Der Artikel 141 des Grundgesetzes wird, wenn auch nicht im Text, als Bremer Klausel bezeichnet. Hinter seinen dürren Worten: „Artikel 7, Absatz 3, Satz 1 findet keine Anwendung in einem Land, in dem am 1. Januar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestand“ verbirgt sich ein Stück Liberalität. Er besagt nämlich, dass nicht überall Religionsunterricht, der „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt“ wird, ordentliches Lehrfach sein muss. Denn in Bremen galt mit Artikel 32, Absatz 1 der Landesverfassung vom 21. Oktober 1947 eine andere Regelung.
Danach gab es dort „Gemeinschaftsschulen mit bekenntnismäßig nicht gebundenem Unterricht in Biblischer Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage.“
Vor der Einigung auf diese Formulierung waren die Gegensätze zwischen CDU und SPD in Bremen heftig aufeinandergeprallt. Auf einer Protestdemonstration Bremer Katholiken fiel sogar das Wort „gottlos“ über den Verfassungsentwurf. Wenn Senator Spitta (BDV, spätere FDP) es nicht geschafft hätte, die SPD zur Einfügung der Worte „auf allgemein christlicher Grundlage“ zu bewegen, hätte die Landesverfassung scheitern können.
Dass die liberalere Bremer Regelung nicht vom Parlamentarischen Rat gekippt wurde, geht auf die Intervention des Bremer Delegierten, Senator Adolf Ehlers, zurück. Der wies am 18. Januar 1949 im Hauptausschuss auf die Unvereinbarkeit der beiden Artikel hin und stellte den Antrag auf Streichung der entsprechenden Passage im Grundgesetzentwurf.
Seine Argumente:
Berücksichtigung der besonderen Bremer Tradition des seit Generationen praktizierten konfessionsübergreifenden Biblischen Geschichtsunterrichts. Die konfessionelle Spaltung mit Schulen für Reformierte und für Lutheraner war Anfang des 19. Jahrhunderts abgeschafft worden.
Beachtung des föderativen Prinzips: Kultur als Ländersache.
Vermeidung neuer konfessioneller Spaltung angesichts des Zuzugs vieler katholischer Schüler als Flüchtlinge nach Bremen.
Der Antrag wurde zunächst abgelehnt. Ehlers fand aber in dem Delegierten Theodor Heuss (FDP) einen wichtigen Bundesgenossen. Der schlug als Kompromisslösung eine Fassung ähnlich dem späteren Artikel 141 vor. In der Diskussion darüber fiel zum ersten Mal der Begriff „Bremer Klausel“. Vom „Vorbehalt zugunsten Bremens“ war die Rede. (Der Parlamentarische Rat 1948–1949. Bd. 14, Teilband 2, München 2009, S. 1650). Nach langem Hin und Her wurde der Vorschlag mit zwölf zu sechs Stimmen angenommen. Auch der Vertreter Hamburgs beanspruchte 1949 diese Ausnahmeregelung – und nach 1990 das neue Land Brandenburg.
Bremen hat mit dem Artikel 141 durchgesetzt, dass Landesrecht Bundesrecht brechen kann.
Heute zeigt sich Bremen offen für neue Entwicklungen. So wurde 2014 ohne Änderung der Landesverfassung das neue Fach Religion eingeführt. Der Lehrplan berücksichtigt die religiöse und weltanschauliche Pluralisierung der heutigen Schülerschaft. Auch das verbirgt sich heute hinter der „Bremer Klausel“.
Renate Meyer-Braun ist pensionierte Professorin für Zeitgeschichte an der Hochschule Bremen. Veröffentlichungen zu Frauen- und Sozialgeschichte im lokalgeschichtlichen Kontext. Mitbegründerin des Frauenmuseums und des Kaisenhausmuseums.