen im Jahr auf die Weide lassen statt sie durchgängig im Stall zu halten, bekommen finanzielle Unterstützung. Das ist Landwirtschaftspolitik, wie die Grünen sie sich vorstellen. Das erklärt Schaefer wenig später auch den Zuhörern beim Strohdium, einer Podiumsdiskussion auf einer Bühne, die mit Strohballen geschmückt ist. Am Ende der Runde wird die Senatorin mit Applaus verabschiedet.

Andreas Bovenschulte (SPD)

Triumphzug und Ernüchterung – es ist ein Wahlkampf-Sonnabend, der alles zu bieten hat für den Bürgermeister. Nur wenige Kilometer voneinander entfernt durchlebt Andreas Bovenschulte das ganze Spektrum der Gefühle, als er für die SPD um Stimmen wirbt. Es kommt eben sehr darauf an, wo man das macht in einer Stadt der harten sozialen Kontraste.

Der Tag beginnt für Bovenschulte in Vegesack, und einen besseren Start kann man eigentlich nicht erwischen. Kaum hat der Rathauschef seinen Gang durch die Fußgängerzone begonnen, kommen auch schon die ersten Passanten auf ihn zu. Ein älteres Ehepaar gibt sich als langjährige SPD-Wähler zu erkennen. "Dann brechen Sie mal nicht mit Ihrer Tradition am 14. Mai", rät ihnen Bovenschulte, und das werden die beiden Senioren wohl auch nicht tun, so verzückt, wie sie den Bürgermeister anstrahlen. "Danke, dass Sie uns so gut durch die Pandemie gebracht haben", ruft jemand aus einiger Distanz, und immer wieder kommen Leute auf "Bovi" zu, die sich einfach nur mit ihm fotografieren lassen wollen.

Hier ein Selfie, dort ein Selfie. Wohl ein Dutzend mal muss der Bürgermeister auf seinem Spaziergang kurz innehalten, damit ein Foto gemacht werden kann. Andere versuchen, ihn auf Alltagsprobleme anzusprechen. Eine ältere Frau etwa will von Bovenschulte wissen, was er für eine bessere Bargeldversorgung im Stadtteil unternehmen will. Die Postbank und andere Kreditinstitute dünnten ihr Filialnetz immer mehr aus – da könne die Politik doch nicht einfach zusehen. Nein, das tue sie auch nicht, entgegnet der Bürgermeister und berichtet der Vegesackerin über Gespräche, die der Senat mit der Sparkasse führt.

In diesem und anderen Dialogen, die der Rathauschef an diesem Morgen in der Gerhard-Rohlfs-Straße führt, gibt er sich als Kümmerer, der sich aber hütet, rasche Abhilfe bei Problemen zu versprechen oder so zu tun, als gäbe es Patentrezepte etwa gegen den Rückzug der Banken aus der Fläche. Das kommt durchgängig gut an bei den Bürgern. Als Bovenschulte zur Mittagszeit seine Dienstlimousine besteigt, um nach Gröpelingen weiterzufahren, kann er sich einigermaßen sicher sein, in Bremen-Nord einen guten Auftritt abgeliefert zu haben.

Ankunft im Bremer Westen. Der SPD-Ortsverein hat an der Ecke Beim Ohlenhof / Gröpelinger Heerstraße einen Info-Stand aufgebaut und hofft nun auf tatkräftige Unterstützung durch den Bürgermeister. Doch wie das so ist in einem Stadtteil mit 38.000 Einwohnern und nur rund 10.000 Wahlberechtigten – viele der oft migrantischen Quartiersbewohner können mit dem grauhaarigen Hünen, der ihnen da einen Beutel mit Informationsmaterial überreichen möchte, nicht viel anfangen. Bovenschulte muss sich vorstellen. Er sei der Bürgermeister, klärt er seine Gesprächspartner auf, und interessiere sich für die Lebensumstände im Stadtteil. Etwas zögerlich kommt dann die ein oder andere kurze Unterhaltung zustande, die Angesprochenen tauen etwas auf, aber einen intensiven Bürgerdialog kann man wohl nicht nennen.

Die richtigen Fans sind rar in diesen Mittagsstunden, aber am Ende finden sie sich doch noch ein. Ein Rolli-Fahrer zeigt sich ganz begeistert von Bovenschultes Stadtteil-Präsenz. "Dass sich ein Bürgermeister so unters Volk mischt, das hab ich seit Henning Scherfs Zeiten nicht mehr erlebt", schwärmt der Passant und lobt das frühere Stadtoberhaupt. "Das war ein großer Politiker!". "Auf jeden Fall ein langer", bestätigt der Nachfolger, "aber auch ein großer..."

