Sie haben in der Diskussion um das Kirchenasyl in Bremen einen offenen Brief von Juristen an die Bremische Evangelische Kirche (BEK) geschickt, unterzeichnet von rund 30 Rechtsanwälten und Rechtsanwältinnen aus Bremen. Darin üben sie harte Kritik an Innensenator Ulrich Mäurer (SPD). Die Rede ist von „Falschbehauptungen und Fehlinformationen über eine angeblich geänderte Praxis der Bremischen Kirchengemeinden“. Zugleich fordern sie die BEK auf, die Aktivitäten der Zionsgemeinde beim Kirchenasyl zu unterstützen, statt sich davon zu distanzieren. Es liest sich ein bisschen wie eine Generalabrechnung mit Politik und Kirche.
Nina Markovic: Die Debatte um das Kirchenasyl in Bremen ist seit Dezember vorigen Jahres völlig aus dem Ruder gelaufen. Unter anderem kursiert der Vorwurf des Innensenators, Flüchtlinge aus anderen Bundesländern hätten hier in großem Maßstab Kirchenasyl gefunden, was so einfach nicht stimmt.
Gab es nicht unerwartet plötzlich über 200 Fälle im Land Bremen, also nahezu zehn Prozent aller Fälle von Kirchenasyl bundesweit?
Davon waren die meisten in Bremerhavener Kirchengemeinden, die in Sachen Kirchenasyl mit Niedersachsen kooperieren und daher eigentlich nicht Bremen zuzurechnen sind. In der Stadt Bremen ist der Verein Zuflucht – Ökumenische Ausländerarbeit die von der BEK beauftragte Instanz, um das mit dem Kirchenasyl verbundene sogenannte Dossierverfahren in Gang zu setzen. Das heißt, Zuflucht stellt für den Einzelfall ein Dossier mit Gründen zusammen, warum es sich um einen besonderen Härtefall handelt, bei dem das für Asylverfahren zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) bitte noch mal die Details prüfen möge. So ist es zwischen den Kirchen und dem Bamf seit 2015 vereinbart. Zuflucht geht dabei ziemlich kritisch vor. Wenn sich keine Argumente für einen solchen Härtefall finden, wird ein Kirchenasyl in der Regel abgelehnt. An dieser Praxis hat sich nichts geändert. Was sich geändert hat, ist die Haltung des Innensenators, der im Dezember 2024 den Versuch unternommen hat, ein bestehendes Kirchenasyl in der Vereinigten Evangelischen Gemeinde Bremen-Neustadt im Gemeindehaus Zion mit polizeilicher Gewalt zu brechen.
Mäurer argumentiert, dass es sich um Asylbewerber handelt, die nach den Regeln des europäischen Rechts – Stichwort Dublin-Verfahren – in jene Staaten zurückgeschickt werden, in denen sie erstmals die EU betreten haben, um dann gegebenenfalls dort ein Asylverfahren zu durchlaufen. Es gehe also nie um die Abschiebung in die ursprünglichen Herkunftsstaaten.
Es gibt aber keine rechtliche Verpflichtung von Landesbehörden, solche sogenannten Überstellungen, um jeden Preis und unter Missachtung des Grundsatzes auf Verhältnismäßigkeit durchzuführen, selbst wenn schon vollziehbare Abschiebungsanordnungen des Bundesamtes vorliegen. Denn in Dublin-Verfahren beginnt lediglich eine Frist, innerhalb derer die Überstellung erfolgen soll. Wenn sich innerhalb dieser Frist Flüchtlinge Hilfe suchend an eine Kirchengemeinde wenden, findet daher überhaupt kein Rechtsbruch statt. So etwas meine ich mit Falschbehauptung. Kirchenasyl ist weder ein Rechtsakt noch wird sich über Recht hinweggesetzt. Es ist ein Akt christlicher Humanität, der seit Jahrhunderten Teil der kirchlichen Praxis der Nächstenliebe ist und einzig und allein dem Schutz Einzelner dient. Das Kirchenasyl bildete ganz nebenbei den historischen Ursprung für das heutige im Grundgesetz, EU-Recht und im Völkerrecht fest verankerte Recht auf Asyl.
Aber kann der Staat es hinnehmen, wenn rechtskräftige Entscheidungen dadurch zumindest verzögert werden?
Bremen hat die Praxis des Kirchenasyls über Jahrzehnte respektiert. Auch Flüchtlinge, die sich gerade in Kliniken oder Jugendhilfeeinrichtungen aufhalten, konnten sich sicher sein, dort nicht von Polizei und Ausländerbehörde abgeholt zu werden. Das ist inzwischen anders. Ich hatte jüngst den Fall eines Flüchtlings, der wegen Suizidgefährdung stationär psychiatrisch behandelt wurde. Darüber informiert, hieß es von der Bremer Ausländerbehörde, das sei kein prinzipieller Hinderungsgrund für eine Überstellung. Ich weiß aus Akten, dass Bremer Behörden beim Bamf um ablehnende Bescheide in laufenden Dossierverfahren des Kirchenasyls ersucht haben, damit das Kirchenasyl beendet wird und eine polizeiliche Überstellung danach einfacher erfolgen kann. Da liegt der Verdacht schon nahe, dass es weniger um den Rechtsstaat geht als vielmehr um die politische Inszenierung des Innensenators als Macher.
Der wiederum wirft der Kirchengemeinde in der Neustadt vor, das Kirchenasyl für grundsätzliche Proteste gegen die Flüchtlingspolitik zu instrumentalisieren, und sieht seinerseits Inszenierungen. Eine Umtauschaktion für Flüchtlinge im Gemeindehaus Zion, damit sie trotz Bezahlkarte Bargeld erhalten, bezeichnete er als schiere Provokation.
Was hat die Umtauschaktion denn mit dem Kirchenasyl zu tun? Da werden Dinge zusammengerührt, die am Ende ein verzerrtes Bild ergeben, dass seinen Teil zum Rechtsruck und einem migrationsfeindlicher werdenden politischen Klima beiträgt. Die BEK hat leider in einer Art vorauseilendem Gehorsam dieses verzerrte Bild übernommen, anstatt es klar zurückzuweisen. Es erscheint mir widersinnig, einer Gemeinde künftiges Engagement beim Kirchenasyl zu untersagen, mit der Begründung, dadurch werde das Kirchenasyl verteidigt.
In der Bürgerschaftsdebatte dazu wurde von der FDP die Vorstellung geäußert, die Gemeinde sei linksradikal unterwandert, dass also die echten Kirchenmitglieder gar nicht hinter den Aktivitäten stehen.
Als im Dezember der Flüchtlingsrat dazu aufgefordert hat, zum Schutz des Kirchenasyls in der Gemeinde zu übernachten, war ich auch zwei Nächte da. Da konnte ich viele Gemeindemitglieder sehen, die das mit der christlichen Nächstenliebe sehr ernst genommen haben. Ich erinnere mich an eine ältere Dame, die mitten in der Nacht um zwei Uhr im Raum stand und sagte. „Ich habe jetzt zu Hause etwas vorgeschlafen, was kann ich beitragen?“