Herr Pastor Kuschnerus, in der Stadt Bremen gewähren Ihre Kirchen derzeit in 19 Fällen Asyl, in den katholischen Gemeinden gab es in den vergangenen Jahren keinen einzigen Fall. Sind die Päpstlichen kaltherzig?
Bernd Kuschnerus: Ich werde kein Urteil über andere in irgendeiner Weise fällen. Hier geht es einfach darum, dass Menschen in unseren Kirchengemeinden auftauchen und nach Asyl fragen. Das passiert pro Woche 60- bis 80-mal. Daran merkt man den Druck, der besteht. Andererseits sieht man, wie wenige am Ende ins Kirchenasyl kommen, weil sehr genau geprüft wird, wie groß überhaupt ihre Chance ist, ins deutsche Asylverfahren zu kommen.
Das macht der Verein Zuflucht e.V.?
Ja, gemeinsam mit den Kirchengemeinden, denn die sind die Träger des Kirchenasyls. Das wird also nicht zentral von der BEK bearbeitet.
Ist das eine bremische Besonderheit?
Nein, das ist das normale Verfahren. Natürlich schaut man als Landeskirche auch immer drauf und versucht, das zu begleiten.
Der CDU-Landesvorsitzende Heiko Strohmann postete jetzt auf "X", Kirchenasyl sei „ein BEK-Problem“. Woran liegt es denn, dass ausschließlich evangelische Gemeinden mit dem Innensenator im Clinch liegen?
Das Problem ist nicht die BEK. Das eigentliche Problem ist eine Flüchtlingspolitik, die offensichtlich nicht funktioniert. Zudem nehmen nicht nur BEK-Gemeinden Geflüchtete auf, auch freikirchliche Gemeinden tun dies. Ja, wir sind mit dem Innensenator in der Diskussion – aber doch in der Weise, dass wir versuchen, aus der momentanen Lage zurückzukommen zu einem guten Einvernehmen.
In der Bürgerschaft verwies Innensenator Ulrich Mäurer am Mittwoch auf die jahrelange gute Zusammenarbeit mit den Kirchengemeinden in Asylfragen. Teilen Sie seine Einschätzung?
Ja. Ich bin auch schon einige Zeit dabei. Manchmal konnten wir es auch schon im Vorfeld vermeiden, dass Menschen überhaupt ins Kirchenasyl gegangen sind. Dahin möchten wir gerne zurückkehren.
Wie lief das denn genau ab? Die Gemeinden meldeten dem Migrationsamt einen Fall von Kirchenasyl, und dann vereinbarte man darüber Stillschweigen und wartete einfach ab, bis die Sechsmonatsfrist zur Rückführung nach dem Dublin-Abkommen verstrichen war?
Wir haben regelmäßige Gespräche mit dem Innensenator und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf). Es läuft so: Für jedes Kirchenasyl schreibt der Verein Zuflucht ein Dossier. Das geht ans Bamf und wird dort geprüft. Dessen Präsident Hans-Eckhard Sommer hat das als Sonderpetitionsrecht bezeichnet. Es ist also ein Appell an die Behörde, in einem besonderen Fall noch einmal genau hinzuschauen und zu prüfen.
Dazu gibt es seit 2015 eine Vereinbarung mit den Kirchen …
… die aber nicht genau regelt, wie das Kirchenasyl endet. Darüber werden wir jetzt sicherlich diskutieren müssen.
Ein Asylbewerber muss das Kirchenasyl binnen drei Tagen verlassen, wenn das Bamf in seinem Fall keine „besondere Härte“ festgestellt hat. So steht es seit zwei Jahren im „Merkblatt Kirchenasyl“ des Bamf. Hat das Bamf damit einseitig die Vereinbarung von 2015 verändert?
Das ist nach meiner Kenntnis nicht einvernehmlich verhandelt worden, diese Entscheidung hat das Bamf allein gefällt. Damit hat das Bamf eine andere Situation geschaffen.
Vielleicht, weil die Zahl der Kirchenasylfälle so angestiegen ist?
Wir haben in diesem Jahr bisher rund 236.400 Neuanträge auf Asyl in Deutschland, davon machen die Kirchenasylfälle nicht einmal ein Prozent aus. So viel zu den Relationen, es ist eben kein Massenphänomen.
Das Phänomen liegt darin, dass jeder zehnte Kirchenasylfall im kleinsten Bundesland stattfindet.
