Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Kinderbetreuung Das Bremer Kita-Dilemma

Die Gründe für den vermasselten Kita-Ausbau liegen in der Vergangenheit. Wenn Bremen kurzfristig mehr Kinder in die Kitas bringen will, bleibt akut nur die Wahl zwischen Pest und Cholera, meint Sara Sundermann.
17.07.2023, 20:37 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Das Bremer Kita-Dilemma
Von Sara Sundermann

Der Kita-Ausbau ist ein zentrales Anliegen der neuen Bremer Landesregierung, das haben die Koalitionäre immer wieder betont. Doch die Pläne, die Rot-Grün-Rot im Koalitionsvertrag für die Kitas formuliert, lösten direkt einen Proteststurm aus. Die Gewerkschaft Verdi sprach von "einem Schlag ins Gesicht für die Beschäftigten", Elternvertreter befürchteten einen Zusammenbruch des Kita-Systems.

Dabei muss man zunächst sagen: Ein Teil von dem, was sich Rot-Grün-Rot im Koalitionsvertrag vornimmt, ist absolut sinnvoll. Die Plätze an Bremens staatlichen Erzieher-Schulen sollen verdoppelt werden, die praxisintegrierte Erzieher-Ausbildung (PiA) vervierfacht. Dieser Plan ist gut, sehr gut sogar. Nur hätte man das schon vor Jahren machen müssen. Jetzt kommt die Aufstockung so spät, dass es Jahre dauert, bis der zusätzliche Nachwuchs ausgebildet ist. Darauf will aber niemand warten, auch die Koalition nicht. Denn mindestens 5000 Kita-Plätze fehlen nicht übermorgen, sondern jetzt.

Die Ursachen dafür sind hausgemacht. Ein Grundübel: In Deutschland gab es viel zu lange ein - mit Verlaub - beknacktes System der Erzieher-Ausbildung. Ein System, in dem die angehenden Erzieherinnen, um die sich heute alle reißen, bis vor ein paar Jahren noch für ihre Ausbildung Schulgeld zahlen mussten, anstatt selbst bezahlt zu werden. Inzwischen ist die Ausbildung in Bremen vergütet, doch Reichtümer häuft man in diesem Beruf weiterhin weder in der Ausbildung noch danach an.

Kurzfristig kann nun niemand Erzieher herbeizaubern. Doch ohne mehr Fachkräfte stockt der Kita-Ausbau. Zuletzt konnten 39 Kita-Gruppen in Bremen nicht starten, weil es kein Personal für sie gab. Um trotzdem schnell Plätze zu schaffen, will Rot-Grün-Rot nun Qualitätsstandards senken. Das heißt: Gruppen vergrößern, geringer qualifiziertes Personal einstellen, Abstriche bei Räumen machen.

Lesen Sie auch

"Gruppenvergrößerung" ist ein Reizwort, das bei vielen Eltern und Beschäftigten sofort einen Aufschrei auslöst. Noch mehr Belastung für die Erzieherinnen! Noch weniger Förderung für die Kinder! Wahnsinn! Allerdings steht im Koalitionsvertrag auch: Größere Gruppen soll es nur freiwillig, nicht in benachteiligten Gebieten und nicht in Gruppen mit mehr als drei Förderkindern geben.

Damit ist die Quadratur des Kreises beschrieben. Denn wenn es größere Gruppen nur in wohlsituierten Quartieren und freiwillig geben soll, werden so auch nur wenige Plätze geschaffen. Also ein paar Plätze in einzelnen Kitas in Mitte, Borgfeld oder Horn. Würde Bremen größere Kita-Gruppen flächendeckend und mit Zwang einführen, dann würden entnervte Erzieherinnen wohl schlicht abwandern. Das weiß die Bildungssenatorin. Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass Gruppenvergrößerungen in großem Stil kommen.

Der wichtigere Hebel ist also der Plan, mehr Personal in die Kitas zu holen, auch weniger Qualifizierte und Ungelernte. Hier kommt es darauf an, genau hinzusehen. Wird Zusatzpersonal geholt, das Erzieher entlastet, Krankenstände verringert und im Idealfall die Kita attraktiver für Bewerber macht? Oder werden Erzieherinnen ersetzt durch geringer qualifizierte Kräfte?

Fragt sich, was Bremen sonst tun könnte, um kurzfristig mehr Kinder in die Kitas zu bringen. Einige Kommunen haben bereits generell die Betreuung verkürzt. Würde Bremen allen, die jetzt acht Stunden pro Tag bekommen, nur noch sechs Stunden bieten, dann könnte man wohl etliche Kinder, die jetzt gar keinen Platz haben, in die Kitas holen. Doch auch hier wäre der Preis hoch: Denn mit verkürzter Betreuung könnten viele Eltern - und insbesondere Frauen - ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen. Auch hier wäre ein berechtigter Aufschrei die Folge. Zumal schon jetzt viele Bremer Familien mit ständigen Kita-Ausfällen leben müssen.

Lesen Sie auch

Wie man es dreht und wendet: Wer in Bremen einen schnellen Kita-Ausbau ohne mehr Fachpersonal anstrebt, begibt sich auf einen Pfad voller Abgründe. Dieses Ziel ist ad hoc wohl kaum zu erreichen ohne Verschlechterungen für große Gesellschaftsgruppen.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)