An der weißen Villa in der Humboldtstraße 10 ranken hellviolette Glyzinien die Stuckfassade dekorativ empor. Welch ein Schicksal die Bremerinnen und Bremer erlitten, die in der NS-Zeit hier in einem der sogenannten Judenhäuser auf engstem Raum untergebracht wurden, darauf verweisen einige Stolpersteine.

Die Villa an der Humboldtstraße 10 war in der NS-Zeit ein sogenanntes Judenhaus. Die Stolpersteine vor dem Haus erinnern an das Schicksal der ehemaligen Bewohner.
Franz Dwertmann vom Initiativkreis Stolpersteine Bremen, der seit 2016 als Sparte des Vereins "Erinnern für die Zukunft" agiert, erläuterte das rigorose Vorgehen der Erfüllungsgehilfen des Nazi-Regimes: "1939 wurde ein Gesetz erlassen, demzufolge sogenannte Arier mit Juden nicht mehr unter einem Dach leben durften. Das bedeutete für die meisten Juden eine Zwangsumsiedlung". Darunter auch der Unternehmer und ehemalige Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Bremen Carl Katz, dessen Biografie "Nie genug" gerade von seiner Ur-Enkelin Elise Garibaldi im Focke-Museum vorgestellt wurde. Rund 30 sogenannte Judenhäuser habe es in Bremen gegeben, berichtete Dwertmann. Betretenes Schweigen bei den Mitgliedern der Sozialausschüsse der Beiräte Mitte und Östliche Vorstadt. Denn auch für sie gilt: Das hat zuvor kaum jemand gewusst. Die Sozialpolitiker informierten sich auf ihrer letzten Sitzung der Legislatur bei einem Ortstermin über die Arbeit des Initiativkreises.
Zwangsumsiedlung in Judenhäuser
Dwertmann berichtete, dass aus dem sogenannten Weser-Ems-Gau, also aus dem Bremer Umland, zwangsweise viele Jüdinnen und Juden nach Bremen umgesiedelt wurden. Im November 1941 wurden sie nach Minsk deportiert. In dem "Judenhaus" in der Humboldtstraße lebte auch die Witwe Warschauer mit ihren beiden Söhnen. Die Familie Warschauer hatte zuvor ein Fahrrad- und Nähmaschinengeschäft betrieben. Besonders tragisch ist das Schicksal des gerade mal 17-jährigen Kurt Warschauer, der das Grauen in Minsk überlebte, danach in ein polnisches KZ deportiert wurde und schließlich 1945, unmittelbar vor Kriegsende, im KZ Neuengamme starb. Von den 440 Deportierten überlebten gerade mal fünf. Unter den in Minsk Ermordeten war auch die 37-jährige Bardame Nina Idzkowska, die gemeinsam mit den Warschauers in dem "Judenhaus" lebte. Schräg gegenüber sind vor dem Haus Nummer 5 weitere Stolpersteine verlegt worden. Sie erinnern an die Familie Orbach, die im Dritten Reich enteignet und aus ihrem Beruf gedrängt wurde. Die Orbachs wurden 1938, nach der Reichspogromnacht nach Oslebshausen getrieben und dann ins KZ Sachsenhausen deportiert.
100 Stolpersteine in Mitte und der Östlichen Vorstadt
All diese menschlichen Tragödien hat der 2004 von Barbara Johr gegründete Initiativkreis Stolpersteine Bremen akribisch und ausführlich dokumentiert, zunächst unter dem Dach der Landeszentrale für politische Bildung. Über ihre ehrenamtliche Arbeit berichtete neben Dwertmann auch seine Kollegin Cornelia Rennemann.
Rund 750 Stolpersteine sind inzwischen bremenweit verlegt worden, 100 davon in Mitte und der Östlichen Vorstadt. Künstler und Stolperstein-Initiator Gunter Demnig, verlegt diese "sozialen Plastiken", wie er sie nennt, seit 1996. Inzwischen sind es 75.000. Im Herbst 2023 sollen weitere 15 hinzukommen, am ersten Tag werden sie in der Neustadt verlegt, am zweiten im Ostertor sowie in Oberneuland. Insgesamt habe es in Bremen 1500 bis 1700 Nazi-Opfer gegeben, ungleich weniger als in Berlin, sagte Dwertmann. Deren Schicksal zu recherchieren sei mitunter schon ein zeitaufwendiges und schwieriges Geschäft, bilanzierte Rennemann. "Die meisten Familien sind sehr dankbar und reisen zur Stolperstein-Verlegung aus den USA oder aus Israel an", sagte sie.
Stolperstein-Paten dringend gesucht
Übrigens: Stolperstein-Paten, die die Kosten für die Verlegung übernehmen, werden noch dringend gesucht, denn die Organisation erhält keinerlei staatliche Subventionen und ist auf Spendengelder angewiesen. Die Kosten für die Verlegung eines Stolpersteines belaufen sich auf 120 Euro. Bremenweit gibt es auch viele Initiativen, von deren Mitgliedern regelmäßig die Stolpersteine blank geputzt werden. Die Mitglieder der Sozialausschüsse beschlossen einstimmig, für 2400 Euro an Globalmitteln, je zur Hälfte von den beiden Beiräten finanziert, die Restexemplare der Bände Mitte (200), erschienen 2015, und 100 Bände für die Östliche Vorstadt, erschienen 2016, zum Vorzugspreis zu erwerben, die detailliert die Biografien der Opfer des NS-Regimes dokumentieren. Sie sollen an die Schulen in den Stadtteilen verschenkt werden. Insgesamt sieben Bände dieser "Stolpersteine in Bremen, biografische Spurensuche" sind inzwischen im Sujet-Verlag erschienen, zum Preis von 16,80 Euro.