Mir als Pastor ist ganz wichtig, dass wir damit keine Migrationspolitik betreiben. Vielmehr treffen die Kirchengemeinden auf Menschen in besonderen Notsituationen. Denen stehen sie bei, was eigentlich nur ein menschlicher Impuls ist. Ein selbst erlebtes Beispiel: Hier im Haus der Kirche sitzt eine junge Frau, völlig eingeschüchtert. Sie spricht nicht mit Männern, aber mit einer Kollegin. Es stellt sich heraus, dass sie nach Ägypten abgeschoben werden soll, wo sie ursprünglich gar nicht herkam. Sie hatte als Frau schlimme Erfahrungen gemacht und litt unter Panikattacken. Um solche Menschen geht es.
In den aktuellen Fällen geht es doch gerade nicht um solche Menschen. Es geht um gesunde junge Männer, die in ein EU-Land zurückgebracht werden sollen – nicht nach Ägypten, nicht nach Somalia. Worin liegt in diesen Fällen die besondere Härte?
Finnland, Schweden, Spanien sind tolle Länder. Es gibt einzelne Situationen – und das ist kein Urteil über das Land – bei denen die Gemeinden besondere Härten feststellen. Etwa die Erfahrungen von Pushbacks, also Zurückweisungen an der Grenze zu Russland.
Wer überprüft das?
Der Verein Zuflucht spricht mit der Person.
Also mit dem Asylbewerber?
Ja, natürlich.
Aber nicht mit Vertretern finnischer Behörden, über die ja bislang das Asylverfahren lief?
Wir selber sind ja keine Behörde, haben auch keinen Auskunftsanspruch. Wir erhoffen uns vielmehr, dass sich das Bamf in einem neuen Verfahren noch einmal die Zeit nimmt, hier genau hinzusehen. Da geht es noch nicht darum, dass die Person dauerhaft hier in Deutschland bleiben kann. Wir streben erst einmal ein Asylverfahren hier im Land an.
Das steht dann also in den Dossiers an das Bamf – und die werden ganz überwiegend ohne Begründung abgelehnt?
Das kann ich Ihnen so nicht sagen, weil ich in den Verfahren selbst nicht beteiligt bin. Ich kann aber sagen, dass die Zahl der Ablehnungen deutlich gestiegen ist. Das ist eine Tatsache – und sie hat Auswirkungen darauf, wie einzelne Gemeinden möglicherweise reagieren.
Etwa die Friedensgemeinde, die nun einem weiteren Somalier Kirchenasyl gewährt. Deren Pastor Bernd Klingbeil-Jahr sagte, man wolle „die jungen Menschen“ dabei unterstützen, ihre Asylanträge in Bremen zu stellen. Demnach geht es um systematische Kritik am Dublin-Verfahren und nicht um Einzelfälle.
Ich verstehe das nicht als pauschale Aussage, es geht ihm wohl um die zwei konkreten, aktuellen Einzelfälle. Wir haben immer nur die einzelnen Menschen im Blick. Abgesehen davon sind die Gemeinden eigenständige Körperschaften. Die entscheiden, da fragt mich niemand vorher, ob sie jemanden ins Kirchenasyl aufnehmen sollen.
Aber das Thema ist hochpolitisch, und Unterstützung erhalten Sie vor allem von den Grünen, der Linkspartei und der außerparlamentarischen Opposition. Können Sie verstehen, dass traditionelle Christen die BEK zunehmend als Vorfeldorganisation der Grünen empfinden?
Wir sind in guten Gesprächen mit allen demokratischen Parteien. Das ist mir ganz wichtig. Wir sprechen sowohl mit dem SPD-Innensenator als auch mit den Grünen, der Linken oder der CDU. Einen solchen Vorwurf kann ich also nicht nachvollziehen. Natürlich mischen sich die Kirchen auch in Menschenrechtsdebatten ein, aber das Kirchenasyl ist dafür nicht das Vehikel. Hier geht es um etwas anderes: um Menschlichkeit.
Kritiker des Kirchenasyls verweisen darauf, dass es in einem Rechtsstaat wie Deutschland eine funktionierende Gewaltenteilung gibt zwischen Parlament, Regierung und unabhängiger Gerichtsbarkeit. Sollte sich da eine seelsorgerische Organisation, die nur ein Viertel der Bevölkerung vertritt, nicht heraushalten?
Es geht nicht um Einmischung. Es geht im Sinne einer funktionierenden Demokratie und Rechtsstaatlichkeit um die Möglichkeit, im Sinne eines Appells mitzuwirken. Ich finde es großartig, dass unser Staat dies ermöglicht. Ich habe in den Behörden Mitarbeiter erlebt, die das Herz auf dem rechten Fleck und die Menschen im Blick haben. Ich betreibe auch ausdrücklich kein Bashing des Bamf. Es geht also gar nicht um ein Gegeneinander, sondern um eine gute Lösung für den Einzelnen. In diesem Sinne möchte ich gerne das Gespräch mit dem Innensenator weiterführen.
Das Gespräch führte Joerg Helge Wagner.