Zozan Bicis gibt alles. Die 18-Jährige zieht und zerrt an der blauen Puppe, um sie auf die dicke Sportmatte zu hieven. Noch 25 Sekunden, ruft ihr Samy Sifi zu. Er ist Sportlehrer der Polizei. Seinen Tipp – „unter die Arme der Puppe greifen, sie hochziehen und sich dann einfach mit ihr rückwärts auf die Matte fallen lassen“ – hatte die Schülerin beherzigt. Doch noch liegen erst zwei Drittel der 80 Kilo schweren Puppe auf der Matte, oder genauer: auf Bicis. Das reicht nicht, um die Prüfung zu bestehen. In einem stummen Ringkampf mit der Puppe gelingt es der Schülerin mit einem energischen Ruck, auch die Beine der Puppe auf die Matte zu wuchten. 69 Sekunden hat sie gebraucht. Punktlandung – 70 Sekunden waren erlaubt.
Direkt nach ihr bekommt Lynn Seibold einen ersten Vorgeschmack auf den Zusammenhalt, von dem bei der Polizei oft die Rede ist. Die zierliche, 1,61 Meter große Schülerin hat es überraschend schnell geschafft, die deutlich mehr als sie selbst wiegende Puppe durch die Halle zu ziehen. Sie droht nun aber an der Matte zu scheitern. Drei Jungs, die neben der Matte stehen, feuern sie an. „Komm, du schaffst das. Nicht aufgeben. Du bist schon so weit gekommen.“ Und tatsächlich gewinnt auch sie am Ende den Kampf gegen Puppe und Uhr: 64 Sekunden.
Bicis und Seibold sind zwei von rund 100 Schülerinnen und Schüler, die am Mittwoch an einer Aktion teilnahmen, die die Bremer Polizei mit „Wildcard Wednesday“ überschrieben hatte. Dabei ging es darum, den offiziellen Sporttest aus dem Bewerbungsverfahren für die Polizei auszuprobieren. Unverbindlich, ohne Druck. Aber mit der Aussicht, bei Bestehen dieses Tests eine „Wildcard“ für das Einstellungsverfahren im kommenden Jahr zu erhalten. Soll heißen, den Sporttest dann nicht mehr absolvieren zu müssen. Eine reizvolle Sache, findet Elif Cömez. Sie studiere derzeit noch auf Lehramt, erzählt die 23-Jährige. Doch eigentlich sei Polizistin ihr Traumberuf. Sie ist gekommen, um zu wissen, was im Sporttest auf sie zukommt. „Und wer weiß, eventuell kann ich mir hier ja heute schon was sichern.“
Begonnen hatte der Sporttest für die zehnköpfige Gruppe um Bicis, Seibold und Cömez mit einer Übung, die alle Teilnehmer ein erstes Mal dicht an den Polizeidienst heranbrachte: Das Durchladen und Abdrücken einer Pistole, hier der Nachbau einer echten Dienstwaffe. Hinter dieser Übung verbirgt sich die Überprüfung, ob die Hand des Bewerbers groß genug ist, um die Waffe zu halten. In der Regel kein Problem für die Bewerber.
Kniffliger ist da schon die anschließende Handkraftmessung. Die Bewerber müssen ein Manometer so fest wie möglich drücken, fünfmal mit jeder Hand. Frauen müssen im Schnitt aller Versuche 29 Kilo erreichen, keiner der Versuche darf unter 25 liegen. „31“, liest Samy Sifi den ersten Wert vom Manometer ab und stellt das Gerät wieder auf Null. Es folgen 29 und 26. „Mehr, mehr, mehr“, feuert der Sportlehrer die Schülerin an. Hilft nichts, die Werte sinken. 26, 25... Mit der linken Hand geht es sogar noch deutlich weiter runter.
Im echten Sporttest wäre es das jetzt für die Bewerberin gewesen. Ihr bliebe nur noch ein zweiter Versuch, etwa sechs Wochen später. Heute ist das anders. Unabhängig von den Zwischenergebnissen können alle die Testreihe komplett durchlaufen. „Wir suchen hier keine Spitzensportler“, ordnet Jan Kiss, Projektleiter beim „Wildcard Wednesday“, den Sporttest ein. Eine „gewisse Grundfitness“ gehöre dazu, das bedinge nun einmal der Job. Grundsätzlich orientiere sich der Test aber nicht an sportlichen Höchstleistungen, sondern an den Bedürfnissen von Polizisten im Streifendienst. Am Ende des Tages wird gut die Hälfte der Teilnehmer mit einer „Wildcard“ nach Hause gehen.
Weiter geht’s beim „Jump and Reach“. Aus dem Stand müssen Frauen 35 Zentimeter und Männer 43 Zentimeter hoch springen. Welcher Punkt dabei zu erreichen ist, hängt von der Größe jedes Bewerbers ab. Deshalb muss sich zunächst jeder mit ausgestrecktem Arm an die Wand stellen. Von der Fingerspitze aus werden die 35 beziehungsweise 43 Zentimeter addiert und mit einem Strich an der Wand markiert – der Zielpunkt, den es beim Sprung zu erreichen gilt. Drei Versuche pro Person. Niklas Roddewig schafft seine Höhe locker im ersten Versuch. Der 19-Jährige macht im nächsten Jahr Abitur, dann will er sich bei der Polizei bewerben. Die Chance an diesem Mittwoch hat er gerne mitgenommen. „Warum nicht? Wenn ich das eventuell schon heute erledigen kann. Und wenn‘s nicht klappt, mache ich das eben nächstes Jahr noch mal.“ Es gibt noch einen anderen Gedanken, der ihn dazu brachte, den „Wildcard Wednesday“ zu nutzen: „Könnte ja sein, dass ich mich nächstes Jahr vor der Sportprüfung verletze.“
Letzte Station ist der „Cooper-Test“, benannt nach einem amerikanischen Sportmediziner: zwölf Minuten Laufen. In erster Linie geht es um Ausdauer. Entscheidend ist, zwölf Minuten am Stück zu laufen. Die in dieser Zeit absolvierte Strecke ist weniger wichtig, obwohl es auch hier Mindestvorgaben gibt (2250 Meter für Männer, 1890 Meter für Frauen). Der abgesteckte Kurs in der Turnhalle – 90 Meter pro Runde – wird gemeinsam gelaufen. Gegen Ende der zwölf Minuten wird es für einige sehr, sehr hart. „Kann ich auch schnell gehen“, ruft eine der Läuferinnen, als sie bei Start und Ziel vorbeikommt. „Nein, auf keinen Fall“, antwortet Samy Sifi. Kurz darauf muss er sie trotzdem ermahnen. „Die Nummer 9 – nicht gehen! Noch zwei Minuten.“
Am Ende schaffen alle die zwölf Minuten, einige mit puterrotem Kopf und sichtbar am Ende ihrer Kräfte. Aber trotzdem irgendwie zufrieden. Sie weiß, dass sie zwei Runden zu wenig gelaufen ist, sagt Sifi, noch vollkommen außer Atem. Und das mit der Handkraftmessung hat auch nicht geklappt. Egal. Dafür sei sie ja schließlich gekommen. „Jetzt weiß ich, was ich trainieren muss, wenn ich es nächstes Jahr ernsthaft versuche.“