Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Bremer Auffang-System Zu wenig Plätze für gefährdete Kinder

Nicht alle Kinder und Jugendlichen, die das Jugendamt wegen akuter Gefährdung aus den Familien nimmt, können derzeit von Bremens Inobhutnahme-Stellen aufgenommen werden. Das schildern verschiedene Träger.
13.01.2023, 05:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Zu wenig Plätze für gefährdete Kinder
Von Sara Sundermann

Das Notaufnahme-System für gefährdete Kinder in Bremen ist stark belastet und kommt an seine Grenzen. Das schildern Leitungen und Mitarbeiter mehrerer sogenannter Inobhutnahme-Stellen in der Stadt. Bundesweit nimmt die Zahl der Inobhutnahmen seit 2021 zu. In Bremen ist die steigende Belastung der Notaufnahmen offenbar seit Oktober spürbar.

Als Gründe werden die Überlastung von Familien während der Pandemie, die hohe Armutsquote und die hohe Zahl junger unbegleiteter Flüchtlinge genannt. Auch andere Bundesländer wie Hessen und Hamburg erlebten zuletzt stark steigende Zahlen und überlastete Aufnahme-Einrichtungen.

Wenn Eltern ihre Kinder nicht mehr versorgen können, nimmt das Jugendamt die Kinder in Obhut. Das heißt, die Kinder werden aus ihrer Familie herausgenommen und anderweitig untergebracht – einige nur für wenige Wochen, andere dauerhaft. Gründe für eine Inobhutnahme sind häufig Überforderung der Eltern, Drogensucht und Anzeichen von Vernachlässigung oder Kindesmisshandlung.

„Seit Oktober haben die Inobhutnahmen deutlich angezogen, wir sind durchgehend an der Grenze“, schildert Ulrich Kenkel, Leiter des Hermann Hildebrand Hauses in Oberneuland. Das Haus ist mit 30 Plätzen Bremens größte Einrichtung für jüngere Kinder bis 14 Jahre. Angesichts des Anstiegs seien immer wieder 35 statt 30 Kinder aufgenommen worden.

Den Hauptgrund für den Anstieg sieht Kenkel in der Zunahme der gesellschaftlichen Armut: „Es hat Konsequenzen, wenn mehr Familien stark belastet sind.“ Er verweist auf die Armutsquote, die im Land Bremen bei rund 28 Prozent liegt.

Lesen Sie auch

„Grundsätzlich ist das System der Inobhutnahmen sehr überlastet, auch der Stadt geht es damit nicht gut“, sagt Heike Ohlebusch, Geschäftsführerin des Mädchenhaus(es) Bremen, das acht Plätze für Mädchen im Alter ab zwölf Jahren bietet. Das Mädchenhaus ermöglicht Jugendlichen Unterkunft und Begleitung in der ersten Zeit nach der Inobhutnahme.

2022 habe es einen auffälligen Anstieg gegeben, sagt Ohlebusch: „Ich habe es so in 30 Jahren selten erlebt, wir kriegen es noch immer irgendwie hin, aber Bremen kommt schon sehr an die Grenzen, auch das Jugendamt.“ Den Grund dafür sieht die Geschäftsführerin vor allem in den Folgen der Pandemie: „Das ist aus unserer Sicht die Corona-Nachwelle. Es gab in der Pandemie mehr Belastungen für die Familien, wenn alle so eng aufeinander hocken mussten und Kinder nicht mal für ein paar Stunden zum Sport, ins Jugendzentrum oder in die Schule gehen konnten.“

„Seit Ende Oktober sind wir durchgehend voll belegt, da gab es einen Platzmangel“, schildert auch Finn Elsner von der Inobhutnahme des Theresienhauses, das 13- bis 17-Jährige aufnimmt. Der Anstieg sei nicht auf die steigende Zahl junger Flüchtlinge zurückzuführen, stellt Elsner ebenso fest wie die Leitungen von Mädchenhaus und Hildebrandt-Haus.

Lesen Sie auch

Doch auch unbegleitete minderjährige Ausländer (UMA) werden in Obhut genommen. Sie kommen zusätzlich zur Zahl Bremer Minderjähriger hinzu. 2022 wurden laut Sozialressort 449 von ihnen ins Bremer Jugendhilfesystem aufgenommen. Für weitere 164 laufen Prüfverfahren.

Im Sozialressort hat man laut Sprecher Bernd Schneider bisher keinen deutlichen Anstieg der Inobhutnahmen von Bremer Kindern festgestellt. Allerdings sind dort nur die Zahlen für die Jahre bis 2021 bekannt, für 2022 sei die Zahl noch nicht ausgewertet, sagt Schneider. In den Jahren 2017 bis 2021 wurden pro Jahr jeweils 400 bis 500 Minderjährige aus ihren Familien genommen – unbegleitete Flüchtlinge nicht mitgerechnet.

Meist geschieht das im Einvernehmen mit den Eltern. Dass Kinder mit Gerichtsurteil und Polizeieinsatz aus der Familie geholt würden, komme sehr selten vor, so Schneider. Ältere Jugendliche melden sich teilweise selbst beim Kinder- und Jugendnotdienst, um sich Hilfe zu holen.

Auch Eltern wenden sich manchmal ans Amt. „Überforderung ist der Hauptgrund“, schildert Kenkel. Insbesondere alleinerziehende Mütter seien oft so stark belastet, dass sie an ihre Grenzen stießen. „Es kommt vor, dass Mütter sich selbst ans Jugendamt wenden und sagen: ,Ich kann das nicht mehr, bitte helfen Sie mir, sonst tue ich noch etwas Schlimmes.‘“ Viele Kinder kehren nach kurzer Zeit zu ihren Eltern zurück. Die Familien erhalten dann meistens Unterstützung, zum Beispiel durch Familienhelferinnen.

Lesen Sie auch

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)