Am Ende eines jeden Strafprozesses gibt es einen kurzen Moment, in dem es nicht mehr um die begangenen Straftaten geht, sondern um die persönlichen Verhältnisse der Angeklagten. In welchem Umfeld sind sie aufgewachsen, was hat dazu beigetragen, dass sie nun vor Gericht stehen? Und – besonders wichtig, wenn es um sehr junge Angeklagte geht – die Frage nach der sozialen Prognose: Wie soll, wie könnte es nach einer Verurteilung weitergehen?
In diesen Momenten bekommt der sonst so kalte und abweisende Gerichtssaal oft einen wärmenden Anstrich. Da ist plötzlich von an sich freundlichen jungen Menschen die Rede, die eine Dummheit begangen hätten, die sie nun von Herzen bereuten. Da gibt es daheim eine Familie, die sich rührend um den Angeklagten kümmert. Und da gibt es Pläne für eine Berufsausbildung, für die Arbeit als Handwerker oder im sozialen Bereich, gerne auch in einer Behindertenwerkstatt. So weit das übliche Prozedere. Eben das, wovon man aufseiten der Verteidigung zutiefst überzeugt ist. Oder was zumindest geeignet erscheint, aus der drohenden Gefängnisstrafe eine Verurteilung auf Bewährung zu machen.
Überraschend dann aber die Vehemenz, mit der die Staatsanwaltschaft am Mittwoch im Landgericht den sich abzeichnenden Eindruck möglicher Milde für die Angeklagten sofort wieder aus dem Gerichtssaal kehrt. Man habe sich jetzt sehr viel mit den Angeklagten beschäftigt, leitet der Vertreter der Anklage sein Plädoyer ein. Mit ihren Lebensverhältnissen bis hin zur Verlesung eines rührenden Briefes der Mutter eines der Angeklagten. Da müsse er wohl klarstellen, um was es hier eigentlich gehe. Nämlich um die Einfuhr von 37 Kilo Kokain mit einem Marktwert von 1,1 Million Euro. Und um Organisierte Kriminalität, nein, um "hochgradige Organisierte Kriminalität", noch dazu grenzüberschreitend, die vier Angeklagten kommen aus den Niederlanden.
Die vier jungen Männer, zur Tatzeit zwischen 17 und 22 Jahre alt, sind die Angeklagten in einem von zwei Prozessen am Landgericht, in denen es um dasselbe Verbrechen geht. Angeworben in den Niederlanden machten sie sich am 3. April auf den Weg nach Bremerhaven, um im Hafen aus einem Container 37 Kokain-Pakete zu bergen. Vor Ort wurden sie von Männern empfangen, die ihnen Instruktionen für die Tat gaben und sie mit dem dafür notwendigen Werkzeug ausstatteten. Diese, aus Bad Hersfeld in Hessen kommenden Männer, stehen in dem parallel laufenden Verfahren vor Gericht. Ihnen hat die Kammer in einem Verständigungsgespräch Haftstrafen zwischen fünf und acht Jahren vorgeschlagen, und das greift der Staatsanwalt nun auf.
Auch wenn die vier jungen Männer an der Planung der Tat nicht beteiligt gewesen seien und drei von ihnen nach Jugendstrafrecht verurteilt würden, müsse doch eine "Binnengerechtigkeit" zwischen beiden Verfahren hergestellt werden, sagt er. Zumal er bei zahlreichen Äußerungen den Eindruck gehabt habe, einer Märchenstunde beizuwohnen. Völlig unglaubwürdig und reine Schutzbehauptung etwa, dass das Quartett bis zuletzt nicht gewusst haben will, worum es bei dem "Job" eigentlich gehen sollte, für den jedem von ihnen Summen bis zu 10.000 Euro versprochen worden seien. Und ja, Geständnisse hätten alle vier abgelegt. Aber dabei immer nur das zugegeben, was ohnehin offenkundig war.
Geht es nach dem Staatsanwalt, müssen alle vier hinter Gitter. Er fordert Jugendstrafen zwischen drei Jahren, acht Monaten und fünf Jahren sowie für den 22-Jährigen drei Jahre und neun Monate Haft.
Die Verteidiger reagieren mit Fassungslosigkeit: Ein Jugendgerichtsverfahren habe sich vorrangig am Erziehungsgedanken auszurichten, betonen sie. Ein derartig hohes Strafmaß sei deshalb nicht nachvollziehbar, sondern geradezu absurd. Dass sie einen schweren Fehler begangen hätten, wüssten alle vier. Deshalb von Organisierter Kriminalität zu sprechen, sei falsch. Da hätten sich Hintermänner "einfach nur ein paar dumme Jungs gesucht". Werkzeuge für einen Job, der für sie selbst wegen des hohen Risikos zu gefährlich gewesen sei.
Und apropos Organisierte Kriminalität: Angesichts des geradezu dilettantischen Vorgehens ihrer Mandanten – erst fanden sie den Container mit den Drogen nicht, dann hatten sie große Schwierigkeiten, ihn zu öffnen und liefen schließlich direkt in die Arme von Hafenarbeitern und Zoll – müsse wohl eher von "höchst unorganisierter Kriminalität" gesprochen werden.
Für die drei Angeklagten, die nach Jugendrecht zu bestrafen sind, sei es das erste Mal gewesen, dass sie mit dem Gesetz in Konflikt gerieten. Alle hätten stabile familiäre Bindungen und nicht zuletzt bereits acht Monate in Untersuchungshaft gesessen, argumentieren die Verteidiger und plädieren für Jugendstrafen im Bewährungsbereich, also nicht über zwei Jahren. Für den vierten Angeklagten, der nach Erwachsenenstrafrecht zu verurteilen ist, forderte sein Verteidiger maximal drei Jahre Haft.
Die Urteile werden am 1. Dezember verkündet.