Frank Imhoff (CDU)

Das Feuerzeug ist quietsch-orange und trägt eine Botschaft, formuliert von der CDU: "Feuer und Flamme für Bremen". Feuer und Flamme, nichts weniger als das. Es gibt Tütchen mit Blumensamen, allerlei Flyer, Bierdeckel ("Gute Bildung ist unser Bier") und Minzbonbons von Mentos ("Frisch in die Bürgerschaft"). Die Tische sind reich gedeckt, aber das ist es nicht, was die Menschen interessiert. Sie sind an diesem Abend wegen "Frankie" gekommen, wie Frank Imhoff von seinen Leuten angekündigt wird: "Frankie, Dein Einsatz!" Und dann legt er los. So sehr, dass er zwischendurch ein Schluck Bier nehmen muss, damit die Kehle geschmeidig bleibt. Der Präsident als Wahlkämpfer. Imhoff will Bürgermeister werden.

Der Raum in der Borgfelder Milchmanufaktur ist gesteckt voll. Es müssen zusätzliche Stühle herbeigeschafft werden, damit alle Platz finden. Bevor Imhoff seinen Auftritt hat, geht er durch die Reihen und begrüßt die rund 70 Gäste per Handschlag. "Moin", sagt er, "na, wie geiht?" So ist er, und so kann er hier sein. Ein Heimspiel.

Borgfeld hat sich seinen ländlichen Charakter bewahrt, so wie der Ortsteil Strom am anderen Ende von Bremen, wo Imhoff zu Hause ist und seine Familie einen Bauernhof hat. Der Mann ist Landwirt von Beruf, "wir melken 110 Kühe", hat sich aber längst ganz und gar der Politik verschrieben – erst als einfacher Abgeordneter, seit knapp vier Jahren als Präsident der Bremischen Bürgerschaft und nun als Spitzenkandidat der CDU.

Einer vom Land also, und das kommt schon mal gut an in dem idyllischen Ort an der Wümme, wo Bremens legendärer Nachkriegsbürgermeister Wilhelm Kaisen gelebt und seinen Acker bestellt hat. Kaisen begründete die Machtstellung der SPD im kleinsten Bundesland, seit seiner Zeit als Senatspräsident hat es in dem Amt nie jemand anderen gegeben als einen Sozialdemokraten. Imhoff will diese Serie durchbrechen. Borgfeld ist dabei eine Bastion für ihn. Rein menschlich, durch die Nähe zu den Menschen. Aber auch politisch. Vor vier Jahren erreichte die CDU bei der Wahl zum Ortsbeirat fast die Hälfte der abgegebenen Stimmen. Die Beiratsmitglieder der CDU sind gut vertreten bei der Veranstaltung. Imhoff umgarnt sie, lobt die Ortspolitik insgesamt, "das sind die Leute, die am besten wissen, was auf lokaler Ebene notwendig ist". Ein Aufgalopp, und dann lässt er die Zügel schießen, redet sich in Rage gegen eine Politik des rot-grün-roten Senats, die er für gescheitert hält: "Ob Bildung, Verkehr, Armut oder Sicherheit – man geht in diesem Land die Probleme nicht mehr an." Bremen habe einen Wechsel verdient, "und dafür stehe ich".

Applaus, als Imhoff Sprachförderung schon im Vorschulalter fordert, die Vergabe von Noten in Ziffern ab der dritten Klasse und das Sitzenbleiben als Möglichkeit, den Stoff zu wiederholen. Applaus, als er bei den Radwegen dagegen wettert, dass sie nicht repariert werden. Zustimmendes Gelächter, als er den Verkehrsversuch in der Martinistraße aufspießt: "Wenn ich dort mit dem Trecker durchfahre, habe ich Angst, geblitzt zu werden, es gilt ja Tempo 20."

Imhoff trägt das launig vor, wie ihm der Mund gewachsen ist. Der Mann ist ganz bei sich, und seine Zuhörer sind bei ihm. Wahlkampf muss er hier eigentlich nicht machen, niemand, scheint es, der ihm in der Milchmanufaktur nicht gewogen wäre. Imhoff ist kein stilles Wasser, er trinkt Bier, "mit, bitte!", sagt er bei der Bestellung. Es macht ihm Spaß, für sich und seine Partei zu werben: "Ich bin ins Laufen gekommen."

