Der Fußballer
Die Hoffnung ist geraubt. Das sagt Mustafa Azadzoy. Eine Hoffnung, die auch er und ein paar fußballspielende Mitstreiter den Menschen in Afghanistan vor ein paar Jahren gebracht haben. Hoffnung auf ein Leben mit Freuden und in Frieden.
Azadzoy, 29, ist Fußballprofi. Er hat 2013 ein Tor geschossen, das Afghanistan den größten Erfolg seiner Fußballgeschichte beschert hat. Azadzoy, als Sechsjähriger mit seiner Familie nach Delmenhorst geflüchtet, hatte mit seinem Treffer im Endspiel der Südasienmeisterschaft in Nepal maßgeblich zum Titelgewinn beigetragen.

Mustafa Azadzoy
Azadzoy und auch der Torwart Mansur Faqiryar aus Bremen wurden quasi über Nacht zu Helden. Tausende feierten in Afghanistan, Staatspräsident Karzai lud die Spieler zum Empfang. Daran, und wie ein Straßenkind ihn bei den Feierlichkeiten ansprach, muss Azadzoy jetzt wieder denken. Das Finale hatte an einem 11. September stattgefunden, und der Junge sagte damals zu Azadzoy: „Danke, dass ihr es geschafft habt, dass der 11. September jetzt auch ein Tag ist, an dem Gutes geschehen kann.“
Jetzt dagegen, sagt Azadzoy, der in Thailand spielt, jetzt mache das ganze Land einen Riesenschritt zurück, „das macht mich traurig“. Im Moment seien die Bekannten, die seine Familie in Afghanistan habe, noch wohlauf. „Aber“, sagt er, „wer weiß schon, wie es morgen ist?“
Die Vereinsvorsitzende
Laila Noor ist erschöpft. „Ich bin von morgens bis abends im Kontakt. Ich kriege von überall Nachrichten“, sagt die Vorsitzende des Bremer Vereins Independent Afghan Women Association. Seitdem die Taliban die afghanische Hauptstadt besetzt haben, sei sie wie gelähmt. „Das ist zu viel Schmerz.“
Noor sorgt sich insbesondere um die Mädchen und Frauen. Von einer Bekannten hat sie erfahren, dass zwei ihrer Cousinen, 14 und 16 Jahre alt, seit vier Tagen vermisst werden. Sie vermute die Taliban dahinter. Informationen wie diese schwappen kontinuierlich nach Deutschland zu Noor. „Ich hoffe so sehr, dass sie nicht das Schlimmste treffen wird. Ich vertraue den Taliban absolut nicht.“

Laila Noor
Ein großes Fragezeichen steht auch hinter der Zukunft der 18.000 Kinder, die in den Schulen des Vereins mittlerweile ausgebildet wurden.“ Was passiert mit ihnen?“, fragt Noor. Ihre Stimme klingt zerbrechlich. „Wir können nur beten und hoffen, dass die Taliban weiterhin die Kinder und vor allem die Mädchen zur Schule gehen lassen.“
Noor blickt enttäuscht auf den Westen. Sie fühlt sich im Stich gelassen. Dass Frauen gesteinigt werden, habe die Welt nie interessiert. Erst nach dem 11. September 2001wurde Afghanistan als große Gefahr wahrgenommen. „Ich kämpfe seit 43 Jahren für dieses Land. Bitte lasst uns einfach in Frieden.“
Der Dolmetscher
Die Sorge ist riesengroß. „Unsere Familie ist bei den Taliban bekannt“, sagt Jahangir Gharibdost. Er selbst ist zwar in Sicherheit, Gharibdost und seine Frau leben in Gröpelingen. Aber elf Familienmitglieder sind noch in Kundus; Vater, Brüder, Schwestern. Gharibdost, der seit 2013 in Deutschland ist und als Elektriker arbeitet, war in Afghanistan Dolmetscher für die deutsche Bundespolizei, eine sogenannte Ortskraft und damit in den Augen der Taliban ein Verräter. Sie jagten ihn, er und seine Frau flohen.

Jahangir Gharibdost
Vor drei Tagen, erzählt Gharibdost nun, hätten drei Raketen das Haus der Familie bei Kundus komplett zerstört. Wie durch ein Wunder sei nur der Vater leicht verletzt worden. Alle zwei Stunden telefoniert Gharibdost jetzt mit Afghanistan, jede Stunde treffen auf dem Handy neue Nachrichten ein, Fotos, Videos. Fürs Erste ist die Familie in einer Wohnung in einem anderen Stadtviertel untergebracht. Gharibdost hat schon versucht, ihr Geld zu schicken, vergeblich. „Im Moment haben alle Banken zu“, sagt er, „und die Geschäfte sind auch dicht.“
Vor eineinhalb Jahren ist Gharibdost vor Gericht damit gescheitert, seine Familie nach Deutschland nachholen zu dürfen. Die Begründung damals: Es liege keine außergewöhnliche Härte vor. Das ist jetzt anders. Eine Chance für seine Familie? „Ich hoffe es, aber ich habe große Zweifel.“
Die Vermittlerin
Mitten in den Sommerferien fällt Kabul in die Hände der Taliban. „Wir wissen nicht, ob nach den Ferien die Mädchenbildung eingeschränkt wird“, sagt Marga Flader, Vorsitzende des Vereins Afghanistanschulen in Oststeinbek bei Hamburg.
Unklar sei auch, ob Eltern ihre Töchter nach den Ferien überhaupt aus dem Haus lassen werden. „Die Frauen und Mädchen wohnen oft außerhalb und trauen sich nicht sich alleine auf den Weg zu machen“, berichtet Flader. Deswegen überlegt der Verein Rikschas anzubieten auf denen bis zu sechs Frauen zu den Zentren transportiert werden könnten.

Marga Flader
In Andchoi, eine Stadt im Nordwesten Afghanistans, haben die Frauenzentren Glück gehabt. „Einer unserer Mitarbeiter hat mit der regionalen Taliban gesprochen und erreicht, dass wir eine Genehmigung für unsere Projekte bekommen und die weiterführen können.“
Es herrscht viel Unklarheit. „Die Taliban ist nicht mehr dieselbe wie vor 20 Jahren. Die Mitglieder sind sich nicht einig, was Vorschrift wird. Wir müssen abwarten.“ Die größte Sorge sei momentan, dass die Banken geschlossen werden und die afghanischen Mitarbeiter nicht mehr bezahlt werden können. „Dann muss ich mir wieder das Geld um den Bauch binden wie zur D-Mark-Zeiten. Da habe ich jeder Lehrkraft 100 Dollar ausgezahlt.“