- Was ist die Ausgangslage?
- Welche Optionen liegen auf dem Tisch?
- Welche Reaktionen gibt es bisher?
- Wie geht es nun weiter?
Die Bremische Bürgerschaft könnte in der kommenden Wahlperiode von derzeit 84 auf dann 87 Mandate anwachsen. Der Senat wird sich voraussichtlich in der nächsten Woche mit einer entsprechenden Empfehlung der Innenbehörde befassen. Das Ressort von Senator Ulrich Mäurer (SPD) reagiert damit auf neue Berechnungen des Statistischen Landesamtes zur Bevölkerungsentwicklung in Bremen und Bremerhaven. Die "Nordsee-Zeitung" hatte zuerst über den Vorgang berichtet.
Was ist die Ausgangslage?
Bremen und Bremerhaven sind bei Landtagswahlen unterschiedliche Wahlbereiche mit jeweils eigener Fünf-Prozent-Hürde. Aktuell entsendet die Stadtgemeinde Bremen 69 Mandatsträger in die Bürgerschaft, Bremerhaven 15. Ein wichtiges Gebot bei Wahlen ist, dass jede Stimme möglichst das gleiche Gewicht hat. Angesichts der gegenläufigen Bevölkerungsentwicklung in Bremen (Zunahme) und der Seestadt (Abnahme) ist dies aber immer weniger der Fall. Eine Bremerhavener Stimme hat inzwischen deutlich mehr Gewicht als eine Bremer. Fachleute sprechen vom sogenannten Erfolgswert einer Stimme. Der Staatsgerichtshof hatte bereits im Jahr 2004 in einem Urteil festgehalten, dass dieser Erfolgswert in jedem der beiden Wahlbereiche nicht um mehr als fünf Prozent vom Landesdurchschnitt abweichen sollte. In Bremerhaven sind es allerdings bereits über sieben Prozent. Eine Anpassung des Verhältnisses von Bremer und Bremerhavener Sitzen in der Bürgerschaft sei deshalb "zwingend", heißt es in der Senatsvorlage.
Welche Optionen liegen auf dem Tisch?
In dem Senatspapier werden verschiedene Möglichkeiten durchgespielt, wie die Unwucht behoben werden kann. Aus Sicht der Innenbehörde wären künftig Sitzverteilungen zwischen Bremen und Bremerhaven im Verhältnis 69/14, 70/14, 71/14, 72/14 und 72/15 "verfassungsrechtlich gerechtfertigt". Erhielte Bremen beispielsweise drei zusätzliche Mandate und Bremerhaven eines weniger (72/14), wäre die Abweichung des Erfolgswerts nur noch minimal.
Allerdings sind nach Darstellung der Innenbehörde noch weitere Faktoren zu beachten, vor allem die separaten Fünf-Prozent-Sperrklauseln für beide Wahlbereiche. In Bremerhaven kann es theoretisch passieren, dass eine Partei, die bei der Bürgerschaftswahl mehr als fünf Prozent, aber weniger als 6,7 Prozent der Stimmen erhält, keinen Sitz im Parlament erhält. Das hat mit dem sogenannten natürlichen Quorum zu tun, das bei 15 Mandaten einem Fünfzehntel des Gesamtstimmenaufkommens entspricht, also besagten 6,7 Prozent. Nähme man Bremerhaven einen Sitz weg, um eine Vergrößerung der nächsten Bürgerschaft zu vermeiden oder jedenfalls minimal zu halten, würde sich das natürliche Quorum für die Seestadt weiter vergrößern. In der Abwägung von Erfolgswert, natürlichem Quorum und weiteren wahlrechtlichen Faktoren kommt die Innenbehörde deshalb zu der Empfehlung, die Zahl der Abgeordneten in der nächsten Bürgerschaft auf 87 zu erhöhen: 72 aus Bremen und 15 aus Bremerhaven.
Welche Reaktionen gibt es bisher?
Bürgerschaftspräsident Frank Imhoff (CDU) hat sich noch keine abschließende Meinung gebildet, wie er dem WESER-KURIER sagte. Zu Jahresbeginn habe das Statistische Landesamt keinen Bedarf gesehen, die Gewichte zwischen Bremen und Bremerhaven neu auszutarieren. Das habe sich erst Ende Mai geändert. Er wolle sich nun erst einmal mit den Vorschlägen des Senats vertraut machen. Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Martin Günthner, der aus Bremerhaven stammt, findet die geplante Aufstockung der Mandate "folgerichtig". Das Problem des natürlichen Quorums in Bremerhaven sei anders kaum zu lösen. Günthner erwartet eine entsprechende Positionierung seiner Fraktion.
Kritisch sieht den Sachverhalt der Politikwissenschaftler Matthias Güldner, Mitherausgeber des jüngst erschienenen Buches "Politik und Regieren in Bremen". Güldner war einige Jahre Fraktionsvorsitzender der Grünen, kennt den Bremer Politikbetrieb also von innen. Er weist darauf hin, dass die Bürgerschaft im Jahr 2003 aus guten Gründen von 100 auf 83 verkleinert wurde. 2019 habe man bereits ein weiteres Mandat hinzugefügt, und nun gehe die Reise in noch größeren Schritten zurück in Richtung des alten Zustandes. "Die Bremer Politik ist da unter Erklärungsdruck", findet Güldner. Dass eine Verringerung der Bremerhavener Sitze gar nicht ernsthaft geprüft werde, sei Ausdruck eines "faktischen Veto-Rechts", das die Vertreter der Seestadt in solchen Fragen besäßen.
Wie geht es nun weiter?
Da die Zahl der künftigen Mandate Auswirkungen auf die bereits anlaufende Kandidatenaufstellung der Parteien hat, ist nun Eile geboten. Sofern der Senat den Entwurf zur Änderung des Wahlgesetzes am kommenden Dienstag beschließt, soll die Bürgerschaft bereits im Juli darüber entscheiden. Eine Aufstockung um drei Mandate würde Mehrkosten von gut 420.000 Euro pro Jahr verursachen. Diese Zahl ergibt sich aus den Diäten (5318,20 Euro monatlich ab 1. Juli) sowie der ergänzenden Altersversorgung der Abgeordneten und dem Anstieg der Mittel, die jede Fraktion pro Kopf erhält.