Piet Leidreiter (BIW)

"Jetzt oder nie" könnte das Motto von Piet Leidreiters Wahlkampf heißen. Politisch blickt er auf eine bewegte Vergangenheit: Er war Bundesschatzmeister der AfD, als sie mit Bernd Lucke noch eine eurokritische, rechtsliberale Partei war. Mit Lucke verließ er im Juli 2015 die AfD, gemeinsam gründeten sie die "Allianz für Fortschritt und Aufbruch" (Alfa), später umbenannt in die "Liberal-Konservativen Reformer" (LKR). 2017 wechselte er zu den "Bürgern in Wut" (BIW). Der Vorsitzende Jan Timke sei sein Banknachbar in der Bürgerschaft gewesen. Inzwischen ist Piet Leidreiter Vize-Vorsitzender und Spitzenkandidat der Wählervereinigung für die Bürgerschaftswahl am 14. Mai.

Es ist Wahlkampf: Piet Leidreiter und seine Frau Janine werfen Flyer im Aalto-Hochhaus in der Vahr in Briefkästen. Seine Familie unterstütze ihn viel, erzählt der 58-Jährige. Tochter Alicia, die sich seit vier Jahren im Jugendbeirat Horn-Lehe engagiert, stellt sich als jüngste Kandidatin der BIW auf Listenplatz 8 zur Wahl.

Vor dem Aalto-Hochhaus spricht Leidreiter mit einem Passanten. "Gegen Denk- und Sprachverbote", heißt es auf dem Flyer. "Wir müssen ehrlich miteinander umgehen und nichts verschleiern", so Leidreiter. "Wir unterscheiden uns von der Merkel-CDU."

In den jüngsten Umfragen lagen die Bürger in Wut bei sechs Prozent – "genauso viel wie die FDP", so Leidreiter. Abseits der Politik leitet er die Steuerberatungsgesellschaft seines Vaters und betreibt mit seiner Frau eine Sicherheitsfirma. "Der Arbeitstag hat 24 Stunden und wir schlafen wenig", sagt der Spitzenkandidat. Durch das "Bündnis Deutschland" verfüge er erstmals über ein nennenswertes Wahlkampfbudget. Wie berichtet, unterstützt die neue Partei die BIW mit einem sechsstelligen Betrag "und personeller Wahlkampfhilfe", ergänzt Leidreiter. Die BIW haben Anzeigen geschaltet, Haushalte angeschrieben, Flyer gedruckt, Infostände von Walle bis Borgfeld bespielt, und nach Timke startet nun auch Leidreiter in den Haustür-Wahlkampf.

Nicht in allen Stadtteilen ließen sich Stimmen holen, weiß Piet Leidreiter. Bezirke mit erwartbar hohem grünen Wähleranteil lasse er aus. "An der Schwachhauser Heerstraße sind fast alle unsere Plakate abgehängt worden", erzählt Janine Leidreiter. Auf Facebook, Twitter und Co. wurde er schon als "Nazi" beleidigt. Er führt dies auf seine AfD-Vergangenheit zurück, doch mit der heutigen Partei verbinde ihn nichts mehr: "Unser Ziel ist anschlussfähige bürgerliche Politik."

Die BIW seien wertkonservativ und wirtschaftsliberal. "Klar, wir haben über die unbegrenzte Einwanderung geschimpft. Aber man muss unterscheiden zwischen der Einwanderungspolitik und den Leuten, die hier sind." Für die BIW engagierten sich auch Menschen mit Migrationsgeschichte. "Wir brauchen Elitenförderung und gezielte Einwanderung nach Bedarf", so Leidreiter.

"Autofahrer wehrt euch", fordern die BIW auf einem Plakat. "Die Grünen machen alles, um den Autofahrern das Leben schwer zu machen", die ansonsten keine Lobby hätten, rechtfertigt Leidreiter die offensive Wortwahl. Tatsächlich gehe es darum, "einen Ausgleich zwischen Fußgängern, Radfahrern und Autofahrern" zu schaffen.

In der Bürgerschaft hofft Leidreiter auf eine Fraktion mit zehn statt zwei Leuten. Seine zuvor gegründeten Parteien seien "kaputtgegangen", der Versuch, mit der BIW weitere Landesverbände zu gründen, sei bislang gescheitert. Jetzt oder nie sei das Motto: "Wenn wir den Einzug verpassen, werde ich wahrscheinlich nie wieder antreten."

