Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Aufnahmestopp und Wartelisten Gewalt gegen Frauen: Bremer Beratungsstellen an der Belastungsgrenze

Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt geworden sind, haben es in Bremen momentan besonders schwer. Viele Beratungsstellen sind überlastet – das führt zu Aufnahmestopps und langen Wartelisten.
24.02.2024, 05:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Gewalt gegen Frauen: Bremer Beratungsstellen an der Belastungsgrenze
Von Kristin Hermann

So schlimm wie jetzt sei die Situation noch nie gewesen. "Es ist skandalös", sagt Andrea Buchelt. Die Vorsitzende des Landesfrauenrates Bremen meint damit die derzeitige Situation vieler Beratungsstellen, die sich um Frauen kümmern, die körperliche oder psychische Gewalt erfahren haben. Es fehle an Personal und finanziellen Mitteln, um die Einrichtungen ausreichend auszustatten. Das führt mitunter zu Aufnahmestopps und monatelangen Wartelisten. "Solche Hilfsangebote sind Teil der Akutversorgung. Wenn man Betroffenen sagen muss, dass sie monatelang auf einen Termin warten müssen, tun sie sich im schlimmsten Fall etwas an", warnt Buchelt. 

Der Beratungsbedarf ist seit Jahren groß. 2022 wurden in der Kriminalstatistik für das Land Bremen mehr als 2600 Fälle von häuslicher Gewalt registriert, die Zahl der Vergewaltigungen, sexuellen Nötigungen und Übergriffen ist von 128 Fällen im Jahr 2021 auf 156 gestiegen.

"Haben das Gefühl, unseren Auftrag nicht richtig erfüllen zu können"

Besonders angespannt ist die Situation momentan bei der Beratungsstelle "Neue Wege – Wege aus der Beziehungsgewalt", die sowohl Menschen berät, die Gewalt erfahren, als auch jenen Partner, der Gewalt ausübt. Mindestens bis Mitte März hat die Einrichtung einen Aufnahmestopp verhängt, um vorerst denjenigen helfen zu können, die schon lange auf einen Termin warten. "Das ist gerade beim Thema häusliche Gewalt wirklich schwierig. Wir haben das Gefühl, unseren Auftrag nicht richtig erfüllen zu können", beschreibt Beraterin Sahhanim Görgü-Philipp die Stimmung unter den Mitarbeitern. 

Lesen Sie auch

2020 wurde das Polizeigesetz geändert. Seitdem übermittelt der Einsatzdienst die Daten aller Personen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, an "Neue Wege", damit Betroffene zeitnah mit einem Beratungsangebot kontaktiert werden können. Die Zahl der Anfragen sei deshalb um mehr als 70 Prozent gestiegen. Insgesamt würden rund 1800 Menschen pro Jahr telefonisch und schriftlich von der Beratungsstelle kontaktiert, mehr als 400 dieser Erstkontakte mündeten in eine Beratung. Damit sei die Kapazität der Mitarbeiter voll ausgeschöpft.

Zusätzlich sind dem Trägerverein "Reisende Werkschule Scholen" finanzielle Sonderförderungen weggebrochen, weshalb eine Dreiviertel-Stelle gestrichen wurde. Die anstehenden Tarifabschlüsse führen zu einer weiteren Reduktion der Beratungszeit, da bis zur nächsten Haushaltsvereinbarung die Fördermittel nicht gesteigert werden, schreiben die Verantwortlichen auf ihrer Homepage. "Wie es nach dem Aufnahmestopp weitergeht, lässt sich nur schwer einschätzen", sagt Görgü-Philipp. 

Offener Brief an die Bürgerschaft

So wie der Einrichtung geht es mehreren Beratungsstellen in Bremen. Die Lage spitzt sich bereits seit Monaten zu. Ende November hatten deshalb mehrere Hilfseinrichtungen einen offenen Brief an die Bremische Bürgerschaft verfasst, in dem sie auf ihre Not aufmerksam machen. Auch bei der Landesfrauenbeauftragten Bettina Wilhelm laufen die Probleme auf. "Die Einrichtungen für Frauen und Mädchen im Bereich Gewaltschutz berichten von konstant vollen Häusern, zunehmend längeren Wartelisten und von hoher Arbeitsbelastung", sagt Wilhelm. "Die unsichere Finanzsituation macht es den Einrichtungen sehr schwer, gutes Personal zu halten und neues zu gewinnen. Von Gewalt betroffene Frauen und Mädchen brauchen verlässliche und verfügbare Hilfs- und Beratungsangebote."

Lesen Sie auch

Das wünscht sich auch der Notruf Bremen, an den sich betroffene Menschen bei sexueller Gewalt wenden können. Rund 40 Personen stehen dort auf der Warteliste, drei bis vier Monate dauert es, einen Termin für die psychologische Beratung zu bekommen. "Das steht völlig im Kontrast zu dem, was wir als Beratungsstelle vertreten wollen", sagt Psychologin Eva Luna Hartmann. Für Präventionsarbeit bleibe derzeit kaum Raum, aber auch die Akutfälle blieben mitunter auf der Strecke. 

Im Ressort von Claudia Bernhard (Linke), Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz, sei man sich der Problematik bewusst, heißt es auf Nachfrage. Zwar sei geplant, einige Stellen finanziell besser auszustatten – durch auslaufende Projektförderungen oder den Wegfall des Bremen-Fonds stünde unterm Strich aber weniger Geld zur Verfügung. Das betrifft neben "Neue Wege" beispielsweise auch die Fachberatungsstelle Nitribitt, die sich um Sexarbeiterinnen kümmert. 

Es sei trotz der schwierigen Haushaltssituation gelungen, die Landesmittel für die Umsetzung der Istanbul-Konvention zu erhöhen, heißt es weiter aus der Behörde. Die Konvention ist ein europäisches Übereinkommen, das unter anderem verbindliche Rechtsnormen gegen Gewalt an Frauen enthält. Der Bremer Senat hatte in diesem Zusammenhang 2022 den Landesaktionsplan gegen Gewalt an Frauen und Mädchen beschlossen, der zahlreiche Maßnahmen enthält. Dazu gehört die Eröffnung einer Gewaltschutzambulanz am Klinikum Bremen-Mitte, die im April ihre Arbeit aufnehmen soll, sowie die Ausweitung der Plätze in Frauenhäusern. 

Lesen Sie auch

„Es ist bedauerlich, dass die Mittel für die Beratungsangebote auf der kommunalen Ebene nicht mehr Spielraum für eine bessere Ausstattung der Beratungsstellen zulassen. Denn es ist klar: Je besser wir die Betroffenen von geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt erreichen, desto mehr Beratungskapazitäten sind notwendig, um diesen Betroffenen gute Angebote machen zu können", sagt Bernhard. Die Senatorin warnt davor, knapper werdende Ressourcen nur in Infrastrukturmaßnahmen zu stecken und weniger Mittel für Opferschutz und Quartiersarbeit bereitzustellen. Die Vorsitzende des Landesfrauenrates fordert so schnell wie möglich mehr Geld vom Senat. "Es geht hier nicht um irrwitzig hohe Summen, sondern oftmals um ein paar Zehntausende Euro. Da stehen auch andere Ressorts in der Pflicht", sagt Andrea Buchelt.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)