Thore Schäck (FDP)

Wer Wahlkampf macht, muss flexibel sein: Noch vor wenigen Stunden ist Thore Schäck in Berlin in den Bundesvorstand der FDP gewählt worden, nun sitzt der Spitzenkandidat der Bremer Liberalen zusammen mit anderen Parteivertretern in der Aula des Hermann-Böse-Gymnasiums und soll Schülerinnen und Schülern Rede und Antwort stehen. Die Moderation der Podiumsdiskussion übernehmen die Jugendlichen selbst – und haben sich thematisch ambitionierte Ziele gesetzt: Bildung, Umwelt, Soziales, Wirtschaft. Es sind die Bereiche, die auch ihre Zukunft betreffen.

Ein Schüler will von Schäck wissen, wie sich ein Ausbau des Bremer Flughafens mit Klimaschutzzielen vereinbaren lässt, beides habe die FDP schließlich in ihrem Parteiprogramm stehen. "Das sind zwei gegenläufige Interessen, das ist so", gibt Schäck zu. "Aber der Flughafen bringt wichtige Arbeitsplätze und bindet Unternehmen an Bremen. Wenn man den einfach dichtmacht, sind die weg", so seine Antwort. Viel Zeit hat er dafür nicht, 60 Sekunden, danach wird rigoros unterbrochen. Manchmal ist das schade, denkt man als Zuschauer. Zum Beispiel, wenn Schäck und SPD-Vertreterin Antje Grotheer kurzzeitig über das Thema Kindergrundsicherung aneinandergeraten.

Doch Schäck will dennoch die Chance nutzen, um bei den Schülern in Erinnerung zu bleiben. Von den Spitzenkandidaten, die in wenigen Tagen zur Bürgerschaftswahl antreten, zählt der 38-Jährige zu den eher unbekannteren Gesichtern. Seit 2019 ist der Unternehmer Bürgerschaftsabgeordneter, 2020 wurde er zum Landesvorsitzenden der Bremer FDP gewählt.

Um seinen Bekanntheitsgrad zu steigern, startete die Partei bereits im Februar eine Kampagne unter dem Slogan "Who the heck is Thore Schäck?" ("Wer zum Henker ist Thore Schäck?") und veröffentlichte die Handynummer des Spitzenkandidaten. Auch jetzt sei er darunter noch erreichbar, um mit Bremerinnen und Bremern zu diskutieren. Gerade erst hätte er sich mit zwei Bürgern ausgetauscht, die bisher rein gar nichts mit der FDP anfangen konnten. Schäck versucht sie per Sprachnachricht vom Gegenteil zu überzeugen. Manchmal klappt das, manchmal nicht.

Inzwischen sind einige Tage seit der Podiumsdiskussion vergangen, weitere stehen auch in den kommenden Tagen an. Dazwischen will Schäck mit den Leuten ins Gespräch kommen, begleitet unter anderem eine Polizeistreife in ihrer Nachtschicht. Innere Sicherheit ist neben Bildung, Wirtschaft und Verkehr eines der Schwerpunktthemen, mit denen die FDP punkten will. Zeit für etwas anderes bleibt da kaum, etwa für Sport – oder Hausarbeit. Normalerweise hätten Schäck und seine Ehefrau zu Hause eine klare Arbeitsteilung – er sei für die Wäsche und den Garten zuständig. Das muss nun erst mal warten.

Wie schon einst bei der scheidenden Fraktionsvorsitzenden Lencke Wischhusen fokussiert sich die FDP auch bei dieser Bürgerschaftswahl auf ihren Spitzenkandidaten. Doch vergleichen lassen sich die beiden kaum – Wischhusen gilt als extrovertierte und schillernde Persönlichkeit, Schäck als eher zurückhaltend. Von sich selbst sagt er, gelegentlich lieber zuzuhören, anstatt zu sprechen. Reicht das, damit die Liberalen in die Bürgerschaft einziehen?

In den Umfragen ist die FDP zuletzt wieder gestiegen, lag bei sechs Prozent. "Manche sehen meine eher ruhige Art sicherlich kritisch. Gleichzeitig findet das auch viel Zuspruch", sagt Schäck. Sei er vor ein paar Monaten noch mit Adjektiven wie "langweilig" oder "farblos" beschrieben worden, höre er nun häufiger Wörter wie "sachlich, souverän oder seriös".

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